Debatte um das Meldegesetz:Auf dem Scherbenhaufen der Unkenntnis

Regierung und Opposition machen in der Debatte um das umstrittene Meldegesetz eine ziemlich schlechte Figur. Die Kritik an dem Beschluss aber sprengt dennoch jede Dimension. Faul und korrupt sollen jetzt alle Politiker sein, weil sie das Gesetz in 57 Sekunden durchgewinkt haben. Das hat mit der Realität wenig zu tun.

Thorsten Denkler, Berlin

Wer demnächst mal wieder über den Zustand der Koalition lästern will, der braucht nur ein Wort und er hat die Lacher auf seiner Seite: Meldegesetz. Eine Posse, eine Komödie, ein Sommerlochwitz. Da wird in 57 Sekunden vor leeren Rängen ein Gesetz verabschiedet - dummerweise während des EM-Halbfinales Deutschland gegen Italien. Und kaum eine Woche später will es niemand gewesen sein.

Die versammelte Bundesregierung distanziert sich. Obwohl sie es selbst in den Bundestag eingebracht hat.

Die Opposition tut so, als wäre sie völlig überrumpelt worden. Dabei wusste sie schon knapp zwei Wochen vor der entscheidenden Sitzung des Innenausschusses, was die Koalitionsseite vorhat.

Da hofft der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer halb im Scherz, dass in dem Murksgesetz doch wohl keiner seiner CSU-Mitstreiter seine Finger drin hatte. Und prompt stellt sich heraus: Ein CSU-Mann war sogar maßgeblich an den umstrittenen Passagen beteiligt.

Und die FDP erklärt, sie freue sich jetzt, mehr Datenschutz in dem Gesetz unterbringen zu können. Dabei hat sie fröhlich mitgeholfen, den umstrittenen Passus im Paragrafen 44 in das Gesetz hineinzuschreiben.

Einen Scherbenhaufen haben die Politker da hinterlassen, der enorme Empörungswellen auslöst.

Einiges an der Kritik ist jedoch maßlos übertrieben. Petra Pau etwa, Bundestagsvizepräsidentin, muss Schimpf und Schande über sich ergehen lassen, weil sie an jenem Abend des 28. Juli - gerade als Linke - nicht verhindert habe, dass das Gesetz in nicht mal einer Minute beschlossen wird. Andere halten die ganze Politikerklasse für faul und korrupt, nur weil die regelmäßig ihre Reden zu Protokoll geben und nach Sitzungswochen freitags schon am frühen Nachmittag Berlin gen Heimat verlassen. Außerdem sei das ja alles eine große Geheimniskrämerei und völlig intransparent, was da im Bundestag abgehe.

Inhalte sollten die Debatten bestimmen

Mal abgesehen davon, dass auch Bundestagsvizepräsidenten allein der Geschäftsordnung verpflichtet sind, die sich die Abgeordneten zu Beginn einer jeden Legislaturperiode selbst geben, und nicht einer Partei. Mal abgesehen davon, dass es jedes Parlament der Welt überfordern würde, wenn alle Reden tatsächlich gehalten würden. Mal abgesehen davon, dass praktisch jedes Bundestagsdokument für jeden Bürger zugänglich ist, der einen Internetanschluss hat: In dieser Art von Kritik offenbart sich eine erschreckende Unkenntnis der parlamentarischen Prozesse.

Opposition fordert Stopp des neuen Meldegesetzes

Deutschland spielte im EM-Halbfinale gegen Italien - und der Bundestag war fast leer. Dennoch wurde das Meldegesetz beschlossen.

(Foto: dapd)

Formal ist in diesem Gesetzgebungsverfahren alles richtig gelaufen. Vielleicht hätte es noch eine Expertenanhörung geben können. Aber die hat keine Seite beantragt. Vielleicht hätte das Gesetz länger debattiert werden sollen, aber welcher Punkt hätte dann von der Tagesordnung gestrichen werden sollen? Die Debatte über die Nazi-Terror-Dateien vielleicht, die auch an jenem Donnerstag stattfand?

Die Mechanismen des Parlaments mögen manchen komisch vorkommen. Aber sie sind geübte Praxis, die sich über Legislaturperioden hinweg bewährt hat. Sie sind übrigens auch nicht geheim. Die Geschäftsordnung des Bundestages ist jedermann zugänglich.

Kritik an dem Gesetz ist natürlich dennoch völlig in Ordnung. Es darf und muss darüber gestritten werden, ob damit die Daten der Bürger leichter als im Ursprungsentwurf der Bundesregierung an Adresshändler verramscht werden können. Oder ob die möglicherweise gar kein Interesse an den Daten haben, weil die Abfrage ohnehin viel zu teuer ist, das neue Gesetz somit lediglich die Arbeit in den Meldeämtern erleichtert.

Die Inhalte sollten die Debatten bestimmen. Der Gesetzgebungsprozess ist kaum zu beanstanden. Es will ja schließlich auch niemand, dass Beschlüsse nicht gefasst werden, nur weil Deutschland gerade Fußball spielt. Denn selbst so etwas Unscheinbares wie das Meldegesetz hat am Ende eine größere Bedeutung für jeden Bürger als ein verlorenes Fußballspiel.

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