Debatte um das soziale Pflichtjahr:Zu teuer, zu schwierig, zu undankbar

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Das "soziale Pflichtjahr" soll Wehrdienst und Zivildienst ablösen. Es kursieren viele Vorschläge zur Umsetzung, doch sie scheitern an hohen Hürden: Das Grundgesetz müsste geändert und Kosten gedeckt werden. Und am Ende droht Undank.

M. Drobinski und C. Frank

Peter Müller findet die Idee gut, Roland Koch auch. Forderungen nach einem sozialen Pflichtjahr sind derzeit, da mit der Wehrpflicht auch der Zivildienst an sein Ende zu kommen scheint, populär - vor allem in der Union. Es hat aber auch schon einmal Peer Steinbrück von der SPD für eine Dienstpflicht für alle plädiert, es gab auch Kreisverbände der Grünen, die entsprechende Anträge auf Parteitagen stellten, wenn auch erfolglos. Die Idee von der allgemeinen Dienstpflicht lebt in allen Parteien.

Forderungen nach einem sozialen Pflichtjahr sind derzeit, da mit der Wehrpflicht auch der Zivildienst an sein Ende zu kommen scheint, populär - vor allem in der Union. (Foto: ddp)

Sie klingt ja auch zunächst einleuchtend: Der Staat tut viel für die jungen Bürger - warum sollen die nicht nach der Ausbildung oder dem Abitur der Gemeinschaft etwas zurückgeben? Warum sollen nicht künftige Betriebswirtinnen oder Schreiner ein Jahr lang Alte und Kranke betreuen, in Jugendeinrichtungen helfen, Krötentunnel graben? Fünfzig Jahre Zivildienst haben gezeigt, wie wichtig dieser Dienst für die Allgemeinheit ist - so wichtig, dass am Ende eines der stärksten Argumente gegen die Abschaffung der Wehrpflicht war, dass dann auch der Zivildienst wegfallen würde.

Trotzdem sprechen so viele Argumente gegen eine allgemeine Dienstpflicht, dass diese wohl nie kommen und die aktuelle Debatte so ergebnislos enden wird wie alle vorigen. Eine Dienstpflicht widerspricht dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention, seine Einführung wäre teuer, und ausgerechnet die Wohlfahrtsverbände, die am ehesten von einem solchen Dienst profitieren würden, lehnen ihn ab und fordern stattdessen die Förderung ihrer Freiwilligendienste.

Eine Regierung, die einen Pflichtdienst für alle einführen wollte, müsste also wohl erst einmal das Grundgesetz ändern. Dort heißt es zwar im Artikel 12, niemand könne "zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht." Das klingt nach einem Spielraum, die Hürde ist aber das Wort "herkömmlich" - die Verfasser des Grundgesetzes wollten nach den schlechten Erfahrungen mit der Dienstpflicht unter den Nationalsozialisten gerade nicht, dass der Staat einfach irgendwelche Dienste neu einführt, sondern lange bestehende Pflichten bei Feuerwehr oder Deichschutz sichern.

Würde der Bundestag mit Zwei-Drittel-Mehrheit das Wort "herkömmlich" streichen, bliebe als nächstes Hindernis die völkerrechtlich bindende Europäische Menschenrechtskonvention, die Zwangs- und Pflichtarbeit verbietet - Ausnahmen gibt es nur für den Wehr- und Ersatzdienst und bei Notlagen und Katastrophen. Schon 2003 kam ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zu dem Ergebnis, dass eine allgemeine Dienstpflicht gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstoßen würde. Die Gefahr eines Weltkriegs rechtfertigte die Wehrpflicht und damit den Zivildienst, doch Pflege-Engpässe genügen nicht, um einen Zwangsdienst zu begründen.

Selbst wenn die deutschen und europäischen obersten Gerichte überraschend der Minderheitenmeinung unter den Juristen folgen und die Dienstpflicht doch für rechtens erklären würden - dieser neue Dienst würde die Deutschen teuer zu stehen kommen. Es ist anzunehmen, dass ein junger Erwachsener im sozialen Pflichtjahr etwa das Gleiche kosten würde wie heute ein Wehr- oder Zivildienstleistender; das sind ungefähr 15.000 Euro im Jahr. Selbst wenn von den geschätzten 800.000 jungen Männern und Frauen eines Jahrgangs nur 500.000 neu untergebracht werden müssten, wären das allein 7,5Milliarden Euro Lohnkosten. Die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer geht von zwölf Milliarden Euro Zusatzkosten aus, und der Volkswirt Wolf Schäfer von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg spricht gleich von mehr als 20 Milliarden Euro jährlichen Kosten, rechnet man die entgangene Produktivität der jungen Dienstleistenden hinzu. "Die allgemeine Dienstpflicht ist deshalb ein Institut höchster Ressourcenverschwendung", urteilt er.

Angenommen, eine Regierung wäre auch durch die Kostenfrage noch nicht entmutigt, weil sie von der volkspädagogischen Notwendigkeit dieses Dienstes überzeugt wäre - diese Regierung würde auf Undank stoßen. Die Wohlfahrtsverbände, vermeintlich die größten Profiteure der Hunderttausenden jungen Helfer, lehnen diesen Dienst durch die Bank ab. Schon 2004 haben sie gemeinsam erklärt, die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht hielten sie "nicht nur für völkerrechtswidrig, sondern auch für einen grundsätzlich falschen Weg, Eigeninitiative, Mitgestaltung und Beteiligung aller Altersgruppen in der Zivilgesellschaft zu fördern". Der Erklärung schlossen sich mehrere Bundesministerien und Landesregierungen an - unter anderem die von Hessen. Deren Ministerpräsident hieß übrigens schon damals: Roland Koch.

An der Ablehnung von damals hat sich nichts geändert, sagt Peter Neher, der Präsident des deutschen Caritasverbandes, der Süddeutschen Zeitung: "Es liegt nicht im Interesse der Caritas, einerseits um junge Leute zu werben, die ein soziales Jahr freiwillig leisten, und gleichzeitig dann einen teuer finanzierten zivilen Dienst zu unterstützen."

Die Verbände sehen, dass sie ein Pflichtdienst strukturell überfordern würde - 500.000 bis 700.000 Pflichtdienstleistende müssten irgendwo untergebracht werden - schon bei 200.000 dürften die jetzigen Zivildienstträger an ihre Grenzen stoßen. In die Kliniken, Jugendzentren oder Pflegeheime strömten dann auch zahlreiche 19-Jährige, die eigentlich keine Lust auf Sozialarbeit haben - eine Horrorvorstellung für viele Einrichtungsleiter, die nur Ärger mit den unwilligen Unfreiwilligen fürchten.

Stattdessen werben der Paritätische Wohlfahrtsverband, die Diakonie oder die Caritas für den Ausbau der Freiwilligendienste, von denen sie manche schon seit Jahrzehnten anbieten: das Freiwillige Soziale Jahr oder das Freiwillige Ökologische Jahr zum Beispiel. So lehnt Neher auch den von Familienministerin Schröder vorgeschlagenen freiwilligen Zivildienst ab: "Wir würden mehr davon profitieren, wenn die Regierung die bewährten Freiwilligendienste ausbauen würde. Es gibt keinen Grund, warum daneben ein Zivildienst unabhängig von der Wehrpflicht aufgebaut werden sollte." Allein 37.000 Plätze gibt es derzeit, jedes Jahr gibt es mehr Bewerber als freie Stellen. "Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sind durchaus in der Lage, das Angebot kurzfristig auf 60.000 auszubauen, wenn uns die entsprechenden Mittel zur Verfügung gestellt werden."

Da allerdings zeigt die Politik bislang wenig Bereitschaft - angeblich ist eine Förderung durch zusätzliche Bundesmittel der bislang vor allem von den Ländern unterstützten Freiwilligendienste rechtlich nicht möglich. Verglichen mit den Problemen des Zwangsdienstes wäre dies aber vielleicht doch der leichtere Weg.

© SZ vom 27.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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