Das "Nein" der Linken zu Waffenlieferungen:Eine Häutung steht an

Berlin der Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag Gregor Gysi am Dienstag 11 03

Der Fraktionsvorsitzende der Linken Gregor Gysi: "Eigentlich bin ich strikt gegen deutsche Waffenexporte."

(Foto: Imago Stock&People)

Deutsche Waffen für die Kurden im Irak? Der Terror der IS-Miliz brachte einige Linke kurz ins Grübeln über das Partei-Dogma. Warum sich Gysi und Co. so schwer tun, offen über Waffenexporte zu debattieren, was die Grünen den Linken voraus haben und warum so langsam Eile geboten ist.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Ginge es nach Christine Buchholz, die Bundeswehr dürfte nicht mal Verbandsmaterial und medizinisches Gerät in den Nordirak transportieren. Zivile Hilfsorganisationen könnten das viel besser, bemerkte die Bundestagsabgeordnete der Linken nach einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses. Die Caritas zum Beispiel. Nur fehlen der katholischen Organisation in der Regel die nötigen Transall-Transportflugzeuge. Aber mit solchen Kleinigkeiten halten sich manche Linke nicht gerne auf.

Es geht jetzt natürlich um mehr. Es geht um deutsche Waffenlieferungen in ein Krisengebiet. Eines der letzten Tabus der deutschen Außenpolitik könnte diese Woche fallen. Aber manche Realitäten lassen Tabus weich werden und absurd erscheinen. Der Kampf der Kurden im Nord-Irak gegen die hochgerüstete Terror-Bande des "Islamischen Staates" (IS) gehört zu diesen Realitäten. Die sunnitischen IS-Milizen scheinen jeden ermorden zu wollen, der sich nicht ihrem ideologisch verbrämten Islam anschließen will. Jesiden, Kurden, Schiiten, Christen - niemand ist sicher.

Der Terror der IS-Miliz lässt manche Linke zweifeln

Die Flüchtlingsströme schwellen an. Nur in letzter Sekunde konnten vergangene Woche Tausende Jesiden vor dem sicheren Tod gerettet werden. Sie hatten sich auf dem Berg Sindschar vor den IS-Kämpfern in Sicherheit bringen können und kurdische Kämpfer haben ihnen von dort einen Fluchtkorridor freigekämpft.

Angesichts solcher Zustände den Kurden notwendige Waffen zu verweigern, grenzt für viele an unterlassener Hilfeleistung. Selbst in der Linken war kurzzeitig plötzlich so etwas wie Einsicht zu erkennen.

Ulla Jelpke, eine orthodoxe Hardcore-Linke in der Bundestagsfraktion, hat Anfang August dem Deutschlandfunk unter dem Eindruck ihres Besuchs in Nordsyrien ein bewegtes Interview gegeben (hier nachzuhören). Sie schien um Worte zu ringen angesichts des Schreckens, den sie gesehen hatte und von dem ihr berichtet wurde. Plötzlich sprach sie davon, "dass man sich insgesamt überlegen muss, wie eine Strategie gegen diese barbarischen Islamisten gefahren werden kann, und möglicherweise wird man dort auch zu Aktionen greifen müssen, die militärischer Art sind".

Fraktionschef Gregor Gysi hat zwei Tage später nachgezogen. Er sagte der taz: "Eigentlich bin ich strikt gegen deutsche Waffenexporte. Da aber Deutschland ein wichtiges Waffenexportland ist, könnte in diesem Ausnahmefall ein Waffenexport dorthin dann statthaft sein, wenn andere Länder dazu nicht unverzüglich in der Lage sind. Mit Protestbriefen wird man IS nicht stoppen."

Jelpke und Gysi haben damit eines der in Stein gemeißelten Gebote der Linken in Frage gestellt: Das strikte Nein zu jeglicher Art von Waffenexporten. Die Linke hat es im Parteiprogramm festgeschrieben. Ein Rüstungsexportverbot soll sogar im Grundgesetz verankert werden. Viele in der Linken halten dieses Nein für einen Markenkern, ohne den die Partei ihre Existenzberechtigung verliere. Der Umgang mit solchen Themen ist in der Linken längst keine politische Frage mehr. Sondern eine Sache des Glaubens. Die taz attestierte der Linken jüngst die "Logik einer Sekte".

Jelpke und Gysi mussten viel Kritik dafür einstecken. Bis Gysi und Jelpke kleinlaut erklärten, sie seien da irgendwie falsch verstanden worden.

Warum der Druck auf die Linke wächst

Die Parteispitze hat am Tag nach dem taz-Interview ihres Fraktionschefs eine gemeinsame Erklärung der Vorsitzenden und Gysi herausgegeben. In der wird zwar "jeder Akt der Selbstverteidigung gegen den Vormarsch der Terrorbanden" des IS als "legitim" bezeichnet. Von Waffenlieferungen, mit denen dieser legitime Kampf unterstützt werden könnte, aber ist in dem Papier keine Rede mehr.

Statt die Debatte zu öffnen und den Streit zu wagen, sind beide auf die bekannte Parteilinie eingeschwenkt. Dass selbst Gysi nicht standhaft blieb, dürfte manchen Reformer in der Partei enttäuscht haben.

Dennoch wächst der Druck auf die Linke, sich Kompromissen zu öffnen. Das ist nicht nur eine Frage der Glaubwürdigkeit. Wer in Sicherheitsfragen immer nur "Nein" sagt, dem nimmt kaum noch jemand die jeweilige Begründung ab. In der SPD verdrehen manche nur die Augen, wenn sie die Versuche von Linken wie Christine Buchholz oder Jan van Aken erleben, ihr notorisches Nein den jeweiligen Situationen anzupassen.

Im Verteidigungsausschuss soll Buchholz an diesem Montag der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vorgeworfen haben, allein aus Publicity-Gründen heraus Waffenlieferungen ins Auge zu fassen. Von der Leyen kann viel vorgeworfen werden. Aber dass sie sich in Fragen über Leben und Tod nur von ihrer Wirkung auf die Presselage leiten ließe, ist dann doch etwas überdreht.

Ohne Kompromisse bleibt die Linke in der Opposition gefangen

Hinzu kommt die Frage der politischen Perspektive. Will die Linke verhindern, dass Angela Merkel auch nach 2017 noch Kanzlerin ist, muss sie langsam unter Beweis stellen, dass sie auch Regierung kann und will. Sozialdemokraten und Grüne sind offener denn je für ein Linksbündnis.

SPD-Chef Sigmar Gabriel riskiert als Wirtschaftsminister mit seiner äußerst restriktiven Rüstungsexportpolitik gar Streit mit der Union und Teilen des Gewerkschaftslagers. An diesem Dienstag wollten 20 Betriebsräte von deutschen Rüstungsunternehmen Gabriel den Kopf waschen, weil dessen neuer Kurs Arbeitsplätze gefährde. Gabriel ließ sie abblitzen - auch weil er die Chancen auf ein Linksbündnis 2017 nicht schmälern will.

Es gibt ja durchaus Bewegung in der Linken. Oder sagen wir Testballone, die bisher allerdings ein ums andere Mal geplatzt sind. Im Frühjahr etwa ging es um die militärische Absicherung des Abtransportes von Giftgas aus Syrien nach Deutschland auf dem Seeweg. Einige Linke im Bundestag haben dem zugestimmt, viele haben sich enthalten. Die Mehrheit stimmte noch gegen diesen harmlosen Bundeswehreinsatz.

Die Debatte um Waffen für die kämpfenden Kurden war wohl auch so ein Testballon. Zerplatzt an der Nadel des in Thüringen wahlkämpfenden Bodo Ramelow. Der schickt sich gerade an, erster linker Ministerpräsident zu werden und muss schon deshalb Waffenlieferungen in Bausch und Bogen ablehnen.

Will die Linke nicht in der Opposition ergrauen, dann muss sie in der Außen- und Sicherheitspolitik kompromissbereiter werden. Spätestens nach den Landtagswahlen Ende August und im September steht der Beginn einer Häutung an. Die Frage ist, wann der Prozess losgeht und wer ihn startet.

Mögliches Vorbild: Die Grünen

Die Grünen haben diese Häutung bereits 1999 hinter sich gebracht. Erfolgreich. Ihr hart umkämpftes Ja zum Einsatz der Bundeswehr im Kosovo, hat viele aus der Partei getrieben. Auch damals galt es einen Genozid zu beenden, den der Serben an den Kosovo-Albanern. Der Sonderparteitag der Grünen in Bielefeld musste erstmals in der grünen Geschichte von der Polizei geschützt werden.

Der Pazifismus gehörte bis dahin zu den grünen Traditionslinien. Noch im Wahlprogramm 1998 wurden ausschließlich "friedensbewahrende Einsätze". Jetzt aber regierten die Grünen mit. Und stellten fest: "Auf der Basis des Wortlauts unseres Wahlprogramms zu dem Thema konnten wir nicht regieren." So hat es der damalige Bundesgeschäftsführer und spätere Parteichef der Grünen, Reinhard Bütikofer, formuliert.

Der Parteitag stimmte dem bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Kosovo schließlich zu. Viele prominente Grüne verließen ihre Partei. Aber es kamen neue hinzu. Heute, 15 Jahre nach dem Beschluss, stehen die Grünen besser da als je zuvor. Nie hatten die Grünen mehr Mitglieder, nie hatten sie bessere Wahlergebnisse, als in den Jahren danach. Für Linke könnte es sich lohnen, genauer auf die grüne Geschichte zu schauen.

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