Debatte über Sterbehilfe:Hilflos angesichts der Hilflosigkeit

Der Bundestag berät über die Patientenverfügung: Was ein Medizinrechtler erlebt hat, der wegen Sterbehilfe verurteilt wurde.

Charlotte Frank

Vielleicht liegt es daran, dass der Prozess inzwischen schon zwei Monate zurückliegt, vielleicht auch daran, dass die tiefliegende Sonne über den Hügeln von Mittelfranken den Ärger vergessen lässt, jedenfalls sieht Wolfgang das alles an diesem milden Juniabend schon wieder ganz gelassen: dass ihm Mord und Totschlag vorgeworfen wurde, zum Beispiel, und dass man ihn zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt hat. Dass er beschuldigt wurde, sich zum "Herrn über Leben und Tod" aufzuschwingen. "Das ist so grotesk, dafür habe ich null Emotionen", sagt er. Mit einem kleinen Lächeln und einer hochgezogenen Augenbraue.

Wolfgang Putz, oh

Weil der Anwalt Wolfgang Putz der Tochter einer Komapatientin empfahl, die Magensonde zu druchtrennen, wurde er verurteilt.

(Foto: Foto: oh)

Wer darf sterben?

In Holzfällerhemd und Trekkinghose fällt Wolfgang Putz nicht weiter auf unter den Touristen auf dem Reithof in Franken, auf dem er Urlaub macht, und wahrscheinlich ist ihm das lieb nach all dem Rummel: Putz ist einer der prominentesten Medizinrechtler Deutschlands, und er ist vorbestraft wegen versuchten Totschlags: Am 30. April sprach ihn das Landgericht Fulda der aktiven Sterbehilfe schuldig - obwohl selbst der Richter damals einräumte, dass Putz im Sinne der Patientin gehandelt hatte.

"Das Urteil ist an Unlogik kaum zu überbieten", findet Putz. Das Urteil zeigt aber auch wie kaum ein anderes die Hilflosigkeit der Menschen, wenn es um das Thema Sterben geht. Hilflos sind nicht nur die Gerichte, hilflos sind auch Ärzte, Heime, Angehörige: Wer darf sterben? Und unter welchen Umständen? Braucht der Tod Regeln? Um diese Fragen geht es, wenn der Bundestag an diesem Donnerstag abschließend über das Thema Patientenverfügungen berät - und sollten sich die Abgeordneten nach jahrelangem Gezerre einigen, könnten in Zukunft vielleicht Fälle wie der von Wolfgang Putz und Erika K., der von ihrer Tochter schließlich die Magensonde durchtrennt wurde, vermieden werden.

Mündliche Vereinbarung

Als Wolfgang Putz das Mandat für die Familie von Erika K. übernahm, dämmerte die Patientin schon seit mehr als fünf Jahren im Wachkoma vor sich hin, in einem Heim in Bad Hersfeld. Ein Arm war ihr amputiert worden, nachdem Pfleger ihn beim Umbetten gebrochen hatten. Wozu braucht eine Wachkoma-Patientin auch einen Arm, die merkt ja eh nichts mehr, hieß es. Tatsächlich war Erika K.s einzige verbleibende Verbindung zum Leben der Schlauch einer Magensonde, durch den sie künstlich am Leben gehalten wurde. Das aber widersprach allem, was Frau K. ihren Kindern immer wieder gesagt hatte: So wolle sie nie enden.

Als "mündliche Patientenverfügung" wird so eine Willensäußerung in den Anträgen bezeichnet, die dem Bundestag vorliegen, im weitreichendsten Entwurf werden diese mündlichen Bekundungen als verbindlich anerkannt: Ärzte müssten demnach einen Menschen unabhängig vom Stadium der Erkrankung sterben lassen, auch wenn er dies nie schriftlich festgehalten hat. Andere Entwürfe sehen strengere Hürden vor: So soll eine Patientenverfügung etwa nur dann verbindlich sein, wenn sie schriftlich abgefasst oder nach Beratung durch einen Arzt geschrieben wurde. Andernfalls, befürchten Kritiker, würden die Patientenverfügungen zu weitreichend und das Leben könne zu leicht beendet werden.

Auch Erika K.s gesetzliche Betreuerin sah die mündliche Patientenverfügung nicht als bindend an und verweigerte den Abbruch der künstlichen Ernährung - so lange, bis ihre Kinder vor Gericht die Vormundschaft erstritten, um ihre Mutter sterben zu lassen. Wolfgang Putz beriet sie dabei, wie er es in seinen 32 Jahren als Anwalt schon mehr als 250 Mal getan hatte - so oft hat er für Menschen, die nur noch durch eine Sonde oder eine Beatmungsmaschine am Leben gehalten wurden, den Tod erstritten.

Kein anderer Anwalt in Deutschland hat so viele "Sterbemandate" hinter sich; das Gebiet wird gemieden, weil es als eines der heikelsten der Rechtswissenschaft gilt. "Dabei ist es eigentlich ganz leicht", meint Putz und lässt sich schwer in den Korbstuhl fallen: "Wenn ein todkranker, aber seelisch gesunder Mensch sagt: ,Herr Doktor, ich will nicht mehr leben', dann muss man ihn sterben lassen". Im Hintergrund zerreißt ein Pferdewiehern die Stille, das klingt wie ein nervöses Lachen über das, was der Anwalt gerade gesagt hat.

Ein glatter Schnitt über der Bauchdecke

Kurz vor Weihnachten 2007 war es soweit: Erika K. sollte ihren Willen bekommen. Die künstliche Ernährung wurde eingestellt, durch die Sonde tröpfelte nur noch Wasser, und ganz leise schlich sich Erika K.s Leben davon - bis das Heim es wieder einfing, mit einem Ultimatum an die Angehörigen: Binnen 15 Minuten sollten sie die Ernährung wieder zulassen, ansonsten würden sie des Hauses verwiesen. Da riet ihnen Wolfgang Putz, das Leben einfach abzuschneiden - und Erika K.s Tochter griff sich eine Schere und kappte die Sonde. Ein glatter Schnitt, direkt über der Bauchdecke.

"Juristisch war das zulässig", glaubt Putz bis heute - auch wenn das Heim sofort die Staatsanwaltschaft alarmierte und die Kriminalpolizei, auch wenn Erika K. ins Krankenhaus gebracht wurde und eine neue Sonde bekam - mit der sie eine Woche später von alleine starb - und auch wenn er selbst zuletzt vor Gericht verurteilt wurde. K.s Tochter hingegen wurde wegen "Verbotsirrtums", also Unwissenheit, freigesprochen. "Das Verrückte an der Sache ist, dass das Gericht in Fulda anerkannt hat, dass die geplante Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung rechtswidrig war", sagt Putz.

Berührungsängste mit dem Tod

Inzwischen drückt die Nacht auf den Reiterhof, die Wirtin hat Kerzen nach draußen gebracht. Angezogen vom Licht schwirren hektische Mücken durch die Luft, während Putz ruhig über das Sterben und den Tod spricht. "Es gibt kaum ein anderes Thema, bei dem selbst blitzgescheite Leute die Logik so leicht ausschalten", sagt er und zerquetscht eine Mücke. Und dass er zuletzt verurteilt wurde, nun ja, "die Menschen vergaloppieren sich eben, wenn Emotionen ins Spiel kommen". Er hat gleich nach seiner Verurteilung Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt und rechnet fest damit, freigesprochen zu werden.

Dann, meint Putz, hätte das Fuldaer Landgericht ihm und den Verfechtern des freien Patientenwillens am Lebensende sogar einen Gefallen getan: "Durch meinen Freispruch würde endlich von oberster Stelle bestätigt, dass mündliche Patientenverfügungen bindend sind", hofft er. Außerdem würde die strafrechtliche Unsicherheit und die Angst der Anwälte und Ärzte beendet. Dass das eigentlich Aufgabe des Bundestags ist, steht auch für Putz fest. Doch seine Hoffnung auf eine Einigung ist gering, zu umkämpft sei das Thema unter Politikern und zu groß die Berührungsängste.

"Es heißt ja immer, Sterben ist etwas Schlimmes", sagt er. Sieht er das denn nicht genauso? Nein, sagt Putz, dafür habe er schon zu viele Menschen gesehen, die zum Leben gezwungen wurden. "Sterben ist einfach nur das Ende", sagt er. Und pustet die Kerze aus.

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