Jemand hat ein gigantisches "We rise up" in den Schnee auf dem zugefrorenen See getrampelt - wir begehren auf. Die Protestwanderer machen Pause an diesem sonnigen Fleckchen am Schwarzsee, gut acht Kilometer sind sie da noch von Davos, ihrem Ziel, entfernt. Die Transparente liegen ordentlich ausgebreitet auf dem Boden, die Protestschilder stecken im Schnee, es gibt heißen Tee, dazu Brot, Aufstrich, vegane Wurst.
"Wir sehen keine Zukunft für das WEF in einer klimagerechten Welt."
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"Das war die schlechteste Rede, die ich in meinem Leben gehört habe", sagt der Grünen-Chef über die Ausführungen des US-Präsidenten, der vor zu viel Pessimismus in der Klimafrage warnte. Auch von den Linken kommt Kritik.
Es ist Dienstag, Eröffnungstag des Weltwirtschaftsforums. Viele der etwa 600 Menschen, die an diesem Mittag erschöpft im Schnee ihren Tee trinken, sind schon seit Sonntag unterwegs, auf der "Winterwanderung für Klimagerechtigkeit", wie sie ihren Protestmarsch nennen. Auf den rund 50 Kilometern von Landquart nach Davos wollen sie gegen das Weltwirtschaftsforum demonstrieren, gegen die Zusammenkunft, aber auch gegen seine mächtigen Teilnehmer. "Die Konzerne, die Mitglied beim Weltwirtschaftsforum sind, haben die Klimakrise in großen Teilen zu verantworten", sagt Mitra Tavakoli, Sprecherin des Bündnisses aus linken Parteien und Gruppen, die zur Klimawanderung aufgerufen haben. "Wir fordern die Abschaffung des WEF."
Die Forderung ist nicht neu. Schon seit vielen Jahren zieht das Weltwirtschaftsforum, als eigentlich private Veranstaltung ohne demokratische Legitimation, den Unmut linker Gruppen auf sich. Neu ist die Schlagkraft, die die Anti-WEF-Bewegung dieses Jahr entwickelt hat. Nach eher kleinen Kundgebungen in den vergangenen Jahren ist eine andere Dynamik zu spüren, getragen von der Klimabewegung der vergangenen Monate. Etwa 1000 Demonstranten sollen bei der Auftakt-Kundgebung in Landquart dabei gewesen sein. An dem Rastplatz am Schwarzsee sind es weniger, vielleicht auch, weil die Wanderetappen zum Teil ziemlich anstregend sind.
"World Economic Failure" steht auf den Schildern der Demonstranten, Weltwirtschaftsfehlschlag. Aber sind nicht gerade Klima und nachhaltiges Wirtschaften die Themen, die das diesjährige Forum dominieren? Sprecherin Mitra Tavakoli zuckt mit den Schultern. "Das WEF setzt den Rahmen für diesen Dialog, und es findet kein Dialog auf Augenhöhe statt." Kritische Stimmen würden oft nur einmal eingeladen und dann nicht wieder. Immerhin: Die junge Klimaaktivistin Greta Thunberg spricht dieses Jahr schon zum zweiten Mal. Für Tavakoli und ihre Mitstreiter macht dies das Forum nicht besser. Man schätze Thunberg und werfe ihr auch nicht vor, dass sie auftritt, es gebe nun mal verschiedene Ansätze. "Unserer ist es nicht. Wir sehen keine Zukunft für das WEF in einer klimagerechten Welt."
Am Schwarzsee formiert sich der Demonstrationszug wieder. Unter den internationalen Teilnehmern sind Antifa-Anhänger, sogenannte Klimaseniorinnen und -senioren, Leute aus der Bergsportbewegung. Auf den meisten Rucksäcken und Jacken prangt allerdings der "Climate Strike"-Sticker der "Fridays for Future"-Bewegung. Auch die junge Schweizerin Michèle Staufer, 18 Jahre alt, demonstriert seit Monaten für mehr Klimaschutz. Sie wandert seit Landquart mit, meistens ganz vorn. "Ich hab Muskelkater, aber es ist ein gutes Gefühl, hier dabei zu sein", sagt sie. Das Weltwirtschaftsforum sei einfach ein Treffen für Reiche, damit sie noch reicher werden könnten. "Und sie bekommen hier eine Plattform für Greenwashing, das kann ich nicht akzeptieren."
Die Protestierer blockieren die Straße - die wichtigsten Gäste aber kommen per Helikopter
Ein 22-jähriger Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte, sagt: "In meiner Generation ist es eigentlich fast unmöglich, nicht Teil der Klimabewegung zu sein." Er sei für die Wanderung aus Sachsen angereist, weil er sich oft so machtlos fühle. "Wenn die Bundesregierung ein wirkungsloses Klimapaket vorstellt oder wenn die Klimakonferenz in Madrid keine Ergebnisse bringt, dann lässt mich das verzweifeln. So was hier macht mir Mut." Er finde es wichtig, dort ein symbolisches Zeichen der Opposition zu setzen, wo die Entscheidungen gefällt würden - wie eben hier in Davos.
Nur ein paar Minuten später setzen die Klimawanderer ein solches Zeichen. Bislang haben sie sich an die Auflagen gehalten und sind statt auf der wichtigsten Zufahrtsstraße nach Davos auf Wanderwegen gelaufen. Jetzt blockiert eine Gruppe von ihnen die Kantonsstraße - fast eine Stunde lang. Die Autos stauen sich, die Polizei baut sich in gepanzerter Ausrüstung auf. Schließlich räumen die Demonstranten freiwillig die Fahrbahn. Auf den letzten Kilometern nach Davos gelingt es ihnen noch ein zweites Mal, die Straße zu blockieren. "Klimaschützen ist kein Verbrechen", skandieren sie, während sie sich auf den Ortskern von Davos zubewegen. Nur wenige wichtige Gäste des Forums reisen über diese Straße an, stattdessen brummen Helikopter in der Luft. Als die Wanderer nach Einbruch der Dunkelheit jubelnd auf dem Davoser Rathausplatz ankommen, haben sie das Elitentreffen mit ihrer Blockade trotzdem gestört, wenigstens ein bisschen.