Debatte über die Finanzkrise:Geschichtsstunde mit Gabriel und Schäuble

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SPD-Chef Gabriel und Finanzminister Schäuble beschuldigen sich gegenseitig, die Finanzkrise ausgelöst zu haben. Die wahren Ursachen der Krise liegen ganz woanders - genauso wie die Ursachen der Debatte.

Claus Hulverscheidt

Die Zeit, sie heilt Wunden. Vor allem aber vernebelt sie das Hirn, was erfahrene politische Strippenzieher gern dazu nutzen, geschichtliche Begebenheiten in ihrem Sinne umzudeuten - ein ganz klein wenig nur, gerade so weit, das die mit der Geißel der Vergesslichkeit geschlagenen Menschen noch glauben, dass sich die Dinge exakt so zugetragen haben.

Schäubles Kritik fehlt die Substanz, und dennoch ist Rot-Grün an der Krise nicht ganz unschuldig. (Foto: AP)

Ein Meister dieses Fachs ist Wolfgang Schäuble, der an diesem Montag den verzweifelt um Aufmerksamkeit buhlenden SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel scharf für dessen jüngste Banken-Schelte kritisierte. Gabriels Forderung, die Banken in Ketten zu legen, sei wohlfeil, sagte Schäuble sinngemäß. Schließlich sei es die rot-grüne Bundesregierung gewesen, die diese Ketten seinerzeit gelöst habe.

Die SPD und die Finanzmärkte - da war doch was? Richtig ist, dass unter Rot-Grün hochspekulative Hedgefonds in Deutschland zugelassen wurden, dass Banken ihre Beteiligungen an Konzernen plötzlich steuerfrei verkaufen durften, dass sich ein "Finanzmarktförderungsgesetz" an das andere reihte, dass neue, komplexe Wertpapiere gefördert wurden: jene berüchtigten Asset Backed Securities (ABS), die später die Finanzkrise auslösten.

War es nicht doch ein wenig anders?

Und richtig ist auch, dass die damalige Opposition laut vor den Gefahren dieser Reformen warnte, dass sie diese im Bundesrat blockierte, dass sie Demonstrationen gegen die kalte, neoliberale Politik der Koalition organisierte, dass . . . Halt! War es nicht doch ein wenig anders? War es nicht eher so, dass Union und Liberalen die rot-grünen Gesetze nicht weit genug gingen? Dass sie noch viel mehr Liberalisierung forderten? Dass der heute gern als "Euro-Rebell" gefeierte FDP-Mann Frank Schäffler noch 2007 vorschlug, die betriebliche Altersvorsorge in Deutschland teilweise in die Hand risikofreudiger Private-Equity-Fonds zu legen?

Aus heutiger Sicht vorwerfen kann man SPD und Grünen, dass sie sich dem damals herrschenden wirtschaftsliberalen Zeitgeist allzu rasch ergaben. Einem Zeitgeist, der glauben machen wollte, dass Banken immer dann besonders viel zum Wohle eines Landes beitragen, wenn man ihnen die Entwicklung "innovativer" Finanzinstrumente ermöglicht. Dabei war das Verhalten der Regierung keineswegs nur blauäugig; vielmehr suchten Anfang des vergangenen Jahrzehnts aufgrund der Knauserigkeit der Geldhäuser tatsächlich viele Mittelständler nach einer Alternative zum Kredit. Heute weiß man, dass die Banker die innovativen Finanzinstrumente vor allem dazu nutzten, ein Paralleluniversum neben der "Realwirtschaft" aufzubauen, das allein ihre eigenen Taschen füllte.

Kritik ohne Substanz

Dennoch fehlt es Schäubles Kritik an Substanz: Weder trug die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne direkt zum Ausbruch der derzeitigen Turbulenzen bei, noch waren es deutsche ABS, welche die Krise auslösten. Es waren amerikanische. Und Hedgefonds mit Sitz in Deutschland gibt es bis heute nicht - der Branche ist das rot-grüne Rahmenwerk mit seinen unzähligen Verbraucherschutzbestimmungen schlicht und ergreifend zu restriktiv.

Wenn Rot-Grün an der Krise dennoch ein gehöriges Maß Mitschuld trifft, dann deshalb, weil dieses Bündnis - gemeinsam mit den französischen Konservativen unter Chirac - Verstöße gegen den Stabilitätspakt salonfähig machte. Indem ausgerechnet die beiden Schwergewichte der Währungsunion als erste gegen die gemeinsamen Haushaltsregeln verstießen, stellten sie Defizitsündern wie Griechenland praktisch eine Blanko-Erlaubnis für jede weitere Geldverschwendung aus.

Nur: In Gabriels Banken-Schelte geht es um andere Dinge. Es mag sein, dass einige Thesen des SPD-Chefs populistisch und dem nahenden Wahlkampf geschuldet sind. Zumindest Letzteres trifft auf Schäubles Replik aber ganz genau so zu.

© SZ vom 24.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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