Debatte um Asylpolitik:Schluss mit der Festung Europa

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Afrikanische Flüchtlinge klettern über einen der Grenzzäune der spanischen Nordafrika-Exklave Melilla - Archivbild vom 1. Mai (Foto: REUTERS)

Wir streiten, ob 10 000 syrische Flüchtlinge zu viel sind. Der vielfach kleinere Libanon nahm eine Million auf. Bedenkenträger sind schnell zur Stelle mit ihren Parolen von "Überforderung" und "Missbrauch". Doch die Zeit drängt - eine Reform der europäischen Flüchtlingspolitik ist überfällig.

Ein Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann

Kann Deutschland mehr als 10 000 Flüchtlinge "verkraften", müssen wir einen "Wohlfahrtstourismus" bekämpfen? Während man sich hierzulande im Stile einer Nabelschau mit solchen Fragen beschäftigt, toben nicht weit entfernt von den Grenzen der EU Bürgerkriege, werden Menschen politisch verfolgt, sind Millionen auf der Flucht. Syrien ist dafür nur ein Beispiel. Die Zeit drängt, dass Europa endlich entschlossen auf die dramatische Flüchtlingsproblematik reagiert. Die Welt erwartet zu Recht, dass sich die EU hier stärker engagiert und die Regionen vor seiner Haustür nicht alleine lässt.

Der kleine Libanon dagegen hat bislang - bei wesentlich schlechteren wirtschaftlichen Voraussetzungen als im reichen Europa - weit mehr als eine Million Menschen aus Syrien aufgenommen. Hinzu kommen rund eine halbe Million Flüchtlinge aus Palästina und dem Irak. Das entspricht weit mehr als einem Viertel der Gesamtbevölkerung des Landes. Der Libanon steht für viele andere Regionen der Welt - vor allem auch in Afrika -, wo Fluchtbewegungen und Migrationsdruck besonders groß sind, die Wanderungen der Menschen aber in der gleichen Region enden und dort die humanitären und wirtschaftlichen Probleme weiter verschärfen. Nur ein Bruchteil der weltweiten Flüchtlinge vor Krieg, Bürgerkrieg, Verfolgung, Armut und Hunger erreicht überhaupt die Grenzen Europas.

MeinungFlüchtlingspolitik in Europa
:Ein Zaun als Wahrzeichen des Unrechts

Im spanischen Melilla schützt sich Europa mit einem scharfkantigen Zaun vor den Flüchtlingen Afrikas. Doch er hält die Migranten nicht ab, er erhöht nur die Zahl der Toten und Verwundeten. Die Abschreckung am Südrand Europas funktioniert nicht mehr, höchste Zeit, nach neuen Wegen im Umgang mit den Flüchtlingen zu suchen.

Ein Kommentar von Stefan Klein

Gewiss, zuletzt hat sich die Zahl der Flüchtlinge und Asylsuchenden nicht nur in Deutschland deutlich erhöht; allerdings in einer Dimension, die keinen Vergleich mit dem aushält, was den Staaten in den Fluchtregionen an Lasten und Verantwortung aufgebürdet wird.

Die EU-Staaten brauchen eine Quotenregelung

Dennoch sind die bekannten Bedenkenträger schnell wieder mit ihren Parolen von "Überforderung" und "Missbrauch" zur Stelle. Gerade wegen der Ergebnisse der jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament sollte die EU eine Korrektur ihrer Flüchtlings- und Migrationspolitik einleiten. Das alte Festungsdenken Europas ist dabei die denkbar schlechteste Voraussetzung. Die Lehre aus dem Erstarken der Protestparteien bei den Europawahlen darf nicht sein, deren radikalen Parolen nun eilfertig nachzulaufen.

Denn eine Reform der europäischen Flüchtlingspolitik ist überfällig. Die bisherige Praxis hat die Menschen weder von der Flucht in Richtung Europa abgehalten, noch ist eine angemessene Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU-Staaten verwirklicht. Und diese Praxis ist nicht zuletzt ökonomisch verfehlt, schon weil sie vergeblich versucht, eine strikte Trennung zwischen Flucht und Migration aufrecht zu erhalten, statt die immer stärkere Verflechtung von Wanderungsmotiven und dem eigenen Arbeitskräftebedarf zu berücksichtigen.

Bisher ist für Asylsuchende jeweils der EU-Staat zuständig, den die Flüchtlinge als erstes erreichen - das sind vor allem die Mittelmeeranrainer Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Malta und Zypern. Diese Regelung ist längst nicht mehr praktikabel und verantwortbar, weil sie diesen Staaten enorme Lasten aufbürdet. Stattdessen muss innerhalb der EU rasch ein verlässliches Quotensystem geschaffen werden, das die Verteilung von Flüchtlingen in den einzelnen Mitgliedsländern angemessen organisiert und zugleich den Aufenthalt der Asylsuchenden mit mehr Umsicht und weniger Emotionen gestaltet. Das bereits im Jahr 2010 errichtete Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) sollte stark eingebunden sein und mit mehr Kompetenzen ausgestattet werden.

In den innenpolitischen Debatten über Zuwanderung wird oft eines übersehen: Ein beachtlicher Teil der Flüchtlinge bringt gute berufliche Qualifikationen mit, die auf vielen europäischen Arbeitsmärkten gesucht werden. Diese Menschen dürften auch überdurchschnittlich motiviert sein. Die verbreiteten Hürden für den Zugang zum Arbeitsmarkt und die Arbeitsverbote für diesen Personenkreis sind schon lange nicht mehr zeitgemäß, wohl aber mitverantwortlich dafür, dass Asylsuchende häufig mit illegalen Einwanderern gleichgesetzt werden.

Hier wäre eine Reform überfällig. Flüchtlinge und Asylsuchende sollten für die Dauer ihrer Prüfverfahren eine regional beschränkte legale Arbeitsmöglichkeit erhalten und ihren Lebensunterhalt damit selbst erwirtschaften können, statt dass sie zur Untätigkeit gezwungen werden und der Staat sie finanziert. Könnten sie aber für sich selbst sorgen, hätten sie im Falle der Anerkennung verbesserte Startchancen. Auch der Übergang in ein reguläres Zuwanderungsverfahren muss für gut qualifizierte Flüchtlinge möglich werden. Es ist schade, dass wir Europäer bislang solche Wege versperren, obwohl wir doch selbst von einer Reform profitieren könnten.

Die EU braucht nicht etwa weniger Zuwanderung, wohl aber eine bessere Steuerung des Zuzugs und zugleich eine besser abgestimmte Flüchtlingspolitik. Es entscheidet damit auch über strategische Fragen. Afrika als Hauptherkunftsregion von Armutsflüchtlingen steht in seiner wirtschaftlichen Entwicklung trotz einiger Fortschritte weiterhin am Anfang. Viele Staaten dort sind reich an Ressourcen, aber verwundbar durch Naturkatastrophen, ethnische Konflikte oder radikalfundamentalistische Angriffe. Durch eine intensivere Entwicklungszusammenarbeit, durch Angebote bei Ausbildung und Arbeit könnte Europa viel dazu beitragen, Armut und Perspektivlosigkeit als eine Hauptursache von Flucht zu bekämpfen. Denn es fehlt dem afrikanischen Kontinent nicht an den Potenzialen in den Köpfen seiner Menschen.

Europa braucht mehr Offenheit

Auch die Entwicklungszusammenarbeit ist Teil einer vorausschauenden Flüchtlingspolitik und würde ihrer Aufgabe besser gerecht, wenn sie noch stärker auf die lokalen Arbeitsmärkte hin ausgerichtet werden würde. Europa, selbst ein Ergebnis vielfältiger ethnischer Wurzeln, braucht mehr Offenheit und muss jetzt die Weichen für eine zukunftsorientierte Migrations- und Asylpolitik stellen.

Wie jüngst in einer gemeinsamen Erklärung von führenden Arbeitsökonomen aus zehn EU-Ländern gefordert, gilt es, die freie Mobilität von Arbeitskräften innerhalb der Union zu verbessern und der Bevölkerung die ökonomischen Vorteile gezielter Zuwanderung von außen besser darzustellen als bisher geschehen. Sonst haben europa- und migrationskritische Kräfte zu leichtes Spiel und treiben Europa auf einen riskanten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kurs. Und die Flüchtlinge werden kommen. Beim EU-Innenministertreffen in Luxemburg hieß es am Donnerstag, die Lage dieser Menschen sei im Mittelmeerraum weiterhin "sehr kritisch".

© SZ vom 06.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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