Debatte im Bundestag:Mit Pfui und Buh gegen Schröders Betreuungsgeld

Im zweiten Anlauf hat die Koalition das Betreuungsgeld in den Bundestag eingebracht. Doch die Debatte über das umstrittene Gesetz zeigt einmal mehr, dass den Befürwortern die schlagenden Argumente fehlen.

Thorsten Denkler, Berlin

Die entscheidende Nachricht vorab: Die Koalition hat das Gesetz zum Betreuungsgeld erfolgreich in den Bundestag eingebracht. So selbstverständlich ist das ja nicht. Der erste Versuch am Freitag vor eineinhalb Wochen ging schief. 126 Abgeordnete der Koalitionsfraktionen fehlten. Das Parlament war nicht beschlussfähig, die Sitzung wurde beendet. Eine Blamage für die einstige Wunschkoalition aus CDU, CSU und FDP.

Diesmal geht alles glatt über die Bühne - auch wenn das Gesetz durch die fast zweiwöchige Verzögerung nun nicht mehr wie geplant im Eiltempo durch den Bundestag gepeitscht werden kann. Ursprünglich hätte es ja bereits diese Woche verabschiedet werden sollen, nun ist die Entscheidung auf die Wochen nach der Sommerpause vertagt.

Durch die Panne beim Auftakt hat das Gesetz eine noch höhere symbolische Bedeutung für die Koalition bekommen. Es wird nicht an einem Freitagnachmittag verhandelt, an dem viele Abgeordneten schon auf dem Weg in ihre Wahlkreise sind, sondern am Donnerstagvormittag. Zu diesem Zeitpunkt werden die ganz wichtigen Themen besprochen. Die Regierungsbank ist vollständig besetzt, selbst Kanzlerin Angela Merkel schaut vorbei. Wie wichtig das Betreuungsgeld ist, hat CSU-Chef Horst Seehofer schon im Voraus klargemacht. Mit Koalitionsbruch soll er gedroht haben, wenn das umstrittene Gesetz scheitert.

Dorothee Bär, stellvertretende CSU-Generalsekretärin und eine der wenigen Befürworterin unter den Unionsfrauen, eröffnet die Debatte mit einem etwas zerfaserten Beitrag. Ihre Argumente sind leidlich bekannt: Eltern sollen sich nicht rechtfertigen müssen, wenn sie ihr Kind nicht in die Krippe geben. Mögen noch so viele Wissenschaftler gegen das Betreuungsgeld sein, die "wahren Experten" seien die Eltern. Das Land brauche verschiedene Betreuungsmodelle nebeneinander. Stichwort: Wahlfreiheit. Nur: Schwierig, daraus einen zwingenden Grund für das Betreuungsgeld abzuleiten.

Donnernden Applaus bekommt Bär von ihren Kollegen aus CDU und CSU, wie auch später Familienministerin Kristina Schröder. Es applaudieren vornehmlich Männer - deren Geschlechtsgenossen sich ja bekanntlich in der Praxis eher weniger mit der Kinderbetreuung befassen. Die Rebellinnen aus der Union hören aus den letzten Reihen des Plenums heraus zu. Anders als die FDP hat die Union den Betreuungsgeld-Gegnern in ihrer Fraktion kein Rederecht zugebilligt - die Euro-Rebellen in der CDU/CSU-Fraktion am morgigen Freitag werden in der Debatte um ESM und Fiskalpakt übrigens ans Pult gelassen.

Deren Rolle übernehmen die Redner der Opposition gerne. Detailliert nehmen sie den Gesetzesentwurf auseinander: Dagmar Ziegler von der SPD fragt, wie es zusammenpasse, dass der Bund 400 Millionen Euro in frühkindliche Bildung investiere, und gleichzeitig Geld dafür ausgeben wolle, dass Kinder nicht in die staatliche Kita gingen.

Diana Golze von der Linken kritisiert das Geschachere um das Betreuungsgeld. Mal soll es einen Pflege-, mal einen Renten-Bonus geben, mal die Gesundheitsvorsorge für Kinder verbessert werden, um die Kritiker zu besänftigen. Nur: Was hat das alles mit der Betreuung von unter dreijährigen Kindern zu tun? Sie gibt sich selbst die Antwort: nichts.

Die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast stellt fest: "Das Betreuungsgeld hat keine gesellschaftliche Mehrheit." Es koste mindestens 1,2 Milliarden Euro während viele Eltern "verzweifelt einen Kitaplatz suchen". Kurz gesagt: Von Wahlfreiheit keine Spur.

"Wenig überzeugendes Taschengeld"

Immer wieder kommt auch die seltsame Idee zur Sprache, wonach Eltern auch dann Betreuungsgeld bekommen sollen, wenn sie beide voll berufstätig sind und keine staatliche Kita in Anspruch nehmen, dafür ihre Kinder aber privat unterbringen. Dabei legen Redner der Union wie Dorothee Bär oder Peter Tauber (CDU) als Argument für das Betreuungsgeld großen Wert auf die Feststellung, dass Kinder speziell die Liebe und Fürsorge der Eltern ganz dringend brauchen. Genügt es also auch, wenn diese Liebe und Fürsorge von der betreuenden Nachbarin kommt oder von der Tochter der Nachbarin oder der Oma der Freundin der Nachbarin?

Bundestag debattiert über Betreuungsgeld, Familienministerin Kristina Schröder

Der Streit um das Betreuungsgeld geht in die nächste Runde: Familienministerin Kristina Schröder bei der Debatte im Bundestag.

(Foto: dpa)

SPD-Mann Sönke Rix stellt zudem die Frage, ob - wenn es Geld dafür geben soll, keine staatliche Kita zu nutzen - auch jene finanziell unterstützt werden, die nicht Auto fahren oder keine öffentliche Bibliothek nutzen? An dieser Stelle scheint Kanzlerin Angela Merkel langsam das Interesse an der Debatte zu verlieren. Sie nutzt die Zeit für Einzelgespräche. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle, auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, mit einen nach dem anderen führt sie kurze Unterhaltungen unter vier Augen.

Frauen- und Familienministerin Kristina Schröder bemüht sich derweil, den Kritikern etwas gegenzuhalten. Sie erklärt, Eltern, die Kitaplätze in Anspruch nähmen, profitierten von einer erheblichen Sachleistung. Das könnten die 150 Euro Betreuungsgeld kaum aufwiegen. Ansonsten kritisiert sie lediglich den Umgang der Opposition mit dem Betreuungsgeld. Diese beleidige Migranten und Frauen, wenn sie von Fernhalte- oder Herdprämie spreche. "Anmaßend" findet Schröder das.

Liberale in der Zwickmühle

Für ihren Betrag erntet die Ministerin Pfui- und Buhrufe der Opposition, während in den Reihen der Union betont begeistert applaudiert wird. Die FDP hält sich auffallend zurück. Die Liberalen sitzen in der Zwickmühle. Sie wollen das Betreuungsgeld nicht, glauben aber, sie müssten aus reiner Koalitionsdisziplin mitmachen.

FDP-Frau Sibylle Laurischk jedoch macht aus ihrer Abneigung keinen Hehl: "Das Betreuungsgeld ist ein wenig überzeugendes Taschengeld", sagt sie. Es löse auch nicht das aus ihrer Sicht zentrale gesellschaftliche Problem: Dass zu wenige Kinder geboren werden. Laurischk wird das Betreuungsgeld nicht verhindern können, das Gesetz vielleicht aber noch verändern. Eine denkbare Lösung wäre, Gutscheine zu bieten statt Barauszahlung. Die Rebellinnen vor allem in der CDU könnten sich auch damit anfreunden. CSU-Chef Seehofer lehnt diesen Vorschlag ab. Aber, wie sagt SPD-Frau Ziegler treffend: "Wir sind unserem Gewissen verpflichtet. Nicht dem des bayerischen Ministerpräsidenten."

Scheitern könnte das Gesetz noch am Geld. Bisher ist im Bundeshaushalt lediglich eine "globale Minderausgabe" vorgesehen. Das heißt erst einmal nur, dass noch keiner weiß, aus welchem Topf das Betreuungsgeld bezahlt werden soll. Ministerin Schröder sieht das so: Das Betreuungsgeld sei eine "Aufgabe der gesamten Koalition". Sie werde jedenfalls nicht akzeptieren, dass ihr Haus dafür alleine aufkomme.

Wenn sie sich da mal nicht irrt. Genau davon gehen nämlich einige ihrer Ministerkollegen aus. Der Koalitionsstreit um das Betreuungsgeld dürfte also noch eine Weile weitergehen.

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