David Cameron vs. Jean-Claude Juncker:Gefühlter Sieg eines Überzeugungstäters

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David Cameron (links) und Jean-Claude Juncker während eines EU-Gipfels im November 2012 (Foto: AFP)

Der britische Premier will Juncker als Kommissionsspräsidenten verhindern. Mit dieser Haltung steht er ziemlich einsam da. Doch Cameron ist davon überzeugt, das Richtige für sein Land und die europäische Idee zu tun. Und hat er nicht ein paar bedenkenswerte Argumente?

Ein Kommentar von Christian Zaschke, London

Selten klafften Außen- und Innenwahrnehmung Großbritanniens so sehr auseinander wie in der Diskussion darüber, ob der Luxemburger Jean-Claude Juncker Präsident der EU-Kommission werden soll. Auf dem europäischen Festland ist man überwiegend der Ansicht, dass die Briten sich wieder einmal querstellen, dass sie Sonderrechte beanspruchen und insgesamt dem, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel ihn gerne nennt, "europäischen Geist" zuwiderhandeln.

Auf der Insel ist die politische Klasse hingegen in seltener Harmonie vereint. Nicht nur die konservative Partei von Premier David Cameron lehnt Juncker ab. Auch die oppositionelle Labour-Partei und die Liberaldemokraten, beide im Grundsatz EU-freundlich, sind strikt gegen Juncker. Man fragt sich in Großbritannien nicht, ob man vielleicht falschliegen könnte, da von 28 Mitgliedsstaaten der EU mindestens 26 offiziell anderer Meinung sind. Man fragt sich vielmehr, was in aller Welt in die 26 gefahren ist.

Ist der Premier der Einzige, der in der Sache Juncker ehrlich ist?

Die Briten blicken traditionell mit einer pragmatischen Distanz auf den, wie sie gern denken, kontinentalen Leichtsinn. Zudem waren sie in europäischen Verhandlungen schon immer gut darin, ihre nationalen Interessen zu identifizieren und durchzusetzen. Im Fall Juncker sind sie allerdings ernsthaft der Ansicht, dass die anderen Mitglieder sich auf einem Irrweg befinden. Der 59 Jahre alte EU-Veteran Juncker gilt als ausgelaugt, als Mann der alten Garde, zudem gibt es Vorbehalte gegen seinen Lebensstil. Sie argumentieren, die europaskeptische Stimmung überall in der EU verlange nach einem Neuanfang mit "aufgewecktem und frischem" Personal in Brüssel.

Cameron ist nicht so vermessen zu glauben, er erweise der großen europäischen Idee mit seinem einsamen Widerstand einen Dienst. Aber der Premier ist nicht nur fest davon überzeugt, das Richtige zu tun; er ist sich auch sicher, dass er ausspricht, was viele denken, aber aus innenpolitischen Zwängen oder außenpolitischem Kalkül nicht offen sagen. Tatsächlich gibt es reichlich Hinweise darauf, dass auch andere Regierungschefs alles andere als angetan von der Personalie Juncker sind, was sie Cameron gegenüber offenbar im persönlichen Gespräch auch zugegeben haben. Das alles muss man beim Blick auf die zunächst unverständlich anmutende Sturheit der Briten bedenken.

Jean-Claude Juncker
:Polit-Junkie mit Humor

Keine Kinder, keine besonderen Hobbies: Jean-Claude Junckers Leben ist die Politik. Mit 28 wurde er Staatssekretär, mit 40 luxemburgischer Premier, mit 59 der erste mehr oder weniger vom Volk gewählte EU-Kommissionspräsident.

Oberflächlich betrachtet ist die Angelegenheit simpel. Die drei größten europäischen Parteienfamilien haben sogenannte Spitzenkandidaten aufgestellt und beschlossen, dass der Kandidat der Partei mit den meisten Stimmen Chef der Kommission werden soll. Die Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch die CDU gehört, sammelte die meisten Stimmen, Jean-Claude Juncker war ihr Kandidat.

Politischer Trampel oder Mann des ehrlichen Wortes?

Während in Deutschland eine Mehrheit der Wähler der Ansicht ist, dass Juncker damit Wahlsieger ist und den Posten automatisch erhalten muss, weist man in Großbritannien auf zweierlei hin: Erstens konnte man im Land gar nicht für Juncker stimmen, da die britischen Konservativen nicht Teil der EVP sind und Juncker auch auf keinem Wahlzettel stand. Zweitens lehnt man in Großbritannien das Spitzenkandidaten-Modell aus prinzipiellen Erwägungen ab, weil man nicht will, dass die gewählten Staats- und Regierungschefs Macht an das EU-Parlament abgeben.

Wie Cameron die Sache taktisch angegangen ist, gilt zu Recht als umstritten. Man bestreitet solche Auseinandersetzungen gemeinhin, indem man lösungsorientiert Gespräche führt. Cameron hingegen drohte bei allererster Gelegenheit, ein EU-Austritt Großbritanniens werde nun wahrscheinlicher. Das verärgerte die Kollegen, Cameron stand als Erpresser da. Nicht wenige Kollegen und Kommentatoren halten Cameron für einen politischen Trampel. Aber stimmt das?

Auf der Insel wird Cameron in der Auseinandersetzung als ein Mann wahrgenommen, der ehrlich sagt, was er denkt. Die anderen hingegen schließen Deals und schachern um Posten. Der notorisch unkontrollierbare europaskeptische Flügel der Tories applaudiert ihm, die Partei ist einig wie selten. Zudem signalisiert Cameron auch den Wählern der europafeindlichen Ukip-Partei, dass er für britische Interessen einsteht - gegen eine überwältigende Mehrheit. Eine geeinte Partei und die Ukip-Stimmen: Genau das braucht Cameron, wenn er bei der Parlamentswahl im kommenden Jahr bestehen will.

Der Premier vertritt überdies die Ansicht, dass er ausnahmsweise nicht nur im nationalen Interesse agiert, sondern dass er es ist, der mit seinem Widerstand gegen Jean-Claude Juncker im europäischen Geist handelt. Aus diesen Gründen wird er sich, auch wenn die Kollegen ihn auf dem EU-Gipfel Ende der Woche überstimmen, als Sieger fühlen.

© SZ vom 25.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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