Süddeutsche Zeitung

DDR-Vergangenheit:Linken-Politikerin: Die SED war rechts

Die Abgeordnete Halina Wawzyniak rechnet mit der früheren DDR-Staatspartei ab. Führenden Linken kommt das ungelegen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Überfällige Debatte, aber ungünstiger Zeitpunkt - so könnte man zusammenfassen, was die Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak von der Linkspartei losgetreten hat. Sechs Wochen vor der Bundestagswahl ist im Internet eine Lawine von Häme über der 44-Jährigen niedergegangen, weil sie sich mit ungewohnt scharfen Worten von der SED distanziert hat, der Mutterpartei der Linkspartei. "Im Kern war die SED eine rechte Partei", schrieb Wawzyniak auf Twitter. "Autoritär, nationenbezogen, ausgrenzend von allem, was nicht 'normal' war."

Anlass des Kommentars war der 56. Jahrestag des Baus der Berliner Mauer, den die Junge Union zum Anlass genommen hatte, ihren Kampf gegen "linke Gewalt" zu betonen. Die SED sei gar nicht links gewesen, antwortete die Linken-Politikerin Wawzyniak. Was folgte, waren Beschimpfungen auf Twitter, "du dumme Kuh", und Aufregung beim CDU-Politiker Jens Spahn. "Macht die Linkspartei aus Honecker jetzt einen Nazi? Und was ist mit all den SEDlern, die bis heute in der Linkspartei sind? Auch alles Rechte?", fragte Spahn. Sie rede nicht von Nazis, antwortete Wawzyniak. Und Mao, Stalin, Ho Chi Minh, alles Rechte? "Zumindest keine Linken", so die Abgeordnete. "Auch wenn sie sich selbst ggf. so bezeichnet haben." Von einst 2,3 Millionen SED-Mitgliedern seien in der Linken nicht mehr viele übrig.

Statt Stammwähler zu stören, will sich die Partei zur Fürsprecherin des Ostens machen

In der Linkspartei herrscht nun betretenes Schweigen. Eine Grundsatzdebatte über die Mutterpartei SED und ihre autoritären Denkmuster ist kurz vor der Bundestagswahl unerwünscht. In Parteikreisen wird zwar eingeräumt, dass die SED sich als Staatspartei einer Diktatur autoritärer Mittel bediente, die es auch in rechten Parteien gebe. Manche wünschen sich auch einen ehrlicheren Umgang mit der Parteigeschichte. Eine Auseinandersetzung mit dem Wähler aber, ausgerechnet jetzt, will man vermeiden. Einzig Berlins Sozialstaatssekretär Alexander Fischer (Linke) sprang Wawzyniak bei. Sie habe "einen Teil von Ideologie und Alltag" zutreffend benannt, schrieb er. Dies sei "Teil einer widerspruchsreichen linken Geschichte".

Den Streit im Netz wollte in der Linkenführung am Dienstag niemand kommentieren. Statt Stammwähler im Osten mit schwierigen Fragen zu stören, will die Linke sich im Wahlkampf lieber zur Fürsprecherin Ostdeutschlands machen. Fraktionschef Dietmar Bartsch forderte am Montag mit Gregor Gysi eine "Allianz für Ostdeutschland". Alle Kräfte müssten gebündelt werden, "um endlich Gerechtigkeit für die Menschen in den neuen Bundesländern zu schaffen", heißt es einem Papier, das sie vorstellten. Die Aufmerksamkeit für den Osten habe "mit jeder Regierung abgenommen", so das Papier. "Das Gefühl der Geringschätzung, des Abgehängtseins, des Nicht-ernst-genommen-Werdens verfestigt sich und lässt viel zu viele Menschen im Osten an ihrem Wert für unsere Gesellschaft und am Wert der demokratischen Gesellschaft für sie selbst zweifeln." Um gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West herzustellen, sollten von 2019 an "auf zehn Jahre angelegt" strukturschwache Regionen in Deutschland insgesamt gefördert werden. In Ostdeutschland seien mindestens 1500 zusätzliche Landärzte nötig und deutlich mehr Engagement für Schulen, Breitbandausbau und öffentlichen Nahverkehr.

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Quelle:
SZ vom 16.08.2017
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