Dax-Unternehmen:Milliardenskandal bei Internet-Konzern

Wirecard kann riesige Bankguthaben in Asien nicht nachweisen. Das mehrt die Zweifel an der Firma, der schon länger unseriöses Gebaren vorgeworfen wird.

Von Klaus Ott, Jörg Schmitt und Nils Wischmeyer

Eines der führenden deutschen Unternehmen im weltweiten Internethandel, die Wirecard AG aus München, wird von einem Skandal in Milliardenhöhe erschüttert. Das Unternehmen erklärte am Donnerstag, es fehlten Nachweise über Bankguthaben auf Konten in Asien in Höhe von 1,9 Milliarden Euro. Der Aktienkurs brach um mehr als 60 Prozent ein. Vorstandsmitglied Jan Marsalek wurde vorläufig freigestellt. Eine Aktionärsvereinigung fordert, die Münchner Staatsanwaltschaft müsse den Fall untersuchen.

Die Vorgänge bei Wirecard könnten dem Wirtschaftsstandort Deutschland bei dem Versuch schaden, im boomenden Online-Sektor mitzuhalten. Die Aktiengesellschaft aus Aschheim galt jahrelang als einer von ganz wenigen Konzernen hierzulande, die bei Internetgeschäften den Aufstieg in die Weltliga geschafft haben. Das Unternehmen besitzt eine Banklizenz und wickelt bei Online-Bestellungen die Zahlungen zwischen Käufern und Händlern ab. Wirecard profitierte vom Internet-Boom und stieg sogar in den Deutschen Aktienindex (Dax) auf, in dem die 30 größten Aktiengesellschaften hierzulande versammelt sind. Darunter BMW, Deutsche Bank, Telekom, Siemens und Volkswagen.

Schon seit Längerem gibt es aber Zweifel an der Seriosität des von Markus Braun geführten Unternehmens. Diese Zweifel werden durch aktuelle Vorgänge verstärkt. Wirecard wollte am Donnerstag eigentlich die Bilanz für 2019 vorlegen. Dazu kam es aber nicht, weil die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young ihre Zustimmung zu den Finanzzahlen verweigerten. Ohne solch eine Prüfbescheinigung ist eine Bilanz wertlos. Dass Wirtschaftsprüfer ihr Testat verweigern, ist ein äußerst seltener Vorgang bei einem Dax-Konzern.

Ernst & Young (EY) war diese Woche von zwei Banken auf den Philippinen darüber informiert worden, dass frühere Erklärungen dieser beiden Geldinstitute über Konten von Wirecard und von Tochterfirmen des Konzerns gefälscht seien. Auf den Konten sollten sich diesen früheren Erklärungen zufolge, die vom März 2020 datieren, Ende vergangenen Jahres insgesamt mehr als 1,9 Milliarden Euro befunden haben. Das ist etwa ein Viertel der gesamten Bilanzsumme von Wirecard.

Der Konzern erklärte, wenn bis Freitag keine geprüfte Bilanz vorliege, könnten dem Unternehmen Kredite in Höhe von rund zwei Milliarden Euro gekündigt werden.

Wirecard sieht sich als mögliches Opfer eines "gigantischen Betrugs". Die Konzernspitze um Braun versucht seit Jahren den Eindruck zu erwecken, Wirecard werde von Spekulanten verfolgt, die von fallenden Kursen profitieren wollten. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt seit 2019 gegen britische Börsenhändler und andere Beschuldigte. Neuerdings verdächtigt die Staatsanwaltschaft Braun und seine Vorstandskollegen, Wirecards Börsenkurs nach oben manipuliert zu haben. Vor zwei Wochen hatten die Strafverfolger deshalb die Konzernzentrale durchsucht. Wirecard erklärte, man sei zuversichtlich, dass diese Vorwürfe sich als unbegründet erweisen würden.

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