Debatte über EU-Beitritt:Schröder attackiert Merkels Türkeipolitik

Angela Merkel gerät wegen ihrer Türkeipolitik immer stärker in die Kritik. Jetzt hat sich Altkanzler Gerhard Schröder zu Wort gemeldet - mit Forderungen an die Regierung.

Unter der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder (SPD) hat sich Deutschland meist als engagierter Förderer eines EU-Beitritts der Türkei hervorgetan - seit Angela Merkel (CDU) regiert, hat sich das geändert: Die Kanzlerin favorisiert eine "privilegierte Partnerschaft" - anstatt einer Vollmitgliedschaft des Landes in der EU.

An dieser Position scheint sie weiterhin festhalten zu wollen - auch wenn sie bei ihrem Besuch in Ankara Anfang der Woche öffentlich einräumte: Sie habe inzwischen gelernt, dass der Begriff einer privilegierten Partnerschaft in der Türkei "gar keine gute Ausstrahlung hat".

Schröder wirbt für Beitritt

Schröder findet es "gut", dass Merkel immerhin den Ausdruck "privilegierte Partnerschaft" offenbar als "unglücklich empfindet", wie er die Deutschen heute via Bild wissen ließ. Er selbst geht in seinem Gastbeitrag für die Zeitung sogar noch weiter: "Dieser Begriff sollte aus der politischen Debatte verschwinden."

Schröder sprach sich - im Gegensatz zu Merkel - nachdrücklich für einen EU-Beitritt der Türkei aus und forderte die Bundesregierung auf, Ankara auf dem Weg in die Europäische Union zu unterstützen.

"Die Türkei gehört schon jetzt zu den 20 größten Volkswirtschaften der Welt; sie ist wirtschaftlich weitaus stärker als etwa die EU-Mitglieder Schweden, Polen oder Belgien. Und das wirtschaftliche Tempo in der Türkei ist rasant. Diese Chance müssen wir Deutschen nutzen. Deshalb bin ich ein Befürworter der EU-Mitgliedschaft der Türkei."

"Auf mutigem Reformweg"

Das Land habe sich unter der Führung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan auf einen mutigen Reformweg begeben. "Die Schritte, die getan werden, haben durchaus historischen Charakter", so Schröder. Das betreffe sowohl die "grundlegende Demokratisierung, die Kurdenpolitik ebenso wie den Verständigungsprozess, der mit Armenien begonnen wurde".

Deutschland und die EU seien gut beraten, "die Türkei dabei zu unterstützen, denn wir sehen, dass die Pro-Europäer in der Türkei auf große Widerstände treffen". Eine nationalistische Politik in der Türkei wäre fatal und würde das Land isolieren und zurückwerfen - und in der Folge "unsere Sicherheit in Europa gefährden".

Der SPD-Politiker begrüßte zugleich den Vorstoß des türkischen Regierungschefs, der sich für die Gründung deutsch-türkischer Schulen stark gemacht hatte. "Erdogan hat einen guten Vorschlag gemacht. Wir brauchen in unserem Land mehr deutsch-türkische Schulen, denn das hilft nicht nur bei der Integration, sondern es bringt unserem Land auch ein Stück mehr Internationalität."

"Ideologie statt Politik"

Unzufrieden mit dem Kurs der Bundesregierung ist auch der amtierende SPD-Chef Sigmar Gabriel. Er griff Merkel scharf an: Im Gespräch mit der Berliner Zeitung sagte er, Merkel mache aus innenpolitischen Gründen "Ideologie statt Politik" gegenüber der Türkei. "Sie opfert die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands in den deutsch-türkischen Beziehungen, nur um innenpolitisch vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen von antitürkischen Ressentiments profitieren zu können", wird Gabriel zitiert.

Statt eine Debatte über den EU-Beitritt des Landes zu führen, solle die Kanzlerin konkrete Ziele wie eine Verdoppelung des Handelsvolumens binnen fünf Jahren setzen, empfahl der SPD-Chef.

Auch die FDP kritisiert die Türkeipolitik der Kanzlerin - und fordert von ihr ein Machtwort: Die grundsätzliche Ablehnung des Beitritts durch zahlreiche Vertreter der CDU und CSU stehe nicht im Einklang mit dem Koalitionsvertrag, sagte der europapolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Link, der Süddeutschen Zeitung. "Wir würden uns wünschen, dass die Kanzlerin den Koalitionsvertrag auch in der eigenen Partei durchsetzt."

Der FDP-Politiker kritisierte, mit dem Thema Türkei werde wie bei einem "Pawlowschen Reflex" innenpolitisch Stimmung gemacht. Die Entscheidung über eine EU-Mitgliedschaft der Türkei stehe aber erst in vielen Jahren an. "Die Kritiker der Beitrittsverhandlungen verkennen, dass die Türkei enorm an strategischer Bedeutung gewonnen hat", sagte Link. "Und sie verkennen, dass wir eigentlich schon längst eine privilegierte Partnerschaft mit der Türkei haben."

"Schwieriger Prozess"

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), warb für eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU. "Ankara ist nicht nur ein gewaltiger Wachstumsmarkt, sondern auch ein wichtiger außenpolitischer Partner in der Region", sagte der Politiker der Passauer Neuen Presse.

Allerdings schränkte er ebenfalls ein, das sei keine Frage von heute oder morgen. "Die Beitrittsverhandlungen werden aber sicher noch viele Jahre in Anspruch nehmen. Das bleibt ein schwieriger Prozess."

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe wies unterdessen die Kritik an der Türkeipolitik der Kanzlerin zurück.

Gröhe sagte mit Blick auf die Äußerungen Merkels zum EU-Beitritt der Türkei der Nachrichtenagentur ddp: "Freunde, wie es Deutschland und die Türkei seit Jahrzehnten sind, sollten ehrlich und respektvoll miteinander umgehen. Dabei können die Meinungen auch unterschiedlich sein."

Es sei richtig, über Alternativen nachzudenken, wenn die innere Entwicklung der Europäischen Union und der Türkei - wirtschaftlich wie politisch - am Ende nicht zu einer Vollmitgliedschaft führe.

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