Als es mit der DDR zu Ende ging, wähnten ihre Bürger sich im Glück: Sie hatten Reisefreiheit und die D-Mark, und die meisten waren zuversichtlich, nun könne ihr Leben weitergehen wie zuvor, nur eben ohne staatliche Bevormundung. Ihre neue Freiheit haben die dankbaren DDR-Bürger dann genutzt, Helmut Kohl zum Kanzler zu wählen, der von Wirtschaft nicht viel verstand, aber immerhin genug, um zu wissen, dass wirtschaftliche Erwägungen ihm beim Regieren nicht in die Quere kommen sollten.
Frust- statt Montagsdemo: Zu Beginn der 1990er Jahre waren Proteste gegen die Treuhandanstalt ein alltägliches Bild in Ostdeutschland. Hier demonstrieren die Mitarbeiter einer Saalfelder Fabrik. Von einst 1700 Beschäftigten sollten nur 140 ihren Arbeitsplatz behalten.
(Foto: Foto: dpa)Nur die wenigsten ahnten Anfang 1990, dass nach der Abwicklung der DDR die Abwicklung von etwa einem Drittel der ostdeutschen Arbeitsplätze bevorstehen würde. Per Einigungsvertrag hat die Bundesrepublik im Oktober 1990 das Vermögen und die Schulden der DDR übernommen. Die Aufgabe, das DDR-Vermögen zu privatisieren, hatte die Treuhandanstalt. Ziemlich bald wurde sie zur Stilllegungsagentur. Die Frage ist: War das unvermeidlich?
Der Schriftsteller Claudio Magris, der in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, sagte in seiner Rede: "Wir sind fast alle blinde Bewahrer: Wir glauben zwar nicht an die Ewigkeit, aber wir glauben, dass die Gegenwart ewig sei."
Die Anhänglichkeit an den Status quo geht manchmal mit der Verklärung der Zustände einher, die ihn herbeiführten. Was die Modalitäten der Vereinigung angeht, ist die Verklärung eklatant: Wie die Einheit zustande kam, ist über jeden Tadel erhaben.
So gibt es denn auch nur einzelne Publizisten, Wirtschaftsfachleute und Politiker, die an der Arbeit der Treuhand, die das Volksvermögen privatisierte, Gravierendes zu kritisieren finden. Zu ihnen gehört Helmut Schmidt. Als "Kardinalfehler" bezeichnete Schmidt es, dass die Preise und Löhne 1990 im Verhältnis eins zu eins von Ost- auf Westmark umgestellt wurden. Über die Privatisierung der DDR-Staatsunternehmen schrieb er, sie sei "prinzipiell richtig" gewesen, "falsch waren die Methoden und das Tempo".
Im Frühjahr 1990 wurde das DDR-Volksvermögen auf 620 Milliarden Mark beziffert - genug, so dachte die erste aus freien Wahlen hervorgegangene DDR-Regierung, dass jeder Bürger ein bisschen davon profitieren könne. Am
1.März 1990 wurde eine "Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums" eingerichtet. Das Wort "Treuhand" hatte damals einen guten Klang - es kam dem Vokabular der Bürgerrechtler entgegen. Dies Gesetz war bereits ein Vierteljahr später obsolet. Das neue Treuhandgesetz vom 17. Juni war schon im Einklang mit dem Einigungsvertrag konzipiert, der vorsah, dass die Bundesrepublik Staatsvermögen und Schulden der DDR übernehmen würde.
So überhastet, wie man die Währungsunion beschlossen hatte, so eilig sollte nun auch die DDR-Wirtschaft restrukturiert werden. Dem ersten westdeutschen Treuhandchef Reiner Maria Gohlke, der im Sommer 1990 bestellt wurde, war das zu viel.
"Jede halbe Stunde irgendeine Milliarde"
Der vorherige Bahnmanager und spätere Hauptgeschäftsführer des Süddeutschen Verlages - und damit der SZ - ist, gelinde gesagt, nicht dafür bekannt, dass er übervorsichtig gewesen wäre. Seinen Posten bei der Treuhand quittierte er aber schon nach wenigen Wochen. Später gab er zu Protokoll: "Ich wollte nicht jede halbe Stunde irgendeine Milliarde unterschreiben und dann zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen." Genau dies praktizierte dann aber sein Nachfolger Detlev Karsten Rohwedder.
Mit Beginn des Einigungsvertrags regierten Bundeskanzler Helmut Kohl und Finanzminister Theo Waigel über das DDR-Vermögen. Und im neuen Treuhandchef hatten sie einen Mann gefunden, der ihren Interessen entsprach: Rohwedder setzte sich nonchalant über das Treuhandgesetz vom Juni 1990 hinweg, das vorsah, dass die großen DDR-Kombinate in private branchenbezogene Aktiengesellschaften überführt werden sollten. Damit einher ging, dass Betriebsräte und Gewerkschaften, Kommunen und Länder kein Mitspracherecht hatten.
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