Daten und Fakten:Jede dritte Frau trifft es

Sie haben Angst - vor der Polizei, vor dem Partner, vor dem Gericht. Deshalb meldet nicht mal jede zehnte Betroffene die Vorfälle.

Von Alexandra Borchardt

Wenn Frauen in Amerika eine Arztpraxis aufsuchen, werden sie, noch bevor sie von Kopf-, Kreuz- oder Halsschmerzen berichten können, üblicherweise als Erstes das gefragt: "Fühlen Sie sich zu Hause sicher?" Dabei geht es den Krankenschwestern und Ärzten nicht um das Schloss an der Wohnungstür oder den Zustand der Hausgeräte. Das größte Verletzungsrisiko für amerikanische Frauen ist ihr Partner, und das gilt auch anderswo. Überall auf der Welt laufen Frauen Gefahr, vom Mann oder Freund während der Beziehung oder nach einer Trennung geschlagen, verletzt oder sogar getötet zu werden. Das betrifft sämtliche Kulturen und Hautfarben, Stadt und Land, alle gesellschaftlichen Schichten.

Nach Angaben von Weltgesundheitsorganisation und UN Women, die Frauenorganisation der Vereinten Nationen, wird jede dritte Frau (35 Prozent) im Laufe ihres Lebens Opfer von physischer oder sexueller häuslicher Gewalt. In manchen Ländern haben bis zu 70 Prozent aller Frauen solche Gewalt erlebt, in der Europäischen Union liegt die Rate bei durchschnittlich 43 Prozent. In etlichen Fällen enden Beziehungsstreits tödlich. 38 Prozent aller weiblichen Mordopfer weltweit werden von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht, dagegen trifft dies nur auf weniger als sechs Prozent der getöteten Männer zu.

In 119 Ländern gibt es gesetzlichen Schutz

Die Gefahr zu erkennen ist schwer, denn die meisten Täter verhalten sich außerhalb der eigenen vier Wände nicht auffällig aggressiv. So geht aus dem "Domestic Violence Intervention Program" des US-Staats Iowa hervor, dass mehr als 80 Prozent aller wegen häuslicher Gewalt auffälligen Männer ausschließlich ihre Partnerin drangsalieren. Es gehe ihnen um Kontrolle.

Statistiken über häusliche Gewalt sind allerdings mit Vorsicht zu interpretieren. Denn in den Ländern, in denen besonders viel passiert, schweigen die meisten Frauen darüber. Deshalb verschlechtern sich die Zahlen, je mehr davon verlässlich erhoben werden. Und deshalb schneiden auf der Weltkarte der häuslichen Gewalt einige Länder verhältnismäßig schlecht ab, von denen man es nicht denken würde. Überall dort, wo das Recht die Frauen besser schützt und die Frauen ihre Möglichkeiten kennen, gehen sie häufiger zur Polizei oder in die Beratungsstelle und reden bei Umfragen offener über häusliche Angriffe als dort, wo weibliche Selbstbestimmung ohnehin wenig gilt.

Nach Schätzung von UN Women suchen in den Ländern, in denen überhaupt Daten zu dem Thema ausgewertet werden, weniger als 40 Prozent aller Opfer Hilfe. Nicht einmal jede zehnte Betroffene geht zur Polizei. Dabei haben Frauen in weiten Teilen der Welt die rechtliche Möglichkeit, sich gegen Übergriffe ihrer Partner zu wehren. In immerhin 119 Ländern gibt es Gesetze, die häusliche Gewalt in irgendeiner Form sanktionieren.

Tatsächlich tangiert das Thema nicht nur Gesetze und Menschenrechte, sondern auch Wirtschaft und Politik. Die Oxford-Ökonomin Linda Sachs bezeichnet häusliche Gewalt oder die Angst davor als das womöglich größte Hindernis für Frauen, sich wirtschaftlich zu betätigen - mit Folgen für das globale Wachstum. Und die Autorinnen Valerie Hudson und Bonnie Ballif-Spanvill argumentieren in ihrem Buch "Sex and World Peace" (2012): Der beste Indikator dafür, wie friedlich es in einem Land zugehe, sei die Behandlung von Frauen dort.

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