Die Debatte über Flüchtlinge, Zuwanderung und Pegida ist auch ein Gefecht mit Zahlen. 95 Prozent aller Asylbewerber seien doch Wirtschaftsflüchtlinge, meinte ein Redner auf einer der Dresdner Pegida-Kundgebungen. Aus der CSU, die es als ihre Aufgabe sieht, Pegida-Sympathisanten anzusprechen, kommen ähnliche Stimmen. "Nur ein ganz geringer Bruchteil derjenigen, die zu uns kommen", sei asylberechtigt, sagte der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich kürzlich. "Wir müssen Antworten geben, was wir mit den anderen machen." Zahlen und Fakten sollen Missbrauch belegen, sollen der Angst vor vielen Flüchtlingen ein sachliches Fundament verleihen. Denn stimmt es nicht? Die sind doch fast alle nicht verfolgt, so hört man oft.
Nein, es stimmt nicht. Tatsächlich gehen etwa die Hälfte aller Asylverfahren, 48,5 Prozent, die in Deutschland inhaltlich geprüft werden, positiv für den Flüchtling aus. Im vergangenen Jahr waren es so viele wie lange nicht mehr. Es kommen also nicht nur deutlich mehr Flüchtlinge als früher, die meisten haben offenbar auch gute Gründe zu kommen. Dies geht aus Zahlen des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.
Offiziell stapelt das Ministerium von Innenminister Thomas de Maizière tief: In Pressemitteilungen gibt es allenfalls an, wie viele Flüchtlinge von allen erledigten Verfahren als schutzwürdig anerkannt wurden. 2014 waren das nur knapp ein Drittel. Das heißt allerdings nicht automatisch, dass die anderen Wirtschaftsflüchtlinge sind. Denn viele Anträge werden inhaltlich gar nicht geprüft, weil die Behörden feststellen, dass ein anderer EU-Staat für den Asylsuchenden zuständig ist und dieser in das Land zurückmuss. Erst dort stellt sich heraus, ob der Asylantrag berechtigt ist. Gut 45 000 solcher Fälle zählten die Asylbehörden allein 2014.
Knapp die Hälfte der Flüchtlinge erhält irgendeine Art des Schutzes, das heißt sie werden zum Beispiel als Asylberechtigte, Flüchtlinge im Sinne des Gesetzes oder auch als Personen anerkannt, die vorerst nicht abgeschoben werden dürfen. Doch erfahrungsgemäß erstreiten sich sogar noch mehr Asylbewerber ein zumindest vorübergehendes Bleiberecht, indem sie klagen. Mehr als jeder zehnte hat damit Erfolg. Das heißt, dass letztlich eine Mehrheit der Flüchtlinge auf die ein oder andere Weise anerkannt wird. Davon, dass nur ein "ganz geringer Bruchteil" akzeptiert wird, kann nicht die Rede sein. Nach Ansicht der Innenexpertin der Linken, Ulla Jelpke, muss sich der Umgang mit Flüchtlingen von Anfang an darauf ausrichten. "Die hohen Schutzquoten belegen eindrucksvoll, dass Asylsuchende von Beginn an integriert werden müssen. Denn in ihrer großen Mehrheit werden sie dauerhaft in Deutschland bleiben", sagt sie.
Über ein Jahr Ungewissheit
Die Zahlen des Innenministeriums zeigen aber auch Mängel der Asylpraxis: So müssen ausgerechnet Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern fliehen, besonders lange auf eine Asylentscheidung warten, im Schnitt mehr als zehn Monate. Bei Minderjährigen aus bestimmten Staaten dauert die Ungewissheit, die viele Antragsteller belastet, sogar noch deutlich länger, bei Afghanen 14,3 Monate und bei Äthiopiern 20,2 Monate. Selbst das Innenministerium räumt auf Nachfrage ein, dass solche Wartezeiten "durchaus kritisch zu betrachten sind". Die Zahl der Minderjährigen sei stark gestiegen, das Jugendamt und ein Vormund müssten beteiligt werden. Man habe mehr Personal eingestellt, um künftig zügiger zu entscheiden.
Für die Linke ist das keine Lösung, sie fordert eine grundsätzlich andere Asylpolitik. Die Fraktion beschloss am Dienstag einen Forderungskatalog, der demnächst in den Bundestag eingebracht werden soll. Man müsse die "bisherige Politik der Abschreckung konsequent beenden", heißt es in dem Antrag. Der Bund soll demnach die Kosten der Flüchtlingsversorgung übernehmen. Flüchtlinge sollen Hartz-IV-Leistungen erhalten, alle Arbeitsverbote und Beschränkungen für die Jobsuche sollen fallen, ebenso alle Reisebeschränkungen.
Zudem fordert die Linke, noch mehr Asylprüfer einzustellen, um den Menschen schneller Gewissheit zu geben. Wenn es die Behörden drei Jahre lang nicht geschafft haben, eine Entscheidung zu fällen, sollen die Menschen automatisch als Flüchtlinge anerkannt werden. Keine leichte Aufgabe für das zuständige Bundesamt: dort liegen fast 170 000 Anträge - unerledigt.
In einer früheren Version dieses Textes waren die Zahlen missverständlich dargestellt worden. Wir haben dies präzisiert.