Süddeutsche Zeitung

Datenklau:Das Beben aus dem Kinderzimmer

Innenminister Seehofer lobt, wie schnell die Behörden nach dem ersten Hinweis ermittelten - bis sie auf einen 20-jährigen Schüler stießen.

Von Jannis Brühl, Nico Fried und Susanne Höll, Wiesbaden/Berlin

Am vergangenen Donnerstagabend erreichte das Büro der SPD-Fraktionschefin im Bundestag der Hinweis, dass im Internet private Daten von Andrea Nahles zu finden seien. Ein Juso hatte sie entdeckt. Das Büro prüfte über den entsprechenden Link die Daten, unter denen weitere Telefonnummern von Spitzenpolitikern waren, und stellte fest: Das meiste stimmte. Eine telefonische Nachfrage bei Nahles ergab, dass sie bereits anonyme Anrufe erhalten hatte.

Um 22.40 Uhr schickte einer von Nahles' führenden Mitarbeitern eine Mail an das Lagezentrum des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden, in der er um Aufklärung bat und auch die Besorgnis der Fraktionsvorsitzenden zum Ausdruck brachte. Diese Mail war der Auslöser für die Ermittlungen des BKA, die am Sonntag zur Festnahme eines Tatverdächtigen führten und über die am Dienstag Innenminister Horst Seehofer und BKA-Präsident Holger Münch die Öffentlichkeit informierten.

Seehofer schildert den Fortgang der Ermittlungen ausführlich, auch um dem Eindruck entgegenzuwirken, die Behörden hätten nicht zügig gearbeitet. Um 0.21 Uhr am Freitag habe das Lagezentrum im Innenministerium erste Informationen erhalten und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) informiert. 1.22 Uhr: Das BSI liefert eine erste Einschätzung an das Bundeskriminalamt. 1.33 Uhr: Die Daten werden gesichtet und gesichert. 2.12 Uhr: Erstes Ersuchen bei einem Internetdienstleister um Löschung von Daten. 3.48 Uhr: Das BKA unterrichtet schriftlich alle Landeskriminalämter sowie mehrere Bundesbehörden. 5.18 Uhr: Das BSI unterrichtet das BMI. 6.50 Uhr: Seehofer wird informiert. 7.30 Uhr: Das Cyber-Abwehrzentrum des BSI, zu dem neben dem BKA auch die Geheimdienste gehören, wird zu einer Sondersitzung für 10 Uhr einberufen. 9.35 Uhr: Antrag auf Deaktivierung der beiden Twitter-Accounts, über die der Täter die Daten verbreitet hatte. 10.30 Uhr: erste Information der politischen Parteien. Um 11.03 Uhr werden die beiden Twitter-Accounts abgeschaltet.

Man sei "vom schlimmsten Fall ausgegangen", sagt BKA-Chef Münch

Das BKA, wo man laut Präsident Münch "vom schlimmsten Fall ausgegangen" sei, also einem "größeren Hacker-Angriff", richtete einen Stab mit Mitarbeitern aus drei Abteilungen unter Führung des Cyber-Bereichs ein. Dabei sei es nicht nur um die Ermittlungen gegangen, sondern auch um die Information der Betroffenen. Das BKA verschickte später nach Informationen der Süddeutschen Zeitung eine Erläuterung an alle Bundestagsabgeordneten, in der es heißt, es sei "in Betracht zu ziehen, dass die betroffenen Personen nicht nur im direkten zeitlichen Zusammenhang Ziel beispielsweise von (anonymen) Beleidigungen und Bedrohungen oder vereinzelt Sachbeschädigungen werden können". Das BSI rief in einem Rundbrief die "IT-Bedrohungslage GELB" aus, was bedeutet: "verstärkte Beobachtung von Auffälligkeiten unter temporärer Beeinträchtigung des Regelbetriebs".

Am Freitagmittag eröffnete die Staatsanwaltschaft Frankfurt ein Verfahren und beauftragte das BKA mit den Ermittlungen. Zu diesem Zeitpunkt gab es Hinweise auf 17 zusätzliche Accounts, die bei der Verbreitung der Daten eine Rolle gespielt haben könnten. Am Samstag fanden erste Zeugenvernehmungen statt. Am Sonntagmittag war der mutmaßliche Täter nach Münchs Angaben identifiziert. Hilfreich waren Zeugen aus der Szene, unter ihnen ein Mann in Heilbronn, dessen Wohnung am Wochenende durchsucht wurde.

Bei dem jungen Mann aus Mittelhessen handelt es sich um einen Computerfan und Technikfreak. Er ist offenbar ein Tüftler, der sich sozusagen im Selbststudium neben der Schule zu einem Hacker entwickelt und von seinem alten Kinderzimmer aus zwischenzeitlich die deutsche IT-Welt samt Politik zum Beben gebracht hatte. Über die Person des 20-Jährigen geben die Ermittler des BKA und der hessischen Generalstaatsanwaltschaft am Dienstag wenig preis. Juristisch gilt er als Heranwachsender, die stehen bei der Strafverfolgung unter besonderem Schutz.

Aber ein paar Dinge erfährt man: Dass er es zuletzt angesichts der öffentlichen Aufregung mit der Angst zu tun bekommen haben muss und versuchte, zumindest einen seiner inkriminierenden Datenträger zu vernichten. Die Polizei hat diesen sichergestellt und bemüht sich, ihn wiederherzustellen. Der Tragweite seines Tuns war sich der junge Mann, so der Eindruck der Fahnder, lange Zeit nicht bewusst. Erst als die Polizei auftauchte, ihn kurzzeitig festnahm und die elterliche Wohnung durchsuchte, habe ihm gedämmert, was er angerichtet habe. Die Ermittler meinen, Zeichen der Reue bei ihm festgestellt zu haben. Am Sonntagabend sei er, so BKA-Chef Münch, nur zu einer "beschränkten Einlassung" bereit gewesen. Am Montag habe er dann "umfangreich ausgesagt".

Wie er bei seinen Ausspitzelungen genau vorging, behalten die Sicherheitsbehörden lieber für sich, um Nachahmungstaten zu vermeiden. Was genau den 20-Jährigen zu dem Datenklau veranlasste, möchten die Fahnder noch genauer klären. Bislang sage der junge Mann nur, er habe sich über Äußerungen von Politikern geärgert.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4279116
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.01.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.