Das Regierungsgebäude befindet sich im Belagerungszustand, Tausende Protestierende singen, trommeln und pfeifen. Vertreter des Regimes werden angebrüllt, ihre Häuser überwacht, aus dem ganzen Land melden sich Unterstützer, spenden Lebensmittel und Geld, bekunden ihre Solidarität. Der Regierungschef überlegt am Telefon mit einem schwerreichen Getreuen, ob man Unruhestifter anheuern und unter das Volk mischen sollte.
Zwischen 1979 und 2005 sind 20 Prozent aller Einkommenszuwächse in den USA an die 0,1 Prozent der Topverdiener, die 300.000 reichsten Amerikaner, gegangen. Die unteren 60 Prozent, etwa 180 Millionen Menschen, mussten sich mit 13,5 Prozent begnügen.
(Foto: iStockphoto)Die Szenen stammen nicht aus Tunesien, Ägypten oder Libyen, sondern aus Madison, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Wisconsin, wo Staatsbedienstete, Lehrer, Gewerkschaftsmitglieder gegen ein Gesetz aufbegehren, mit dem ihnen die Gehälter gekürzt und das Tarifrecht entzogen werden soll.
Berichtigt werden muss an der Schlachtbeschreibung allein, dass der Anrufer bei Gouverneur Scott Walker nicht der echte David Koch war, der milliardenschwere Großindustrielle und Hauptsponsor der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung, sondern ein Stimmenimitator aus Buffalo namens Ian Murphy. Am Hörer hatte dieser aber den echten Walker, und als der falsche Koch vorschlug, bezahlte Quertreiber unter die protestierenden Gewerkschaftsmitglieder zu schicken, sagte Walker, darüber hätten sie schon nachgedacht.
Mittlerweile haben die Demonstranten das Regierungsgebäude längst geräumt. Im vergangenen März hat ein Richter in Wisconsin Walkers Gesetz vorläufig gestoppt.
Die eigentliche Geschichte geht jedoch über die Ereignisse in Wisconsin hinaus. Es handelt sich dabei nicht einfach um das jüngste Scharmützel in Barack Obamas Präsidentschaft, eine Folge der großen Rezession in den USA oder eine neue Runde im amerikanischen Kulturkampf zwischen dem konservativen Kernland und den liberalen Küstenstaaten.
Einen "dreißigjährigen Krieg" nennen es die Politologen Jacob Hacker und Paul Pierson in ihrem wuchtigen, mythenzerstörenden Buch "Winner-Take-All Politics". In diesem Krieg geht es um mehr als den Kulturkampf. Es geht um Geld, Einfluss, Macht. Es geht um eine massive Umverteilung von unten nach oben - von der Mittelklasse zu den Superreichen.
Hacker und Pierson sind auf wissenschaftliche Strenge bedacht. Allen möglichen Einwänden versuchen sie den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ihr Buch ist weder agitatorisch noch schrill. Drastisch sind vielmehr die Zahlen und die in nüchternem Stil aufgedeckten politischen Konstellationen, Machtverhältnisse und Geschäftsmethoden.
Zwischen 1979 und 2005 gingen 20 Prozent aller Einkommenszuwächse in den USA an die 0,1 Prozent der Topverdiener, die 300.000 reichsten Amerikaner. Die unteren 60 Prozent, etwa 180 Millionen Menschen, mussten sich mit 13,5 Prozent begnügen (jeweils nach Steuern). Die kleine Spitzengruppe kommt derzeit auf jährliche Einnahmen von einer Billion Dollar, 7,1 Millionen pro Person. 1974 verdienten sie noch eine Million im Schnitt (die Inflation miteingerechnet). Ihr Anteil am Volkseinkommen betrug damals 2,7 Prozent, heute sind es 12,3 Prozent.