DDR: Treuhand-Anstalt:Ausverkauf der Republik

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Alles muss raus: Wie die Treuhandanstalt das DDR-Volksvermögen verschleuderte. Die Abwicklung Ostdeutschlands wurde vor allem eine Abwicklung der Arbeitsplätze.

Franziska Augstein

Als es mit der DDR zu Ende ging, wähnten ihre Bürger sich im Glück: Sie hatten Reisefreiheit und die D-Mark, und die meisten waren zuversichtlich, nun könne ihr Leben weitergehen wie zuvor, nur eben ohne staatliche Bevormundung. Ihre neue Freiheit haben die dankbaren DDR-Bürger dann genutzt, Helmut Kohl zum Kanzler zu wählen, der von Wirtschaft nicht viel verstand, aber immerhin genug, um zu wissen, dass wirtschaftliche Erwägungen ihm beim Regieren nicht in die Quere kommen sollten.

Frust- statt Montagsdemo: Zu Beginn der 1990er Jahre waren Proteste gegen die Treuhandanstalt ein alltägliches Bild in Ostdeutschland. Hier demonstrieren die Mitarbeiter einer Saalfelder Fabrik. Von einst 1700 Beschäftigten sollten nur 140 ihren Arbeitsplatz behalten. (Foto: Foto: dpa)

Nur die wenigsten ahnten Anfang 1990, dass nach der Abwicklung der DDR die Abwicklung von etwa einem Drittel der ostdeutschen Arbeitsplätze bevorstehen würde. Per Einigungsvertrag hat die Bundesrepublik im Oktober 1990 das Vermögen und die Schulden der DDR übernommen. Die Aufgabe, das DDR-Vermögen zu privatisieren, hatte die Treuhandanstalt. Ziemlich bald wurde sie zur Stilllegungsagentur. Die Frage ist: War das unvermeidlich?

Der Schriftsteller Claudio Magris, der in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, sagte in seiner Rede: "Wir sind fast alle blinde Bewahrer: Wir glauben zwar nicht an die Ewigkeit, aber wir glauben, dass die Gegenwart ewig sei."

Die Anhänglichkeit an den Status quo geht manchmal mit der Verklärung der Zustände einher, die ihn herbeiführten. Was die Modalitäten der Vereinigung angeht, ist die Verklärung eklatant: Wie die Einheit zustande kam, ist über jeden Tadel erhaben.

So gibt es denn auch nur einzelne Publizisten, Wirtschaftsfachleute und Politiker, die an der Arbeit der Treuhand, die das Volksvermögen privatisierte, Gravierendes zu kritisieren finden. Zu ihnen gehört Helmut Schmidt. Als "Kardinalfehler" bezeichnete Schmidt es, dass die Preise und Löhne 1990 im Verhältnis eins zu eins von Ost- auf Westmark umgestellt wurden. Über die Privatisierung der DDR-Staatsunternehmen schrieb er, sie sei "prinzipiell richtig" gewesen, "falsch waren die Methoden und das Tempo".

Im Frühjahr 1990 wurde das DDR-Volksvermögen auf 620 Milliarden Mark beziffert - genug, so dachte die erste aus freien Wahlen hervorgegangene DDR-Regierung, dass jeder Bürger ein bisschen davon profitieren könne. Am

1.März 1990 wurde eine "Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums" eingerichtet. Das Wort "Treuhand" hatte damals einen guten Klang - es kam dem Vokabular der Bürgerrechtler entgegen. Dies Gesetz war bereits ein Vierteljahr später obsolet. Das neue Treuhandgesetz vom 17. Juni war schon im Einklang mit dem Einigungsvertrag konzipiert, der vorsah, dass die Bundesrepublik Staatsvermögen und Schulden der DDR übernehmen würde.

So überhastet, wie man die Währungsunion beschlossen hatte, so eilig sollte nun auch die DDR-Wirtschaft restrukturiert werden. Dem ersten westdeutschen Treuhandchef Reiner Maria Gohlke, der im Sommer 1990 bestellt wurde, war das zu viel.

"Jede halbe Stunde irgendeine Milliarde"

Der vorherige Bahnmanager und spätere Hauptgeschäftsführer des Süddeutschen Verlages - und damit der SZ - ist, gelinde gesagt, nicht dafür bekannt, dass er übervorsichtig gewesen wäre. Seinen Posten bei der Treuhand quittierte er aber schon nach wenigen Wochen. Später gab er zu Protokoll: "Ich wollte nicht jede halbe Stunde irgendeine Milliarde unterschreiben und dann zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen." Genau dies praktizierte dann aber sein Nachfolger Detlev Karsten Rohwedder.

Mit Beginn des Einigungsvertrags regierten Bundeskanzler Helmut Kohl und Finanzminister Theo Waigel über das DDR-Vermögen. Und im neuen Treuhandchef hatten sie einen Mann gefunden, der ihren Interessen entsprach: Rohwedder setzte sich nonchalant über das Treuhandgesetz vom Juni 1990 hinweg, das vorsah, dass die großen DDR-Kombinate in private branchenbezogene Aktiengesellschaften überführt werden sollten. Damit einher ging, dass Betriebsräte und Gewerkschaften, Kommunen und Länder kein Mitspracherecht hatten.

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Das durfte Rohwedder sich aus zwei Gründen leisten. Zum einen herrschte damals die ökonomische Ideologie des Neoliberalismus. Es herrschte, mit den Worten des Volkswirtschaftsprofessors Jan Priewe gesagt, "der schlichte Glaube an die segensreichen Wirkungen von D-Mark und Markt".

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Zum anderen wollte Kanzler Kohl 1990 die deutsche Einheit über die Bühne bringen. Man darf ihm unterstellen, dass die ostdeutsche Wirtschaft für ihn vor allem ein lästiges Problem darstellte.

Darauf deutet auch eine Äußerung von Otto Graf Lambsdorff hin: Der Autorin dieses Artikels hat der FDP-Politiker einmal erzählt, er habe Helmut Kohl im Frühjahr 1990 darauf hingewiesen, dass es mit der ostdeutschen Wirtschaft schlecht bestellt sei, woraufhin der Kanzler nur geantwortet habe: Dann müssten die ersten gesamtdeutschen Wahlen so früh wie möglich abgehalten werden.

Die Umwälzungen im Ostblock hatten es 1990 mit sich gebracht, dass Aufträge aus Osteuropa zunehmend ausblieben. Die Währungsumstellung der DDR-Mark zur D-Mark im Verhältnis eins zu eins, respektive zwei zu eins, tat dann ein Übriges.

Auf einen Schlag konnten die ostdeutschen Betriebe ihre Waren nicht mehr verkaufen. Die Überbewertung der DDR-Mark führte dazu, dass bis dahin gut funktionierende DDR-Unternehmen von einem Tag auf den anderen nicht mehr wettbewerbsfähig waren, sich überschuldeten oder pleite gingen.

Der neue Treuhandchef Rohwedder, der 1991 ermordet wurde, gab im Sommer 1990 die Direktive vor, nach der dann seine Nachfolgerin Birgit Breuel handelte: Privatisieren geht vor Sanieren. Dies allein war schon heikel genug. Doch erst die Kombination der Effekte der verfrühten Währungsunion und der übereilten Privatisierung machte der ostdeutschen Wirtschaft den Garaus.

Die meisten DDR-Betriebe konnten aus eigener Kraft nicht mehr investieren. Manche florierende Unternehmen hätten auf eigene Faust Investoren suchen können. Dies war aber unmöglich; die Rechtslage war zu unsicher.

Gleich nach der Währungsunion 1990 benötigte die Treuhand 30 Milliarden Mark, um 8000 von 9000 Unternehmen mit Bürgschaften vor der Illiquidität zu bewahren. Verglichen mit den Bürgschaften, die die Bundesregierung 2008 übernahm, ging es damals um überschaubare Summen. Der Volkswirtschaftler Priewe sagt im Gespräch mit der SZ: "Die Treuhand hätte die Privatisierung viel langsamer betreiben müssen, hätte gezielter sanieren und bei der Vergabe von Bürgschaften und Subventionen großzügiger sein müssen."

Der Auftrag des Treuhand-Gesetzes, "die Strukturanpassung der Wirtschaft an die Erfordernisse des Marktes" zu befördern, war sehr bald nur noch von nachgestellter Bedeutung. Die Treuhandchefs behaupteten, sich nicht in die Strukturpolitik einmischen zu wollen, man berief sich auf das freie Spiel der marktwirtschaftlichen Kräfte und ignorierte, dass man durchaus Strukturpolitik betrieb: Damit man den "Salat" (Rohwedder) schneller loswerden konnte, wurden die großen Kombinate zerschlagen, die Käufer durften sich aussuchen, welche Teile sie haben wollten. Und es war durchaus nicht so, dass stets die Meistbietenden den Zuschlag erhielten. Erst wurde mit Rekordtempo verkauft, dann wurde in dem gleichen Tempo liquidiert.

Hunderte Mitarbeiter aus dem Westen wurden angeheuert. Wer kurz zuvor noch wegen Unfähigkeit entlassen wurde: Bei der Treuhand fand er ein gutes Auskommen. Je zügiger sie verkauften, desto höhere Provisionen erhielten die Treuhandagenten.

Jeder dahergelaufene Mann im Anzug

Weil sie sich unter Zeitdruck setzte, musste die Treuhand Fachleute aus dem Westen "ausleihen". Die Konzerne schickten ihre Manager gern in den Osten: Das zahlte sich aus, weil die Konzerne auf diese Weise Einblick in sämtliche Interna von Unternehmen erhielten, die sie eventuell kaufen wollten. Zwielichtigen Geschäften vielerlei Art waren Tür und Tor geöffnet.

Der Ausverkauf des ostdeutschen Volksvermögens wurde ein Dorado für Glücksritter. Jeder dahergelaufene Mann im Anzug konnte, ohne dass seine Seriosität und Bonität ausreichend geprüft worden wären, ein DDR-Unternehmen erwerben. Weil die Treuhand häufig nicht ordentlich prüfte, kam es zu Betrügereien im großen Stil.

Ein lukratives Rezept sah so aus: Man kaufte ein Unternehmen, strich die Subventionen ein, verkaufte die Immobilien, ließ die Firma in Konkurs gehen und sah zu, dass man irgendwo im Ausland verschwand, bevor die Staatsanwaltschaft alarmiert wurde.

Man konnte auch vorgehen wie Friedrich Hennemann, ehemals Chef der Bremer Vulkan-Werft: Der kaufte ostdeutsche Werften, steckte 854 Millionen Mark Subventionen, die für den Erhalt der ostdeutschen Arbeitsplätze gedacht waren, in seine Pleiteunternehmungen im Westen und wurde am Ende vor Gericht sogar freigesprochen.

Meer der Misswirtschaft

Es gab Dutzende Treuhandmitarbeiter, die bei solchen Transaktionen gegen ein gutes Bestechungsgeld oder einen Aufsichtsratsposten gern mitmachten. Die Vereinigungskriminalität hat mehr als 4000 Prozesse wegen Wirtschaftsstraftaten gezeitigt. Die Treuhandchefs wurden übrigens nicht belangt. Sie waren per Gesetz "zur gröblichen Außerachtlassung der im Geschäftsverkehr üblichen Sorgfalt" ermächtigt, wie später im Untersuchungsausschuss "DDR-Vermögen" festgestellt wurde.

Kriminelle Machenschaften waren aber nur die Schaumkronen auf dem Meer der Misswirtschaft. Ein Flügel der Treuhand befasste sich mit der Veräußerung von 37 Milliarden Quadratmeter Forst und Ackerboden. Das Land wurde vielfach für lächerlich niedrige Summen verkauft, zum allergrößten Teil an Westdeutsche.

Für die DDR-Industrie gilt das Gleiche: Nur fünf Prozent der Käufer kamen aus dem Osten, 85 Prozent hingegen aus Westdeutschland. Ein bitterer Scherz im Osten geht so: Die Ereignisse 1989 seien natürlich eine Revolution gewesen. Warum? Na, Marx hat doch gesagt, dass die Revolution zur völligen Umwälzung der Besitzverhältnisse führt.

Dennoch wäre es falsch, die Treuhandmanager allesamt als Ganoven in Nadelstreifen zu sehen. Die meisten bemühten sich ehrlich. Doch die gegebenen Vorgaben - "Privatisieren geht vor Sanieren" und das mit Tempo - erschwerten die Arbeit enorm.

Jan Priewe sagt: "Die Alternative, wichtige Unternehmen vorübergehend in Staatshänden zu belassen und Schritt für Schritt zu sanieren, wurde ordnungspolitisch doktrinär ausgeschlossen oder erst nach heftigen Interventionen von Landesregierungen, Belegschaften und Gewerkschaften akzeptiert. Industriepolitik war ein Fremdwort im vereinigten Deutschland. Man hätte, im Nachhinein betrachtet, mehr Geld in eine echte 'Treuhandpolitik' hineinstopfen müssen, es hätte sich ausgezahlt. Stattdessen herrschte der Glaube vor, Phönix aus der Asche dank eines marktwirtschaftlichen Urknalls bringt alles wieder ins Lot - zwar nicht sofort, aber bald."

"Verlängerte Werkbank" des Westens

Als die Treuhand 1994 aufgelöst (und von einer Nachfolgeorganisation abgelöst) wurde, hatte sie ein offizielles Defizit von 270 Milliarden Mark. Unendlich viel größer sind die Kosten, die seither nicht zuletzt wegen der fahrlässigen Strukturpolitik der Treuhand dafür aufgewendet werden müssen, die hohe Arbeitslosigkeit im Osten zu finanzieren.

Langfristig fatal war die Tätigkeit der Treuhand auch deshalb, weil sie nicht darauf achtete, große, selbständige Unternehmen zu erhalten. Die westdeutschen Konzerne sahen keinen Anlass, in ihren ostdeutschen Ablegern Abteilungen für Forschung und Entwicklung einzurichten. Die Zerstückelung der DDR-Industrie führte dazu, dass die neuen Bundesländer bis heute als "verlängerte Werkbank" des Westens bezeichnet werden.

Einige gelungene Sanierungen hat es gegeben. Im Großen und Ganzen haben die Ostdeutschen aber das Nachsehen gehabt. Die Profiteure waren andere, dazu zählt auch die damalige Bundesregierung. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Seibel schreibt: Die Treuhand hat als Blitzableiter funktioniert. Verzweiflung und Unmut der Menschen im Osten richteten sich gegen die Treuhand. Die Regierung, die dahinterstand, kam ungeschoren davon. Und die Wahlen im Herbst 1994 gewann abermals Kanzler Kohl.

In Friedrich Dürrenmatts Stück "Romulus der Große" sagt einer: "Wir müssen zwischen einem katastrophalen Kapitalismus und einer kapitalen Katastrophe wählen." Die Arbeit der Treuhand hat beides zugleich zuwege gebracht.

© SZ vom 11.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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