Debatte um das Endlager:Gesucht: Gruft für strahlende Altlasten

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Nach dem Ausstieg ist vor der Endlagerdebatte: In den vergangenen Jahrzehnten versuchte die Politik mit aller Macht, den Salzstock Gorleben als Atommülldeponie durchzusetzen. Jetzt will Schwarz-Gelb eine neue Suche starten. Das lässt die Gegner von Gorleben hoffen, doch der Streit um den Salzstock dürfte noch nicht zu Ende sein. Die Schweiz ist da weiter - ausgerechnet mit Hilfe eines Expertenberichts, der in Deutschland in der Versenkung verschwand.

Kathrin Haimerl und Thorsten Denkler

In Deutschland, erzählt der Schweizer Nuklear-Experte Michael Aebersold, da gehe es meist sehr emotional zu. Dort werde er mit Trommeln und Pfiffen empfangen. Aebersold leitet das Endlagersuchverfahren für das schweizerische Bundesamt für Energie (BfE). Dazu gehören Informationsveranstaltungen an potentiellen Endlagerstandorten. Einige davon befinden sich an der Grenze zu Deutschland.

Das Erkundungsbergwerk Gorleben: Die Bundesregierung will mit dem Atomausstiegsbeschluss die Suche nach einem atomaren Endlager neu starten. Allerdings ist Gorleben als möglicher Standort noch nicht vom Tisch. (Foto: dapd)

Bei der Suche nach einem Endlager setzt die Schweiz - anders als Deutschland - auf Transparenz und Bürgerbeteiligung. Offensiv werden dabei die deutschen Nachbarn einbezogen. Sie werden von den Schweizern regelrecht aufgemuntert, ihren Protest kundzutun und über ihre Klagemöglichkeiten vor Schweizer Gerichten aufgeklärt.

Proteste gibt es zwar auch in der Schweiz. Doch die Frage nach dem Endlager werde in seiner Heimat inzwischen sehr viel ruhiger und sachlicher diskutiert, erzählt Aebersold. "Wir legen alles auf den Tisch", erklärt er. "Man hält uns für kompetent, transparent und integer", sagt er und da schwingt auch ein wenig Stolz in der Stimme mit.

Das war auch mal anders. Der Standort Benken bei Zürich galt schon als Endlagerstandort. Die Proteste aber waren so groß, dass die Erkundungen dort abgebrochen wurden. Vor drei Jahren dann haben die Schweizer die Endlagersuche völlig neu aufgerollt. Transparent, ergebnisoffen und mit maximaler Beteiligung der Menschen. Ein von allen Seiten anerkanntes Verfahren.

Nur erfunden haben es die Schweizer nicht. Erfunden haben es die Deutschen. Grundlage ihrer Strategie ist ein deutscher Expertenbericht aus dem Jahr 2002. Er zeigt erstmals wissenschaftliche Kriterien für eine Endlagersuche auf. Es geht gleichermaßen um technische Anforderungen wie um Verfahren der Bürgerbeteiligung.

Erstellt hat den Bericht der vom damaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) eingesetzte Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte, kurz AK End. Drei Jahre lang haben die 16 Mitglieder des AK End an dem Bericht gearbeitet. Die Schweiz nutzt die Erkenntnisse der Expertengruppe aus dem Jahr 2002 nun für eine erstaunlich konfliktfreie Endlagersuche. Mit einer Volksabstimmung über zwei oder drei verbliebene Standorte soll sie abgeschlossen werden.

In Deutschland aber verschwand das Papier in der Schublade. Vielleicht kommt es jetzt zu neuen Ehren. Denn Schwarz-Gelb hat den Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022 beschlossen und in diesem Zusammenhang empfiehlt die von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eingesetzte Ethikkommission auch einen Neustart in der Endlagersuche. Hier ist die Situation seit Jahrzehnten verfahren.

Mit aller Macht versuchte die Politik, den Standort Gorleben durchzusetzen. Es hieß, der Salzstock im niedersächsischen Wendland sei alternativlos. Dass der Atommüll endgelagert werden muss, ist allen klar. Aber eben bitte nicht vor der eigenen Haustür. Bei der neuen Suche gilt es, ein zweites Gorleben zu vermeiden, das zum Zentrum und Symbol der Anti-Atom-Bewegung geworden ist.

Nach Baden-Württemberg hat sich nun auch Bayern für die neue, bundesweite Endlagersuche geöffnet. Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) aber erklärt schon mal vorauseilend, dass die geologischen Voraussetzungen im Freistaat nicht optimal seien. Er hat sogar schon bestritten, dass es in Bayern überhaupt möglich sei, Atommüll endzulagern - eine von Geologen längst widerlegte Behauptung. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hat schon 1995 Karten entwickelt, die Alternativen zu Gorleben aufzeigen.

In Frage kommen etwa die Salzstöcke Wahn und Zwischenahn im westlichen Niedersachsen oder Gülze-Sumte östlich von Hamburg und Waddekath in Sachsen-Anhalt. Mit Hilfe der Kriterien des AK End wurden auch Tonvorkommen grundsätzlich geprüft. Für untersuchungswürdig hält das BGR Tonschichten in Nord- und Süddeutschland, also auch an der Grenze zwischen Bayern und Baden-Württemberg. Eine Übersichtskarte über Salz- und Tonvorkommen finden Sie hier.

Söders Position zeigt: Die Endlagerfrage war und ist in Deutschland immer eine politische und keine wissenschaftliche. In der Causa Gorleben prüft seit vergangenem Jahr ein Untersuchungsausschuss des Bundestages, ob die Auswahl rein wissenschaftlichen Erkenntnissen folgte.

Mögliche Atommüllendlager-Standorte in Deutschland (Foto: N/A)

Daran gibt es erhebliche Zweifel: Eine vom damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) 1977 in Auftrag gegebene Liste von mögliche Endlagerstandorten im Norden umfasste acht Vorschläge - Gorleben fand sich zunächst nicht darunter. Wenig später wurde die Liste dann handschriftlich um Gorleben ergänzt. Das belegen Dokumente, die die Umweltorganisation Greenpeace ausgewertet und öffentlich zugänglich gemacht hat. Wie Gorleben auf die Liste kam, ist heute kaum nachzuvollziehen.

Entscheidend aber dürften eher unwissenschaftliche Kriterien gewesen sein. Die Gegend um Gorleben gehörte zum Niemandsland an der damaligen Grenze zur DDR - strukturschwach und bevölkerungsarm. Hier war kaum Widerstand zu erwarten. Ein Trugschluss, wie sich zeigen sollte. 1983 dann übte die Regierung Helmuth Kohl auf Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) Druck aus, die die Eignung des Salzstocks überprüfen sollte. Dies belegt ein Schreiben aus dem Forschungsministeriums, das ebenfalls aus dem Jahr stammt.

Das geschönte Gutachten, das auch im Gorleben-Untersuchungsausschuss Thema ist, diente schließlich als Grundlage für die Entscheidung, den Salzstock durch den Bau eines Endlagerbergwerks weiter zu erkunden. Anders als von der Politik erwartet, kam es allerdings zu einer massiven Protestbewegung. Die Atomgegner riefen auf dem Baugrund für das Endlager Gorleben die "Freie Republik Wendland" aus und errichteten eine Zeltstadt. Sie wurde mit massiver Polizeigewalt wieder eingerissen. An Gorleben wurde eisern festgehalten. Auch die Proteste gingen weiter.

Im Jahr 2000 setzte die rot-grüne Koalition die Überprüfung Gorlebens aus und berief dafür den Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AK End) ein, das Kriterien für die Endlagersuche festlegen sollte. Wenige Zeit später folgte der Atomkonsens, der die Restlaufzeiten für die bestehenden Meiler definierte, demnach sollte der letzte Meiler 2021 vom Netz.

Mit dem Ausstiegsbeschluss war auch klar, wie groß ein Endlager sein müsste. Der AK End berechnete ein Volumen von 27.000 Kubikmetern "hochradioaktiver Abfälle", wozu abgebrannte Brennstäbe und Castoren aus der Wiederaufarbeitung zählen. Ähnlich groß dürfte die Müllmenge in Folge des jetzigen schwarz-gelben Ausstiegsbeschlusses sein, bestätigt das Bundesamt für Strahlenschutz auf Nachfrage von sueddeutsche.de.

Die Ausgangslage heute entspricht also in etwa der vom Dezember 2002, als der AK End seinen Abschlussbericht präsentierte. Die Experten legen darin nicht nur Kriterien für die Suche nach einem geeigneten Endlager fest. Sie drängen darauf, mit den "relevanten Interessengruppierungen und der allgemeinen Öffentlichkeit" einen Konsens zu erarbeiten.

"Die Ängste und Befürchtungen der Bevölkerung müssen ernst genommen werden", heißt es in dem Bericht. "Vorrang der Sicherheit, Beteiligung der Bevölkerung in allen Verfahrensschritten, Einbindung des Endlagers in eine Regionalentwicklung und Transparenz des Auswahlverfahrens" müssten leitende Prinzipien bei der Suche sein. Dies sind genau die Stellen, von denen sich die Schweizer haben inspirieren lassen.

Aber warum verschwand der Bericht in Deutschland in der Versenkung? Beate Kallenbach-Herbert, Leiterin des Bereichs Nukleartechnik im Öko-Institut Darmstadt, kennt eine mögliche Antwort. Der AK End hatte damals die Berufung einer Verhandlungsgruppe aus Bund, Ländern, verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Energiewirtschaft empfohlen, die die Vorschläge des AK End überprüfen und umsetzen sollte. Nur: Dieses Gremium kam nie zustande. Möglicherweise konnte Trittin sich gegen Bedenken aus den Ländern und der Energiewirtschaft nicht durchsetzen. Kallenbach-Herbert vermutet zudem, dass die Zeit einfach noch nicht reif gewesen sei für einen solchen politischen Prozess. "Es war ein völlig neues Konzept. Wir waren damit schon in der Frontrunner-Position."

Die Nuklear-Expertin glaubt, dass der Bericht für den jetzigen Neustart in abgeänderter Form eine Grundlage bieten könne. Die möglichen Standorte müssten im Vorfeld auf eine vernünftige Anzahl reduziert werden, etwa mit Hilfe von Untersuchungen zu Ton- und Salzstrukturen, die in den vergangenen Jahren durchgeführt wurden. Als zentrales Kriterium für eine erfolgreiche Suche nach einem Standort sieht die Expertin aber auch die Beteiligung der Bürger - sowohl die direkt Betroffenen, als auch die bundesweite Öffentlichkeit - sowie klar definierte Untersuchungs- und Entscheidungsschritte.

Ob dies automatisch das Aus von Gorleben wäre, ist unklar. Seit 2010 wird Gorleben wieder untersucht und ist heute der am besten erkundete Salzstock der Welt. Noch aber sind keine Hinweise gefunden wurden, die Gorleben als Endlager grundsätzlich ausschließen.

Offen ist auch die Eignung des Salzstocks Gorleben. Salz hat einige Vorteile gegenüber anderen Gesteinen. Es ist ein guter Wärmeleiter. Dies ist wichtig, denn der radioaktive Müll kann bis zu 200 Grad heiß werden. Zudem dichtet sich Salz selbst ab.

Einige Geologen aber bezweifeln die Tauglichkeit aus folgenden Gründen:

II Der Salzstock hat Kontakt zum Grundwasser. Zudem gibt es kein durchgängiges Deckgebirge, das das Salz vor Auflösung durch Grund- oder Niederschlagswasser schützen könnte.

II Unter dem Salzstock könnte explosives Erdgas lagern, das sich schon bei 20 Grad entzünden kann.

II An einigen Stellen ist in großen Mengen Salzlauge ausgetreten. Die Experten können nicht abschätzen, ob, wo und wie viel Salzlauge noch im Salzstock schlummert. Dadurch könnte es zu einer ähnlichen Situation wie in dem maroden Lager Asse kommen, wo permanent radioaktiv verseuchte Salzlauge abgepumpt werden muss, um eine Kontamination des Grundwassers zu verhindern.

II Im Salz ist reichlich Anhydrit eingelagert. Anhydrit quillt unter Wassereinwirkung auf und kann "Salzsprengungen" verursachen. Anhydritschichten sind zudem wasserführend, könnten also Grundwasser zum Atommüll leiten und so dazu beitragen, dass Radioaktivität an die Oberfläche gespült wird.

Entscheidend für die neue Endlagersuche könnte das Kriterium der Rückholbarkeit sein, das auch die Ethikkommission in ihrem Bericht empfiehlt. Die Fässer mit Atommüll sollen so gelagert werden, dass nachfolgende Generation sie im Zweifel herausholen und umlagern können. So steht es in den neuen Sicherheitsanforderungen an ein Endlager, die nach den Erfahrungen in dem maroden Atommüllversuchslager Asse überarbeitet wurden.

"Ob Gorleben für eine rückholbare Lagerung geeignet ist oder nicht, kann derzeit niemand beantworten", erklärt das BfS zu sueddeutsche.de. "Es sind noch viele offene Fragen zu klären. Zum Beispiel, welche sicherheitstechnischen Auswirkungen Vorkommen von Gas, Öl oder Anhydritgestein haben."

Die Schweizer Regierung hat vor kurzem beschlossen, dass das Land bis zum Jahr 2034 schrittweise aus der Atomenergie aussteigt. Die bürgernahe Endlagersuche soll bis dahin längst geklärt sein: Spätestens 2022 soll das Volk über den endgültigen Standort abstimmen. Bis dahin will zwar die Bundesregierung alle Meiler vom Netz nehmen. Doch mit der Endlagerfrage wird sie diesen Zeitplan wohl nicht einhalten können.

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