Debatte über Roma in Frankreich:Szenen der Verbitterung

Bischöfe, Linke und internationale Organisationen haben Präsident Sarkozys Versuch satt, auf dem Rücken der Roma Stimmung zu machen. Allerdings vergreifen sich beide Parteien im Ton.

Stefan Ulrich

Normalerweise sieht es die französische Linke nicht gern, wenn die Kirche in der Politik mitmischt. Doch es herrschen keine normalen Zeiten in Frankreich. Seit Wochen lässt die Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy unter propagandistischem Getöse illegale Roma-Lager niederreißen und Hunderte Roma in ihre Heimatländer Rumänien und Bulgarien bringen.

French police inspect an illegal Roma camp in Aix-en-Provence

Französische Polizisten kontrollieren in einem illegalen Roma-Camp in Aix-en-Provence die Identität der Bewohner.

(Foto: Reuters)

Dies führt zu ungewöhnlichen Allianzen. Die katholischen Bischöfe geißeln die Politik der konservativen Regierung und erhalten Lob von der Linken. Es entspreche der Rolle der Kirche, eine Debatte über das gesellschaftliche Leben zu führen, versichert Jean-Luc Mélenchon, der Chef der Linkspartei. Natürlich brauche auch der Papst über die Roma-Politik nicht zu schweigen.

Vorausgegangen sind viele Aktionen von Kirchenleuten. Kardinal André Vingt-Trois, der Präsident der Bischofskonferenz, erinnerte die Regierung daran, es gebe Grenzen, die sie nicht überschreiten dürfe. Éric Aumonier, der Erzbischof von Versailles, besuchte demonstrativ ein Roma-Lager. Der Papst in Rom forderte in französischer Sprache dazu auf, andere Menschen in ihrer "legitimen Unterschiedlichkeit" zu akzeptieren - ein Fingerzeig an Sarkozy.

Entgleisungen bei Befürwortern und Gegnern

Andere Geistliche ließen sich von ihrer Empörung fortreißen. So sagte ein Priester: "Ich bitte um Vergebung, doch ich bete dafür, dass Sarkozy einen Herzinfarkt bekommt." Auch die Gegenseite fällt aus der Rolle, etwa wenn der Präsidenten-Berater Alain Minc schwadroniert, Benedikt XVI. sei als Deutscher ein Erbe der Geschichte des Nazi-Regimes und nicht berechtigt, sich zu den Roma zu äußern. Die Debatte über den Umgang mit den schätzungsweise 15.000 in Frankreich lebenden Roma rumänischer oder bulgarischer Nationalität scheint zu entgleisen.

Sarkozy hatte Ende Juli angekündigt, schärfer gegen illegal im Land lebende Roma vorzugehen. Seine Kritiker werfen ihm vor, er mache auf dem Rücken einer Minderheit Stimmung. Das ist Sarkozy gelungen. Doch es fragt sich, ob sich dies in Stimmen auszahlt.

Zwar dürfte eine Mehrheit der Franzosen seinen Kurs gegen die Roma gutheißen. Die Kritik im Aus- und Inland aber könnte viele Bürger umstimmen. Sie reicht von den Vereinten Nationen über die EU, den Vatikan, Amnesty International und den linken französischen Oppositionsparteien bis ins Herz der Regierung. Nahezu täglich distanziert sich ein Kabinettsmitglied von der Roma-Politik. Am Wochenende war es der Verteidigungsminister, am Montag der Außenminister, am Dienstag die Staatssekretärin für Städtebau. Sie sagte: "Ich habe mich immer gegen die Ausweisungen eingesetzt."

Schärferer Kurs gegen Illegale, Diebe und Bettler

Sarkozys Getreue wie Innenminister Brice Hortefeux aber wollen ihren Kurs noch verschärfen. Sie kündigen neue Gesetze an, die sich direkt oder indirekt gegen die Roma richten. Diese Regeln sollen es erleichtern, illegale Lager zu räumen und Menschen bei wiederholten Diebstählen oder aggressivem Betteln abzuschieben. Zudem sollen solche Menschen des Landes verwiesen werden, die den Sozialstaat "unvernünftig belasten".

Ausgewiesene Roma aus Frankreich in Rumänien angekommen

Rückkehr ohne Freude: Aus Frankreich ausgewiesene Roma bei ihrer Ankunft in Rumänien.

(Foto: dpa)

Regierungsvertreter betonen, die Freizügigkeit in der EU gelte nicht uneingeschränkt. Sie stelle kein "Alibi für eine massive Einwanderung" dar und könne zur Kriminalitätsbekämpfung begrenzt werden. Zudem dürften Unionsbürger nur dann länger als drei Monate in einem anderen EU-Staat bleiben, wenn sie eine Arbeit oder sonst ausreichende Einkünfte nachweisen können.

Gerade dies fällt den Roma schwer, da sie - wie alle Rumänen und Bulgaren - bis 2014 nur unter kaum zu erfüllenden Bedingungen in Frankreich arbeiten dürfen. Die Regierung rechtfertigt ihre strikte Haltung mit der öffentlichen Sicherheit. Hortefeux legt Statistiken vor, nach denen Rumänen oft straffällig würden. "In Paris ist heute fast jeder fünfte Dieb ein Rumäne", sagt der Innenminister. Zugleich gibt er bekannt, seit Ende Juli seien 128 illegale Lager geräumt und 977 Roma ausgeflogen worden. Diese Aktionen sollten nun beschleunigt werden.

Populismus statt nachhaltiger Politik

Auch Kritiker der Regierung müssen eingestehen, dass viele Roma in Frankreich - wie in manchen anderen EU-Ländern - unter schlimmen Bedingungen hausen müssen. Etliche wohnen in Baracken- und Wohnwagensiedlungen ohne fließend Wasser und Strom. Manche Frauen und Kinder werden von kriminellen Banden gezwungen, zu betteln oder sich zu prostituieren. Auch siedeln viele Roma illegal auf fremdem Grund, weil sie für sich keinen anderen Platz sehen. Eine Regierung darf dem nicht tatenlos zusehen.

Die Kritiker bemängeln vor allem die Art, wie die Regierung das Problem angeht. Statt sich um Arbeit und Wohnraum für die Roma zu bemühen, vertreibe sie diese mit populistischen Aktionen. Die meisten der Abgeschobenen kämen bald nach Frankreich zurück, weil sie in Rumänien und Bulgarien keine Zukunft sähen.

Auch wird kritisiert, die Regierung bausche die Probleme mit manchen Roma auf. Frankreich habe derzeit wichtigere Dinge zu regeln. Die Bischöfe wirken daher entschlossen, der Regierung weiter zuzusetzen. Die katholische Kirche werde sich gegen Regeln wenden, die sie als zu hart empfinde, sagte der für Migration zuständige Bischof Claude Schockert am Dienstag. "Die Katholiken haben sich geändert. Die Zeiten, wo wir in unseren Kirchen blieben und nur über den Gottesdienst sprachen, sind vorbei."

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