Debatte um Bundeswehrreform:Wollknäuel voller Knoten

"Augen zu und durch": Die Reform der Bundeswehr hat viele Fehler, doch die Union fürchtet die notwendige Debatte. Denn eine Aussetzung der Aussetzung der Wehrpflicht wäre eine politische Bankrotterklärung.

Nico Fried

Mit schwierigen Reformen, so hat es weiland der wortgewandte Sozialdemokrat Ludwig Stiegler gesagt, verhalte es sich wie mit Pullovern: Wenn man eine Masche einreißen lasse, dann löse sich schnell der ganze Pullover auf. Genau diese Sorge ist jetzt in der Union mit Blick auf die Reform der Bundeswehr erkennbar. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer und Unions-Fraktionschef Volker Kauder haben deshalb am Wochenende versucht, eine Debatte über Veränderungen an der Reform gar nicht erst entstehen zu lassen.

Wehrbeauftragter ruegt Fuehrungsmaengel in der Bundeswehr

Die Aussetzung der Wehrpflicht ist noch nicht beschlossen, doch seit Beginn des Jahres werden keine Wehrpflichtigen mehr einberufen.

(Foto: dapd)

Diese Entschlossenheit entbehrt nicht der Ironie: Kauder und Seehofer waren jene zwei Führungsleute in der Union, die am längsten brauchten, um die faktische Abschaffung der Wehrpflicht zu akzeptieren, jenes Kernstück der Reform, an dem alle anderen Veränderungen sich ausrichten müssen. Wenn Kauder und Seehofer jetzt nach der Devise vorgehen "Augen zu und durch", dann verschließen beide die Augen vor allem vor ihren eigenen Zweifeln. Sie haben Angst vor sich selbst. Und sie wissen, dass es hinter ihnen noch mehr Skeptiker in ausreichender Zahl gibt, um der Union mit einer neuen Debatte Ungemach zu bereiten.

Das Problem der Bundeswehrreform besteht darin, dass sie bisher eigentlich noch gar nicht mit einem Pullover zu vergleichen ist, sondern allenfalls mit einem völlig verknoteten Wollknäuel. Erster Knoten: Die Aussetzung der Wehrpflicht ist noch gar nicht beschlossen, der Bundestag hat den Gesetzentwurf gerade zum ersten Mal gelesen. Wohl aber ist die Wehrpflicht faktisch bereits ausgesetzt, weil seit Beginn des Jahres keine Wehrpflichtigen mehr einberufen werden. Diese Ignoranz gegenüber dem Parlament kommt auch nicht alle Tage vor. Sie ist Ausdruck der blinden Gefolgschaft schwarz-gelber Koalitionäre, die sich auf die Versprechungen des Ministers Karl-Theodor zu Guttenberg verließen.

Zweiter Knoten: Die Bundeswehr setzt auf Freiwillige, von denen es aber einstweilen zu wenige gibt, was nicht überraschend ist, weil noch gar nicht entschieden wurde, wie die Bundeswehr künftig für Freiwillige attraktiver gemacht werden soll. Das ist ungefähr so, als versuche ein Autohändler einen Wagen zu verkaufen, von dem er noch nicht weiß, ob er am Ende auch vier Räder haben wird.

Das führt zwangsläufig zum dritten Knoten: Die Reform der Bundeswehr sollte eigentlich Einsparungen bringen. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die Umstellung auf die Freiwilligenarmee erst einmal teurer wird. Und zwar immer noch teurer, je unattraktiver die Bundeswehr erscheint, weil immer noch mehr Anreize gesetzt werden müssen, um das zu ändern.

Akuter Notstand bei der Zahl der Freiwilligen

Vierter Knoten: Die Idee, die Reform zu verschieben und die einzelnen Schritte endlich in die richtige Reihenfolge zu bringen, klingt vernünftig. Der neue Minister Thomas de Maizière hätte ausreichend Autorität, um diese Notbremse zu ziehen. Aber er ist sehr wahrscheinlich auch loyal genug, seine Bundeskanzlerin und ihre ganze Koalition nicht in Verlegenheit zu stürzen. Schwarz-Gelb wird die noch nicht beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht nicht aufhalten wollen, weil eine Aussetzung der Aussetzung eine politische Bankrotterklärung wäre, die sich eine ohnehin schon angeschlagene Kanzlerin nicht leisten kann.

Die Bundesregierung wird also weiter an der Reform stricken. Weil sich zum Beispiel an der Zahl der Freiwilligen schon jetzt ein akuter Notstand ablesen lässt, müsste sie sogar ein bisschen schneller stricken. Dem steht entgegen, dass ein neuer Minister zu Recht Zeit zur Einarbeitung fordert. Dem steht auch entgegen, dass dieser Minister als Erstes seinen Staatssekretär gefeuert hat, was seine eigene Einarbeitungszeit nicht verkürzen wird. Dieser Staatssekretär war einer der Architekten der Reform. So viel lässt sich also sagen: Seine Pläne sind offenbar nicht von einer Qualität, die ihn unentbehrlich gemacht hätte.

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