Frankfurt - Im Prozess gegen den früheren Vize-Chef der Frankfurter Polizei, Wolfgang Daschner, hat das Landgericht Frankfurt am Montag vermieden, eine Strafe zu verhängen.
Die 27. Strafkammer unter der Vorsitzenden Richterin Bärbel Stock fand zwar, dass sich der mitangeklagte Hauptkommissar Ortwin E. im Entführungsfall Jakob von Metzler der Nötigung und Daschner der Verleitung zur Nötigung schuldig gemacht hätten.
Sie sprach aber gegen beide Angeklagte wegen "ehrenwerter Motive" nur eine Verwarnung aus. Die Gewerkschaft der Polizei begrüßte das Urteil. Es schaffe Rechtssicherheit für Polizisten.
"Die Verteidigung der Rechtsordnung hat zwar einen Schuldspruch, aber keine Bestrafung geboten", sagte die Vorsitzende Richterin zur Begründung.
Normalerweise sieht das Gesetz für Nötigung sowie für die Verleitung dazu eine Mindeststrafe von sechs Monaten vor. Nachdem aber bereits die Staatsanwaltschaft ein Urteil unterhalb dieses Maßes verlangt hatte, fiel der Spruch der Kammer nun nochmals milder aus.
Sie verhängte über Daschner eine Geldstrafe von 10.800 Euro, über E. von 3600 Euro - die beide aber nur zahlen müssen, sollten sie sich innerhalb eines Jahres erneut etwas zuschulden kommen lassen.
Die Staatsanwaltschaft hatte für Daschner 27.000 Euro verlangt, im Fall E. einen Betrag von 14.400 Euro, ebenfalls unter dem Vorbehalt; darüber hinaus eine so genannte Geldauflage über 10.000 und 5000 Euro, die in jedem Fall zu zahlen gewesen wäre. Darauf verzichtete das Gericht.
Die Verteidigung hatte Freisprüche gefordert. Das Urteil ist rechtskräftig.
Verstoß gegen Grundgesetz
In dem Verfahren ging es um eine Drohung, die Daschner am 1. Oktober 2002 im Entführungsfall des Bankierssohnes Jakob von Metzler übermitteln ließ.
In seinem Auftrag kündigte E. dem Festgenommenen Magnus Gäfgen die Zufügung von Schmerzen an, sollte er nicht mitteilen, wo sich der Junge befand; die Beamten waren davon ausgegangen, dass dieser noch am Leben war. Daraufhin teilte Gäfgen das Versteck der Leiche mit.
Das Vorgehen der Beamten löste eine Debatte über die Zulässigkeit von Folter aus. Daschner brachte im Prozess zwar zum Ausdruck, dass er die Verwendung dieses Begriffs in dem Zusammenhang für irreführend, ja böswillig halte.
Er habe lediglich "unmittelbaren Zwang" angeordnet. Ein Polizist im Zeugenstand sagte jedoch aus, er habe die Anweisung als Aufforderung zur Folter verstanden.
Die Kammer warf den Angeklagten vor, in dem Entführungsfall die legalen Vernehmungsmethoden nicht ausgeschöpft zu haben. Die Vorsitzende Richterin verwies auf das Konzept, das die Sonderkommission damals ausgearbeitet hatte.
Es sah vor, Gäfgen mit den Geschwistern des entführten Jungen zu konfrontieren, um den Entführer zu beeindrucken. Die Richter verwiesen unter anderem auf das hessische Polizeigesetz, in dem es heißt: "Unmittelbarer Zwang zur Abgabe einer Erklärung ist ausgeschlossen."
Die Androhung von Gewalt sei weder geboten noch angemessen gewesen. "Die Drohung war verwerflich, auch wenn es ihr Zweck war, das Leben des Kindes zu retten", betonte Stock. Daschner und E. hätten gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstoßen, nach dem die Menschenwürde unantastbar sei, auch diejenige eines mutmaßlichen Kindesentführers.
Das Gebot sei von den Verfassungsvätern ganz bewusst an den Beginn des Grundgesetzes gesetzt worden - noch vor dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, sagte Stock.
Nach den Erfahrungen aus der NS-Zeit sollte der Mensch "nie mehr als Träger von Wissen behandelt werden, das der Staat aus ihm herausbringen kann".
Die Urteile der Gerichte in Deutschland basierten auf rein rechtsstaatlichen Verfahren, sagte sie. "Ohne dies bricht alles zusammen."
Kritik von Menschenrechtlern
Dass das Gericht dennoch von einer förmlichen Strafe absah, begründete die Richterin mit "massiven mildernden Umständen". Es sei den Polizisten "ausschließlich und dringend" darum gegangen, den elfjährigen Jungen zu retten. Dass Daschner anschließend eigenhändig jenen Vermerk über sein Vorgehen schrieb, der das Verfahren gegen ihn und E. erst in Gang brachte, zeige seine "ehrenvolle Gesinnung".
Darüber hinaus habe der Medienrummel um die beiden Angeklagten "Prangerwirkung" gehabt.
Nach Auffassung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat das Gericht "die äußerst schwierige menschliche Konfliktsituation der Angeklagten berücksichtigt", sagte der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg in Berlin.
Das Urteil schaffe Rechtssicherheit, dass gegen Personen, die sich in Polizeigewahrsam befinden, weder Gewalt noch Drohung mit Gewalt zulässig seien. Amnesty International (AI) bemängelte hingegen, dass die Tat nicht als Folter gewertet wurde.
"Das Gericht hat die Chance verpasst, hierzu ein unmissverständliches Wort beizutragen", sagte die Generalsekretärin der deutschen Sektion von AI, Barbara Lochbihler. Immerhin aber habe das Gericht festgestellt, dass Daschners Handeln strafbar gewesen sei.