Dauerberichterstattung über Hugo Chávez:Seine Heiligkeit, der Comandante

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"Revolutionär", "Sein wunderbares Erbe", "Ein Visionär" - die Staatssender in Venezuela übertrumpfen sich mit ihren Huldigungen des verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez. Gleichzeitig wächst vor allem in der Opposition die Kritik an dessen Nachfolger Maduro.

Von Peter Burghardt, Caracas

Neben der Leiche seines Vorgängers wurde noch selten ein Präsident eingeschworen. Aber auch das ist jetzt passiert in Venezuela, dem Reich des Magischen Surrealismus. Seinen ersten Amtseid leistete Nicolás Maduro am Freitag im Parlament von Caracas, nach dem Trauerakt: "Entschuldigen Sie die Tränen, aber diese Schärpe gehört Hugo Chávez", schluchzte der neue Staatschef danach.

Das zweite Mal hob Maduro die Hand dann am Sarg von Chávez, der seit vergangenen Mittwoch aufgebahrt in der Militärakademie liegt. "Wir schwören von patriotischem Herzen, dass wir dem Kommandanten Hugo Chávez loyal sein Wort durchsetzen werden. Wir werden seinem politischen Erbe treu sein und unser Leben dafür geben, das unabhängige sozialistische Vaterland aufzubauen und die Armen zu verteidigen."

Das Land ist geteilt wie zuvor

An seiner Seite ernannte er Chávez' Schwiegersohn Jorge Arriaza zum Vize. Der bisherige Wissenschaftsminister ist mit einer Tochter des Toten verheiratet und sprach: "Ich schwöre, wie ich dem Comandante in den letzten Minuten seines Lebens geschworen habe, dass er in Ruhe scheiden soll, weil wir den Kampf Simón Bolívars zu seinem Höhepunkt bringen werden." Damit wächst der Führerkult ins Unermessliche.

Doch Maduro überzeugt längst nicht alle: "Nicolás, dich hat niemand zum Präsidenten gewählt", polterte Oppositionsführer Henrique Capriles. Zuvor hatte sich auch Capriles pietätvoll verhalten, doch jetzt klagt seine Bewegung über Verfassungsbruch. Seiner Ansicht nach hätte statt Maduro der Parlamentspräsident Diosdado Cabello übernehmen müssen, ehe am 14. April neu gewählt wird.

Der Wahltermin in einem Monat gilt als unstrittig, ansonsten ist das Land geteilt wie zuvor. Der Vereidigung blieben die meisten oppositionellen Abgeordneten fern - nur eine Partei aus dem Widerstand rückte an, womit die Regierungsgegner schon wieder entzweit wären. Internationale Proteste gegen die Auslegung der Verfassung gibt es allerdings wenige, Botschafter der EU-Länder erschienen zur Zeremonie für Maduro.

Die Wahl dürfte Chávez' irdischer Statthalter klar gewinnen. Im Oktober hatte Chávez 55 Prozent und Capriles 45 Prozent der Stimmen bekommen, Maduro wird nun von der umschwärmten Legende profitieren. Fürs erste jedenfalls, bis es wirtschaftliche Probleme geben könnte. Er spricht von "harter Hand" und "der politisch-militärischen Führung dieser Revolution". Rivalen nennt er "Söldner des Hasses".

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Von Peter Burghardt, Caracas

Gleichzeitig wird Chávez immer heiliger. Vor seinen sterblichen Resten stehen weiterhin zehntausende Anhänger Schlange. Auf Venezuela de Televisión war Hugo Chávez gleich dreimal zu sehen, dafür wurde die Bildfläche des venezolanischen Staatssenders dreigeteilt: Unten rechts das Trauerporträt mit der Landesflagge und dem Motto "Viva Chávez para siempre", Chávez lebe für immer. Oben rechts das Live-Bild von der Aussegnungshalle und den Menschenmassen. Oben links ein chavistischer Abgeordneter vor einem Chávez-Foto im Studio, er sagt: "Der Unsterbliche, unser zweiter Befreier, unser Comandante ruht zufrieden, weil er seinem Volk die Augen geöffnet hat." Darunter läuft die Textzeile "Hasta la victoria siempre, comandante". Immer bis zum Sieg, Kommandant.

So ist das seit der Verwandlung des Revolutionsführers zum Heiland von Caracas. Zu seinen Lebzeiten hatte der Volkskanal mit dem Kürzel VTV jedes öffentlich gesprochene Wort des Caudillo verbreitet, und das waren viele Worte in 14 Jahren mit bis zu neun Stunden langen Monologen. Unter anderem übertrug VTV vor dem Ausbruch seiner Krankheit jeden Sonntag die Live-Show "Hallo Präsident". Jetzt wird rund und um die Uhr dem verstorbenen Messias gehuldigt. "Der unbesiegte Kommandant." "Stratege, Intellektueller, Revolutionär." "Sein wunderbares Erbe." "Ein Visionär." "Seine ewige Liebe." "Ich bin Chavist bis zum letzten Blutstropfen."

Während der Trauerfeier ist eine Kommentatorin besonders begeistert von den Staatsgästen Mahmud Ahmadinedschad aus Iran und Alexander Lukaschenko aus Weißrussland: "Ahmadinedschad und Lukaschenko weinen, weil sie ihn als Freund betrachtet haben." Lukaschenko hatte sogar seinen Sohn dabei, und Ahmadinedschad küsste den Sarg. Die Argentinierin Cristina Fernández de Kirchner sowie die Brasilianer Dilma Rousseff und Luiz Inácio Lula da Silva wiederum hatten sich rechtzeitig vor der Ankunft des iranischen Holocaust-Leugners abgesetzt.

Informative Kettenreaktion

Selbst die erste Sitzung des neuen Präsidenten Nicolás Maduro mit einer Delegation aus China ist auf VTV zu bewundern. Zwischendurch spricht immer wieder der unsterbliche Chávez aus der Vergangenheit. Und in den bedeutendsten Momenten erklingt die Nationalhymne, dann schalten automatisch sämtliche Kanäle auf die Stimme der Regierung. Das nennt sich Cadena Nacional.

Die aktuelle Serie dieser informativen Kettenreaktion begann, als der damalige Stellvertreter Maduro am 5. März Chávez' Tod bekannt gab. Die Schreckensnachricht, der Trauerzug, der Staatsakt, Maduros Amtseid - alles Cadena Nacional. Auch die Konkurrenz muss dann das Signal von VTV übernehmen.

So war es bereits vor Chávez, doch unter ihm nahmen die staatstragenden Ereignisse erheblich zu. Es ist die mit Öl finanzierte Rache an den elitären Privatmedien, die mit Reklame für Immobilien oder Gesichtscreme verdienen und Chávez loswerden wollten. Den Kanal RCTV ließ er vom Äther nehmen, Erzfeind Globovisión macht weiter. "Es gibt hier kein pluralistisches Szenario", klagt dort ein Interviewter, "das ist keine wahre Demokratie."

Doch noch kommt die Opposition in ihren Zeitungen und Sender durchaus ausführlich zu Wort - wenn auch nicht so messerscharf wie die Chávez-Fraktion zum Beispiel im VTV-Klassiker "La Hojilla", die Rasierklinge. Dessen Moderator warnt nach Mitternacht vor "faschistischen Zirkeln" und beruhigt: "Er hat uns nicht verlassen, er bewacht uns von oben. Der Comandante Chávez ist unbesiegt ins Himmelreich aufgestiegen."

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