Debatte über Videoüberwachung:Ritual mit Nebenwirkungen

SPD und Gruene lehnen mehr Videoueberwachung ab

Regelmäßig kehrt die Debatte über die Ausweitung der Videoüberwachung zurück - doch lässt sich der Erfolg überhaupt messen?

(Foto: dapd)

Nach den Anschlägen von Boston fordern Unionspolitiker einen Ausbau der Videoüberwachung in Deutschland. Ein politischer Reflex, auf den vom politischen Gegner wie immer Skepsis folgt. Der Nutzen der Kameras lässt sich kaum messen - auch und gerade bei den jüngsten Terrorakten.

Von Johannes Kuhn

Die Pflege der Traditionen gehört zu den zentralen Zielen der CSU. Das steht auch so in ihrem Grundsatzprogramm. Insofern machte sich Innenminister Hans-Peter Friedrich einmal mehr für die Pflege des sicherheitspolitischen Brauchtums verantwortlich, als er anlässlich des Bombenanschlags in Boston mal wieder die Ausweitung der Videoüberwachung in Deutschland forderte.

Die politische Tradition verlangt es offenbar spätestens seit der Amtszeit von SPD-Innenminister Otto Schily (1998-2005) , die Überwachungsdebatte in steter Regelmäßigkeit in den Politbetrieb einzuspeisen - ob bei Anschlägen im Ausland, vereitelten Terrorakten im Inland oder besonders brutalen Formen von Straßengewalt. Der Verlauf ist entsprechend ritualisiert: Aus der Union gibt es Beifall, die SPD gibt sich differenziert skeptisch, die FDP weist die Forderung zurück, Grüne und Linke sehen konservative Reflexe am Werk.

Eine sinnvolle Diskussion um Videoüberwachung scheitert unter anderem daran, dass es kaum verlässliches Zahlenmaterial über deren Wirksamkeit gibt. Das Bundesinnenministerium führt eine Statistik vom 1. Januar 2011 bis zum 30. April 2012 an. In diesem Zeitraum konnten demnach mittels Videotechnik 3639 strafrechtliche Delikte entdeckt werden. Durch den Videobeweis seien 1230 Fälle aufgeklärt worden. Doch solche Statistiken sind mit Vorsicht zu genießen, denn aus ihnen geht nicht hervor, wie viele der Fälle ohne Videokameras entdeckt und aufgeklärt worden wären.

"CCTV hat vollendete Tatsachen geschaffen"

Die Kriminologin Emmeline Taylor analysierte in einem Fachaufsatz aus dem Jahr 2010 zahlreiche Untersuchungen zum Erfolg der Videoüberwachung in Großbritannien, wo mehr Studien vorliegen und Schätzungen zufolge 56.000 Überwachungskameras ("Closed-circuit television, kurz CCTV) im öffentlichen Raum installiert sind. Sie kam zu dem Schluss, dass viele Statistiken und Studien schlicht unbrauchbar seien: "CCTV hat vollendete Tatsachen geschaffen, unabhängig davon, dass man über die Wirksamkeit keine gültigen Aussagen treffen kann."

Jörg Ziercke, Chef des Bundeskriminalamts, erklärte dem Focus, dass Videoüberwachung "abschreckend wirken und auch entscheidend bei der Aufklärung von Straftaten helfen" könne. Das Beispiel Boston zeigt, dass diese Aussage so schwer zu widerlegen wie beweisen ist: Die Attentäter deponierten ihre Bombe an einem Ort mit sehr großer öffentlicher Aufmerksamkeit - dem Zielraum des Marathons. Das Argument der Abschreckung ist also anekdotisch durchaus widerlegbar, wie in Deutschland beispielsweise die wiederholten Übergriffe an gut überwachten Orten wie U-Bahn-Stationen zeigen.

Bahnhöfe im Mittelpunkt der Debatte

Auch die Aufklärung des Anschlags hing von unterschiedlichen Faktoren ab: Viele Bilder von den Attentätern stammten aus Überwachungskameras, die in Geschäften rund um die Ziellinie installiert waren; ein Aufruf des FBI, mit Smartphones geknipste Bilder vom Zielraum zu schicken, brachte ebenfalls neue Fotos. Schließlich aber war es ein schwerverletzes Opfer des Anschlags, das dem FBI einen der Täter beschreiben konnte.

Auf der anderen Seite legt der Bombenfund am Bonner Hauptbahnhof im Dezember 2012 nahe, dass es bei der Videoüberwachung tatsächlich Defizite gibt: Weil die Kameras dort keine Aufzeichnungen anfertigten, konnte die Person nicht identifiziert werden, die eine Sporttasche mit einer Bombe an Gleis 1 abstellte. Da der Sprengsatz mangelhaft konstruiert war, kam es nicht zur Explosion - doch die einzigen Bilder des mutmaßlichen Täters lieferte die Überwachungskamera des sich am Gleis befindlichen Fast-Food-Restaurants.

Allerdings: Ein Bahnhof ist kein öffentlicher Raum wie etwa ein Marktplatz, über das Sicherheitskonzept müssen sich Bahn und Bundespolizei einigen. Die Bundesregierung erklärte in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Grünen-Abgeordneten (PDF-Dokument), dass derzeit 495 deutsche Bahnhöfe mit insgesamt 3800 Videokameras ausgestattet sind; 141 Bahnhöfe zeichnen die Videobilder auf.

Geht es um die Bahn-Verhandlungen?

Dem Innenministerium ist dies nicht genug, laut einer Umfrage hielten auch 81 Prozent der Bundesbürger kurz nach dem Vorfall eine Ausweitung für geboten. Zwischen Bahn und Bundespolizei laufen gerade Gespräche: Dass Friedrich ebenso wie Unions-Sicherheitspolitiker Wolfgang Bosbach Bahnhöfe derzeit als Paradebeispiel für einen notwendigen Ausbau der Videoüberwachung nennt, darf deshalb als subtile Erhöhung des Drucks auf die Bahn interpretiert werden - immerhin geht es am Ende auch darum, wer die Kosten übernimmt.

Bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht man das Gerede über technische Lösungen kritisch. "Die reine Videoüberwachung alleine reicht nicht, sondern es geht darum, dass auch Uniformierte vor Ort Präsenz zeigen", erklärt Sprecher Michael Zielasko. Dem Statistischen Bundesamt zufolge ist die Zahl der Stellen im Bereich der Polizei- und Sicherheitsbehörden (inklusive Verwaltungspersonal) seit 1998 von etwa 316.000 auf etwa 296.000 gesunken.

Technik statt Menschen - dieser Trend könnte sich fortsetzen: Einem Bericht der Welt will das Innenministerium im Jahr 2014 mehr Geld für Videoüberwachung im Haushalt beantragen.

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