Debatte über Engagement in Syrien:"Geh' im großen Stil rein oder bleib zu Haus"

Noch immer liefert Russland Waffen nach Damaskus und gilt deshalb als Komplize des tyrannischen Assad-Regimes. Doch Russlands Zögern hat Gründe - warum eine militärische Intervention in Syrien ungleich gefährlicher wäre als zum Beispiel der Einsatz des Westens in Libyen.

Sonja Zekri

Russen geraten bei politischen Debatten im Nahen Osten derzeit schnell in Erklärungsnot. Die Völker ringen um eine neue politische Ordnung: in Ägypten, in Libyen und Tunesien, am mörderischsten in Syrien. Russland aber steht in Syrien - wie in der Hochzeit des Kalten Kriegs und der vermeintlich ewigen arabischen Diktaturen - unverbrüchlich auf der Seite der Mächtigen.

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Staatsbesuch in Berlin: Russlands Präsident Wladimir Putin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Thema war auch die Lage in Syrien.

(Foto: AFP)

Die Aufständischen in Syrien provoziert nicht nur das russische Veto im UN-Sicherheitsrat, mit dem Moskau die Regierung von Präsident Baschar al-Assad vor harten Sanktionen, Verurteilungen, auch vor einem Militärschlag schützt. Russland liefert auch noch immer Waffen nach Damaskus. Aus Sicht der Kämpfer in Idlib oder Haula sind Präsident Wladimir Putin und Assad deshalb Komplizen.

In der Diskussion geht allerdings ein wenig unter, dass Russlands Zögern durchaus Gründe hat: Im Kampf gegen den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi hatte der damalige Präsident Dmitrij Medwedjew ein UN-Mandat durch eine Enthaltung im Sicherheitsrat ermöglicht. Aber aus dem "Schutz der Zivilisten" wurde am Ende doch der von der Nato militärisch flankierte Regimewechsel. Falken wie Putin erkennen darin eine alte Taktik des Westens: die Durchsetzung von Interessen - auch unter dem Deckmantel einer humanitären Zwangslage.

Gerade der Fall Libyen zeigt, dass es fahrlässig ist, ein Engagement als Erfolg zu feiern, wenn der Tyrann gestürzt ist. Ein Sturz, das zeigen die Entwicklungen der vergangenen Monate, ist nur der Anfang. Die heimkehrenden Tuareg, entlassen oder geflohen aus dem Sold Gaddafis, destabilisieren ihre afrikanischen Heimatländer. Libyen selbst wirkt vor den geplanten ersten freien Wahlen Mitte Juni zunehmend instabil. Die libyschen Ölquellen aber produzieren fast wieder so reichlich wie vor dem Krieg.

Kein Vergleich zum Einsatz in Libyen

Im Vergleich zu einem Engagement in Syrien, das weiß Russland, das wissen aber auch Washington, Paris und Berlin, war der Libyen-Einsatz ein Spaziergang: Die syrischen Aufständischen haben keine einheitliche Vertretung, geschweige denn eine anerkannte Exilregierung. Sie kontrollieren zwar hin und wieder einzelne Orte, aber kein zusammenhängendes Territorium, das als Zuflucht und Operationsbasis dienen könnte. Und sie halten einem Angriff der Armee nicht stand.

Nach 15 Monaten Aufstand greift die Regierung offenbar zusehends auf die "Schabiha" (wörtlich: Geister) zurück. Also auf Milizen, die in den siebziger Jahren aus Schmugglerbanden um den Küstenort Lattakia entstanden und nun als paramilitärische Einheiten für den Mord an Frauen und Kindern in Haula verantwortlich sein sollen.

Die "Schabiha" aber sind Alawiten - Angehörige einer schiitischen Minderheit wie Baschar al-Assad. Die Aufständischen sind vor allem Sunniten, die sich zusehends radikalisieren, bewaffnen - und Rache schwören an den Alawiten. In Libyen sind die Spannungen zwischen den afrikanischstämmigen Tabu und arabischen Libyern nach dem Sturz Gaddafis offen ausgebrochen. In Syrien aber lebt ein Vielfaches an Konfessionen und Volksgruppen. Konflikte wie etwa in der Kurdenfrage haben Konsequenzen für die ganze Region.

Wer also in Syrien eingreift, sollte sich auf einen Einsatz ähnlich jenen in Afghanistan oder Irak vorbereiten, und auch dort sind die Demokratieerfolge überschaubar. Eine Bewaffnung der Rebellen wirkt wie eine feine Alternative - aber was, wenn die Waffen in falsche Hände geraten? Schon jetzt werden die Kämpfer religiöser und in ihrer Verzweiflung offener für radikale Ideologien. "Geh' im großen Stil rein oder bleib zu Hause", hat es der Publizist Jonathan Tepperman formuliert. Würde Russland sein Veto aufgeben, müsste die Welt sich überlegen, ob sie dazu bereit ist.

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