DDR-Bürger in linientreuen Berufen:An ihnen hing das "rote Fähnchen"

DDR-Bürger in linientreuen Berufen: Heile DDR-Welt in Blauhemd und roten Tüchern: Jugendfest vor dem Palast der Republik in Ostberlin, fünf Jahre vor dem Mauerfall.

Heile DDR-Welt in Blauhemd und roten Tüchern: Jugendfest vor dem Palast der Republik in Ostberlin, fünf Jahre vor dem Mauerfall.

(Foto: Imago Stock&People)

Ihre Zukunftsaussichten waren gesichert mit einem systemrelevanten Job. Bis die Mauer fiel. Zwei Ostdeutsche schildern, wie die Wende in der DDR ihre Berufe verschwinden ließ - noch bevor ihrer Karriere richtig begann.

Von Dorothea Grass

Thomas Lünser, arbeitete als Ökonom im Außenhandelsministerium der DDR

Ich stamme aus einem kleinen Dorf im Thüringischen und wollte immer etwas sehen von der Welt. Ich dürfte auf einer EOS (Erweiterte Oberschule; Anm. d. Red.) mein Abitur machen, war drei Jahre im Wachregiment und bin dann zum Studium an die Hochschule für Ökonomie nach Berlin. Das war schon was. Die HFÖ galt als Nachwuchsschmiede für sozialistische Führungskräfte in der Wirtschaft.

Mit 20 Jahren bin ich freiwillig in die SED eingetreten. Ich wollte was bewirken und habe mir gesagt, wenn, dann geht das nur in der Partei.

Im März 1989 habe ich mein Diplom als Ökonom gemacht und direkt im Anschluss meine erste Stelle im Außenhandelsministerium der DDR angetreten. Ich war 25 Jahre alt. Am Ministerium arbeiteten insgesamt 10.000 Leute, die den kompletten Außenhandel des Landes lenkten.

Ich hatte mich schon während meines Studiums verstärkt mit kapitalistischen Systemen in Übersee beschäftigt; Taiwan, Hongkong, Singapur. Für meine Arbeit im Ministerium kam das gelegen. Wir hatten konkrete Interessen daran, mit solchen Ländern zusammenzuarbeiten. Sie hatten genau wie wir wenig Bodenschätze und eine starke Abhängigkeit von Außenmärkten.

"Wir hatten mit unseren Reformvorhaben keine Chance"

Als die Wende kam, war ich gerade im Urlaub in der Tschechoslowakei. Ich habe miterlebt, wie die Leute über Prag ausreisten. Aber ich hatte keine Lust, die DDR zu verlassen. Ich kam in dem Land gut zurecht. Ich habe natürlich mitbekommen, dass die DDR Probleme hatte. Ich war aber der Meinung, das man unser System reformieren kann, ohne den Sozialismus dabei über Bord zu werfen. Ich gehörte zu den Anhängern von Gorbatschows Perestroika. Die Ereignisse haben uns aber dann überrollt. Wir hatten mit unseren Reformvorhaben keine Chance.

Innerhalb des Ministeriums waren die neuen Denkansätze aus der Sowjetunion schlicht tabu. Besonders die Älteren sahen Perestroika und Glasnost als nicht akzeptabel für die DDR an - für die war das eine Bedrohung.

Was meine Arbeit im Ministerium betrifft, hätte es für mich und meine jüngeren Kollegen auch einen anderen Weg gegeben: Offenlegung der Zahlen, Subventionen, und Schenkungen aus dem Westen; Planvorgaben und ihre Einhaltung, eine ehrliche Evaluierung unseres Außenhandels. Eine Liberalisierung der Märkte und eine Demokratisierung des Systems.

Stattdessen hatten wir ganz offiziell die Vorgabe, die Zahlen falsch zu evaluieren. Das System DDR verschob die Tatsachen und Belege. Wir hätten gerne offengelegt, was wirklich etwas wert ist und was nicht. Stattdessen haben wir mit den Zahlen oft im Nebel gestochert und dann Bilder unserer Wirtschaft wiedergegeben, die verzerrt waren.

Die Auflösung des Ministeriums wurde auf einen Schlag beschlossen, die Abwicklung zog sich dann etwa über ein Jahr. Zuerst wurden die 700 Leute entlassen, die als letzte hinzugekommen waren. Nach dem Motto: Ihr seid jung, ihr schafft das schon. Ich bekam also im Januar 1990 einen freundlichen Händedruck und gute Wünsche - und das war's.

Der Untergang der Welt war es für mich trotzdem nicht. Ich habe darauf vertraut, irgendetwas anderes zu finden. Ich hatte schließlich eine sehr gute Ausbildung. Auf meine ersten Bewerbungen bekam ich gleich mehrere Zusagen.

"Tiefe Enttäuschung"

Mein Abschluss wurde von der BRD als Diplom-Kaufmann anerkannt. Ein Diplom-Ökonom war aber eigentlich mehr. Unser Studium bestand aus Wirtschaftswissenschaften: sozialistischer Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre. Dazu kamen eine technologische Grundausbildung und verstärkt Mathematik und Sprachen: Russisch, Englisch, Französisch und Spanisch. Im Westen gab es dazu kein echtes Äquivalent. Ich hatte im Herbst 1989 bereits mit meiner Doktorarbeit angefangen, die ich gerne auch zu Ende gebracht hätte. Ich fand aber nirgendwo eine Fakultät, bei der ich sie hätte fertig schreiben können.

Ich hatte dann den ökonomischen Druck, Geld zu verdienen. Ich habe also zunächst parallel als freier Journalist sowie als Maler und Grafiker gearbeitet. Ich habe auch für verschiedene Westmedien aus dem Osten berichtet - die hatten ja kaum Leute, die sich mit der DDR auskannten. Die Freiberuflichkeit lief mal besser, mal schlechter. Aber ich wollte gerne eine feste Einnahmequelle und so habe ich 1990 als Kaufmann in einem arabischen Handelshaus angefangen und wurde nach und nach die rechte Hand des Chefs. Für ihn war ich vor allem in Nordafrika unterwegs: Tunesien und Marokko. Ich habe aber auch Textilien aus Indien, Bangladesch und Thailand eingekauft oder auch Tee aus asiatischen Ländern. Seit 1993 bin ich selbständig und betreibe bis heute in Berlin einen Fachhandel für Flaggen. Die DDR-Fahne haben wir auch im Sortiment, aber sie führt eher ein Exotendasein.

Am Anfang habe ich mich gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik loyal verhalten. Mit dem Zusammenbruch des Systems kam eine tiefe Enttäuschung in mir hoch. Ich selbst hatte ja nie viel auszustehen gehabt in dem Land. Je mehr über die wahren Zustände in der DDR bekannt wurde, umso größer wurde meine Distanz zu dem Staat. Unsere internationale Stellung bei Wissenschaft und Technik entsprach nicht dem, was uns immer erzählt worden war. Unsere Spitzensportler waren gedopt. Was mich am meisten enttäuscht hat, war aber, dass man es nicht geschafft hat, zu seinen Leuten aufrichtig zu sein. Es war eine heftige Erfahrung für mich, dass das Land, das meine Heimat war und an das ich geglaubt habe, in so kurzer Zeit wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel. Ich habe jahrelang gebraucht, das zu verarbeiten.

Der alte Staat wollte meine Seele, der neue Staat mein Geld. Natürlich bin ich Bürger der Bundesrepublik Deutschland, aber emotional empfinde ich da nicht viel - leider. Wenn ich Bilder oder Filmsequenzen von der DDR sehe, dann ist da immer noch eine emotionale Verbundenheit - und gleichzeitig ein Stich ins Herz. Ist schon richtig, dass das Land untergegangen ist, denke ich rein rational. Aber Kopf und Herz wollen da einfach nicht einhergehen. Es bleibt eine innere Zerrissenheit.

Ich habe keine Lust mehr, mich in die Nähe irgendeines Staates zu stellen. Ich habe einmal mein Herz an einen Staat gehangen und dann auch noch an den falschen. Das reicht als Erfahrung fürs Leben. Das möchte ich nicht nochmal. Ich bin am liebsten mein eigener Herr.

"Zu den ewig Gestrigen hab ich nie gehört"

Michaela Hübner *, Berufswunsch Pionierleiterin

Im Herbst 1989 war ich 20 Jahre alt und hatte einen Plan: Ich wollte Pionierleiterin werden. Ich studierte am Zentralinstitut der Pionierorganisation "Ernst Thälmann" in Droyßig im heutigen Sachsen-Anhalt, dem Vorzeigeinstitut von Egon Krenz.

Mich hatte schon immer die Arbeit mit Kindern gereizt - ob die nun politisch geprägt war oder nicht, hat für mich dabei keine Rolle gespielt. Hinzu kam: Ich wollte in den Schuldienst.

Ich hatte schon eine Ausbildung zur Bürokauffrau gemacht und kam über den zweiten Bildungsweg zum Pionierleiter-Studium, bei dem ich gleichzeitig die Lehrbefähigung für die Grundschule erwerben konnte. "Fertige" Pionierleiter wurden in den Schulen oft als Vertretungslehrer eingesetzt - ansonsten kümmerten sie sich um das Schulleben innerhalb der Pionierorganisation. Sie planten die wöchentlichen Arbeitsgemeinschaften, Pioniernachmittage oder auch größere Aktionen wie Sportwettbewerbe und andere Schulveranstaltungen. Auch die Wandzeitungen gehörten dazu oder die Präsentation der Schule nach außen.

Meine Mitstudenten und ich hatten längst bemerkt, dass die Stimmung im Land am Brodeln war. Uns hat das verunsichert, wir wussten nicht, wohin das führen sollte.

Am 7. Oktober 1989 wurde in Berlin der 40. Jahrestag der DDR gefeiert. Ich sollte gemeinsam mit anderen aus meinem Studienjahr im "Kampfdirndl" an Honecker vorbeimarschieren - so nannten wir unsere FDJ-Uniform. Meine Eltern und mein Freund haben mir damals verboten, dort mitzulaufen. Die Stimmung war schon ziemlich aufgeheizt, wir wussten, es könnte zu Krawallen kommen. Wir wussten auch: In den Nebenstraßen saßen Soldaten in Lkws, die für den Ernstfall den Auftrag hatten, von ihren Waffen Gebrauch zu machen und Ausschreitungen niederzuschlagen.

Das Ausbildungsinstitut schwieg den Umbruch so lange tot, bis es nicht mehr ging

Die Umbruchsituation in der Bevölkerung wurde an unserem Institut so lange totgeschwiegen, bis es nicht mehr ging. Was auf den Straßen passierte, wurde zunächst nicht thematisiert. Danach folgte die übliche Rhetorik von den bösen Kapitalisten, die Lügengeschichten erzählen und die Menschen aufbringen. Irgendwann merkten aber auch wir, dass das nicht alles Lügen sein konnten. Zu viele Dinge geschahen, die Leute an der Regierung wechselten.

Als die Mauer fiel, war mir klar, dass es meinen Wunschberuf nicht mehr geben wird, da hing ja das rote DDR-Fähnchen dran. Ich hätte das Institut wechseln und nochmal vier Jahre studieren können, um ganz normal Grundschullehrerin zu werden. Aber ich war unsicher, mit Bafög und so was kannte ich mich nicht aus.

Das Institut in Droyßig wurde im Juli 1990 komplett geschlossen. Wir bekamen unsere Semesterzeugnisse und Unterlagen und es war klar: Das war's jetzt. Es würde kein weiteres Semester hier mehr geben. Das war schon schlimm für mich. In beruflicher Hinsicht ist damit eine Welt zusammengebrochen. Ich musste meine Zukunftspläne ziemlich schnell ändern.

Aber ich bin jemand, der sich immer eine Perspektive sucht. Ich nehme mein Schicksal lieber selbst in die Hand. Zu den ewig Gestrigen hab ich nie gehört. Für mich rückte schnell eine andere Notwendigkeit in den Fokus: Geld verdienen. Ich bin also in meinen Beruf als Bürokauffrau zurückgekehrt und fing an, als Sekretärin zu arbeiten. Ein paar Jahre später habe ich meine Kinder bekommen und war dann Hausfrau.

Dass in der DDR vieles nicht richtig lief, war mir schon immer bewusst. Vor manchen Dingen habe ich aber auch die Augen verschlossen. Ich komme aus einer Familie, die nie in Konflikt mit dem Staat geraten war. Wir waren in ihm verwurzelt - auch wenn sich meine Opas mit ihren verschiedenen Kriegserfahrungen manchmal in die Haare bekamen.

Nach dem Mauerfall habe ich mir schon Gedanken gemacht. Alles war neu, die DDR ging unter. Ich habe mich gefragt: "Gehöre ich jetzt auch zum parasitären Kapitalismus?" Bei meinen ersten Besuchen im Westen habe ich tatsächlich an jeder Ecke nach dem Elend gesucht, den der Imperialismus mit sich bringen sollte: Bettler, Arbeitslose, Drogenabhängige und so.

"Was sind wir überhaupt wert?"

Aber nach zwei, drei Besuchen in der BRD war das vorbei. Ich habe das Schwarz-Weiß-Denken ziemlich schnell überwunden indem ich mir einfach die Menschen angeschaut habe. Die lebten im Prinzip genau so wie wir ihr Leben, gingen zur Arbeit. So schlimm konnte es also nicht sein.

Ich war offen für alles Neue, aber ich wollte mich trotzdem nicht verbiegen. Natürlich kamen mir manchmal Zweifel: Sollte mein ganzes Leben vor dem Mauerfall aus Lüge und Verrat bestanden haben? Was sind wir überhaupt wert? Irgendwann habe ich verstanden, dass wir uns mit unseren Wissen und Können nicht verstecken müssen.

Wenn ich meinen Kindern von meiner Kindheit und Jugend in der DDR erzähle, dann sage ich ihnen, dass es mir immer gutging und dass ich mich gerne zurückerinnere. Und ich finde, man sollte auch nicht alles verteufeln, was dieser Staat geschaffen hat. Natürlich waren wir eingesperrt, aber ehrlich gesagt, habe ich das später erst so richtig verstanden. Mit 20 habe ich viele Dinge noch nicht überblickt - dazu gehören auch manche Überzeugungen, für die ich als Pionierleiterin hätte geradestehen müssen.

Heute arbeite ich als Integrationshelferin für behinderte Kinder an Schulen mit Nichtbehinderten. Ich bin nun also doch in einer Grundschule gelandet - und die Arbeit macht mir richtig viel Spaß.

(*Name geändert)

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