Debatte über Luftangriff in Afghanistan:Jungs Ministerium kritisiert Bündnispartner

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Konfrontation statt Kooperation: Wegen des Luftangriffs mit Dutzenden Toten in Afghanistan haben sich die Deutschen scharfe Kritik von ihren Bündnispartnern eingehandelt - aus Berliner Sicht zu Unrecht: Verteidigungsstaatssekretär Schmidt hat die Vorwürfe jetzt mit klaren Worten zurückgewiesen.

Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt (CSU) hat die Verbündeten in Nato und EU zu Zurückhaltung mit öffentlichen Äußerungen über den Angriff auf zwei Tanklastwagen in Nordafghanistan aufgerufen.

"Mich irritiert, dass die Öffentlichkeit gesucht wird von anderen, obwohl sie wohl auch keinen anderen Informationsstand haben als wir", sagte der Christsoziale im ZDF.

"Untersuchungen abwarten"

Es könne nicht darum gehen, mit Spekulationen zu handeln. "Ich finde sogar, dass Außenminister aus anderen EU-Ländern durchaus die Untersuchungen abwarten sollen." Nötig seien klare Informationen, die die Bundeswehr derzeit gemeinsam mit Nato und Isaf sammle.

Irritiert zeigte sich Schmidt darüber, dass das US-Militär offenbar einen Journalisten an der Untersuchung des Vorfalls teilnehmen habe lassen, bei dem am Freitag in der Nähe von Kundus nach unterschiedlichen Angaben zwischen 50 und 125 Menschen getötet worden waren. Umstritten ist, ob es sich dabei ausschließlich um Taliban oder auch um Zivilisten handelte.

Schmidt sagte, es mache ihn "skeptisch", dass von den europäischen Außenministern so schnell Kritik geäußert werde. Dies hatte beispielsweise der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn getan.

Schmidt deutete an, dass die übrigen europäischen Länder seiner Ansicht nach zu wenig täten, um den zivilen Sektor zu stärken. Die Hälfte aller Polizisten zur Ausbildung einheimischer Kräfte in Afghanistan seien Deutsche, sagte er. Da hätten die europäischen Partner Nachholbedarf.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Sonntagabend eine zügige und umfassende Aufklärung des Luftangriffs zugesagt. Deutschland werde dafür alle relevanten Informationen bereitstellen, sagte sie bei einem Treffen mit dem britischen Premierminister Gordon Brown in Berlin.

Nato und EU dürfen sich nach Ansicht des Innenausschussvorsitzenden Sebastian Edathy in Afghanistan nicht in interne Auseinandersetzungen treiben lassen.

Angesichts kritischer Stimmen aus der Europäischen Union und der Nato sagte der SPD-Politiker der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, es wäre verheerend, wenn die tragischen Vorfälle um die Bombardierung der Tanklastwagen das Bündnis belasten würden.

"Absolutes Versagen"

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, Ulrike Merten (SPD), sagte im Deutschlandfunk, auch die deutschen Soldaten hätten allergrößtes Interesse an der Aufklärung der Ereignisse. Die Bundeswehr wisse, dass es immer auch um die Verhältnismäßigkeit der angewandten Mittel gehe. Merten wandte sich gegen die Festlegung eines festen Abzugstermins aus Afghanistan.

Sie forderte eine Sondersitzung zu dem Luftangriff. Sie werde den Mitgliedern des Gremiums eine außerordentliche Sitzung vorschlagen, damit die Obleute über die Hintergründe des Angriffs informiert würden, sagte Merten am Montag dem WDR.

Ähnlich äußerte sich Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier in der Süddeutschen Zeitung. "Eine konkrete Jahreszahl könnte in Afghanistan von den Falschen als Ermutigung verstanden werden", sagte der Minister. Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte am Samstag bei einem Wahlkampfauftritt gesagt, 2015 müsse das internationale Engagement am Hindukusch beendet sein.

Der Grünen-Afghanistan-Experte Winfried Nachtwei warf dem Verteidigungsminister "absolutes Versagen" vor. "Jetzt sind offene und konkrete Worte des Ministers gefragt, eine deutliche Entschuldigung an die Adresse der Familien der Opfer", sagte er der Frankfurter Rundschau.

Der Obmann der Linken im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, Wolfgang Gehrcke, rief die Mitglieder seiner Partei und alle Bürger für diesen Dienstag zu Mahnwachen und Demonstrationen gegen den Bundeswehr-Einsatz auf. "Der Krieg in Afghanistan eskaliert. Die Bundesregierung lügt, wenn sie immer noch nicht von einem Krieg spricht. Deutschland verantwortet den Tod vieler Zivilisten", erklärte Gehrcke laut Mitteilung.

Opferzahlen unklar

Die Untersuchung der Internationalen Schutztruppe Isaf zu dem Luftangriff im nordafghanischen Kundus dauert an. Die Öffentlichkeit werde nach deren Abschluss über das Ergebnis informiert, sagte ein Isaf-Sprecher in Kabul. Einen Zeitpunkt nannte er nicht.

Die Nato-geführte Isaf und eine Delegation von Präsident Hamid Karsai untersuchen den Vorfall vom vergangenen Freitag. Über die Opferzahlen gibt es unterschiedliche Angaben: Nach einem Bericht der Washington Post gingen erste Schätzungen der Nato-Untersuchungskommission von etwa 125 Toten aus, davon mindestens zwei Dutzend Zivilisten. Die Bundeswehr sprach von etwa 50 Toten aus.

Nach Angaben des Distrikt-Gouverneurs von Char Darah wurden mindestens 135 Menschen getötet, unter ihnen auch Kinder. Gouverneur Abdul Wahid Omarkhel sagte der dpa an diesem Montag, er habe eine Liste der Opfer erstellt und der Delegation von Präsident Karsai übergeben. Es sei unklar, wie viele der Toten Zivilisten gewesen seien. Unter den Opfern sei aber eine große Anzahl Kinder im Alter zwischen zehn und 16 Jahren. Ein Mitglied der Karsai-Delegation, das anonym bleiben wollte, bestätigte den Erhalt der Liste. Die Angaben würden überprüft, hieß es.

"Munition und Leichen durch die Taliban entfernt"

Laut Bild existiert ein Dokument, das die Version der Bundeswehr stützt. Wie die Zeitung an diesem Montag unter Berufung auf einen afghanischen Untersuchungsbericht meldete, gehen afghanische Offizielle davon aus, dass es bei der von einem deutschen Offizier angeforderten Attacke keine zivilen Opfer gab.

In dem ebenfalls an Karsai gerichteten Dokument, das unter anderem der Provinz-Gouverneur von Kundus, Mohammad Omar, der Polizeichef, der Provinzratsvorsitzende und ein Kommandeur der afghanischen Armee unterzeichneten, heißt es dem Blatt zufolge: "Durch die Explosion wurden 56 bewaffnete Personen getötet und zwölf Personen verletzt." Einer der Verletzten sei später im Krankenhaus gestorben.

Über den Ort des Geschehens schreiben die Offiziellen: "Der Tatort befindet sich weit entfernt von bewohnten Ortschaften. Die gefundenen Gegenstände, der Ort und die nächtliche Uhrzeit (2:30 Uhr) lassen den Schluss zu, dass alle Beteiligten den Taliban-Gruppierungen angehören." Am Tatort gefunden worden seien "zwei verbrannte Traktoren, zwei verbrannte Tanklastzüge, eine verbrannte Leiche, menschliche Überreste, mehrere verbrannte AK-47, dazugehörige verbrannte Magazine".

Noch vor dem Eintreffen der polizeilichen Untersuchungskommission seien Waffen, Munition und Leichen "durch die Taliban entfernt" worden. Die auf Anordnung von Präsident Karsai gebildete Untersuchungskommission, so der Polizeibericht, sehe es als bewiesen an, dass "alle Getöteten zu den Taliban und ihren Verbündeten gehören".

© Reuters/dpa/AP/plin/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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