Süddeutsche Zeitung

Debatte über Militärschlag gegen Iran:Warum Israel ein Horrorszenario heraufbeschwört

Ein Schurkenstück mit Pauken und Raketen: Israels Präsident Peres hat einen Krieg gegen Iran als "immer wahrscheinlicher" bezeichnet. Die Protagonisten in Jerusalem wollen die Welt so zu schärferen Sanktionen gegen Teheran antreiben - und lassen sich dabei auf ein hochgefährliches Spiel ein.

Peter Münch, Tel Aviv

Gegeben wird ein Schurkenstück mit Pauken und Raketen, und die Welt schaut wieder einmal gebannt auf die nahöstliche Bühne. Dort ringt Israel mit Iran, und wir befinden uns gerade ungefähr in der Mitte des Dramas. Dazu gehört: Der altehrwürdige Weise, bekannt für seine Friedfertigkeit und überzeugend gespielt von Schimon Peres, hat die Bühne betreten und warnt vor Krieg. Das Publikum erschaudert. Plötzlich weiß keiner mehr, ob das alles nur Theaterdonner ist, oder ob es wirklich ernst wird in diesem Spiel auf Leben und Tod.

Seit Jahren schon entfaltet sich der Konflikt zwischen Israel und Iran nach einer strengen Dramaturgie. Bislang hält sich jeder strikt an seine Rolle. Israels Aufgabe ist es in diesen Tagen, zu warnen und zu drohen. Denn voraussichtlich am Dienstag wird die Internationale Atomenergiebehörde IAEA ihren neuesten Bericht zum iranischen Atomprogramm vorlegen - mit der möglichst dramatischen Begleitmusik will die Regierung in Jerusalem die Welt zu schärferen Sanktionen antreiben gegen die heimlichen Bombenbauer von Teheran. Dies ist der Hintergrund für all die Angriffsszenarien, die derzeit öffentlich diskutiert werden, und auch für das Fernseh-Interview von Präsident Peres, in dem er nun einen Krieg gegen Iran als "immer wahrscheinlicher" bezeichnete.

Unmittelbare Kriegsgefahr droht also trotz der harschen Worte noch lange nicht. Alles bewegt sich im Rahmen der Regeln dieses Spiels. Ein höchst gefährliches Spiel ist das jedoch in jedem Fall. Denn weit mehr als vielleicht in Washington oder in den europäischen Hauptstädten wird die iranische Bombe in Israel nicht als abstrakte, sondern als sehr konkrete und vor allem: existenzielle Gefahr empfunden. Ein Volk, dessen kollektives Bewusstsein von der Verfolgung bis hin zum Holocaust geprägt ist, kann gar nicht anders, als die Vernichtungstiraden des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad wörtlich zu nehmen.

Allerdings weiß man auch in Israel, welche begrenzten Erfolgsaussichten und zugleich weitreichende Folgen ein Angriff im Alleingang auf die iranischen Atomanlagen haben würde. Mögen die Politiker - gern auch öffentlich - von der militärischen Option reden, so warnen die Spitzen des Militärs und der Geheimdienste eher hinter verschlossenen Türen sehr eindringlich vor den damit verbundenen Gefahren. Denn zum einen ist das allen Informationen zufolge über Bunker im ganzen Land verteilte iranische Programm von ganz anderer Qualität als der simple irakische Kernreaktor in Osirak, den Israels Luftwaffe 1981 zerstörte, oder als die 2007 in Schutt und Asche gebombte syrische Atomanlage. Zum anderen würde ein israelischer Militärschlag ganz gewiss nicht ohne Antwort aus Teheran bleiben. Ein Krieg wäre die Folge, der die gesamte Region in den Abgrund reißen könnte.

Genau dieses Horrorszenario ist es, das die Regierung in Jerusalem derzeit gezielt heraufbeschwört - um die Welt zu einer Alternative zu drängen. Seit Jahren klagt Israel darüber, dass die internationale Gemeinschaft viel zu lasch und viel zu langsam auf das iranische Atomprogramm reagiert. Die militärische Drohung wird mittlerweile als das einzig probate Mittel gesehen, um doch noch wirkungsvolle Sanktionen zu erreichen, denen sich nun endlich auch Russland und China anschließen müssten.

Im derzeitigen Stadium kann also noch die alte Regel gelten: Je lauter es aus Jerusalem tönt, desto unwahrscheinlicher ist ein Angriff. In der Drohung auf offener Bühne liegt also noch die Chance, dass sich die Dinge in der nahöstlichen Krisenregion zum Besseren wenden. Aber natürlich liegt darin auch die Gefahr, dass die Drohung nach Einlösung drängt, dass sich also irgendwann die derzeit noch gut gesteuerte Eskalation verselbständigt. Das Ende ist in diesem Stück aus den Niederungen der Weltpolitik noch längst nicht geschrieben.

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Quelle:
SZ vom 07.11.2011
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