"Ein Staat der Jugend"
"Es war von vorne bis hinten zum Kotzen, aber wir hatten uns prächtig amüsiert", konstatiert der junge Held in Thomas Brussigs Roman "Sonnenallee". Die SED-Oberen setzten auf die Jugend. Honecker reimte gar: "Die Jugend hilft mit Kopf und Händen, den Sozialismus zu vollenden." Doch der Historiker Marc-Dietrich Ohse beschreibt anhand vieler Zitate, dass die Jugendlichen mit ihren Ideen, Träumen und Wünschen das System oft auf die Probe stellten und genau beobachtet wurden.
Die angeblich überparteiliche Freie Deutsche Jugend (FDJ) war eine Kaderreserve der SED: Wer nicht Mitglied war, dem blieben Bildungswege versperrt. Gerade nach Ereignissen wie dem Mauerbau 1961 oder dem Prager Frühling 1968 traten Zehntausende aus dem Jugendverband aus. Obwohl 1989 noch Hunderttausende Mitglieder der FDJ waren, kollabierte das System. Erfolgreicher war die Jugendweihe, die ab 1955 als weltliches Gegenmodell zur Konfirmation fungierte, um die Kirchen zu schwächen. Deren Jugendarbeit bot vielen Jungen und Mädchen eine schützende Nische und Orientierung. Ohse analysiert: Im Vordergrund stand weniger der "sozialistische Bekenntnisakt" als die Aussicht auf Geschenke, eine große Feier sowie "das launige Ankommen in der Welt der Erwachsenen, das häufig durch reichlich Alkohol bekräftigt wurde".
In den Schulen kam es bis 1989 oft zu Konflikten zwischen den linientreuen Lehrern und den Heranwachsenden, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung einforderten. Auch der Versuch, durch die Gründung eines Jugendradios (DT 64), mehr Jugendklubs oder die Lizenzierung von West-Schallplatten war nicht von Erfolg gekrönt. Subkulturen wie Rock- und Bluesfans in den sechziger Jahren oder später die Hippies waren den SED-Funktionären suspekt: Sie galten als "Gammler" oder "negative Elemente". Die Skepsis war berechtigt, denn nicht nur die Punks wollten sich vom System absetzen.
Dass die jungen Leute die DDR nicht als "Staat der Jugend" ansahen, zeigt sich für Ohse am deutlichsten an den Auswanderungswellen: Vor dem 13. August 1961 war fast die Hälfte der Republikflüchtlinge unter 25 und auch 1989 suchten vor allem junge Leute ihr Glück im Westen. Dennoch würden viele Jugendliche, die in Ostdeutschland aufwuchsen, wohl dem Helden aus "Sonnenallee" zustimmen - nicht nur, weil die Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Dieser sagt am Ende des Films: "Es war einmal ein kleines Land namens DDR. Es war die schönste Zeit meines Lebens, denn ich war jung und verliebt."
Junge Männer in FDJ-Hemden tragen am 1. Mai 1987 in Ostberlin die überlebensgroßen Porträts der DDR-Führungsriege. Foto: dpa