Das andere Olympia:Arbeitslager, Anschläge und Zensur

Politische Öffnung? Von wegen! Wer wegen Olympia auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage in China gehofft hatte, wurde bitter enttäuscht.

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Beck; AP

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Eine Siegerehrung der anderen Art: "Das Internationale Olympische Komitee hat Gold in der Disziplin politische Naivität und Opportunismus gewonnen", so die Bilanz, die Volker Beck, menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, zum Ende der Olympischen Sommerspiele in Peking gezogen hat. In vielen Bereichen sei entgegen der Zusagen der Chinesen die Repressionsschraube angezogen worden - vor allem für Dissidenten und die unterdrückten kulturellen Minderheiten der Uiguren und Tibeter. Beck forderte, die Weltgemeinschaft und die Olympische Bewegung müsse nach den olympischen Spielen durch Entsendung von Beobachtern sicherstellen, dass es in den Provinzen Tibet und Xinjiang nicht noch zu einer weiteren Verschärfung der Repression komme.

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Daeubler-Gmelin; dpa

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Auch die Vorsitzende des Bundestags-Menschenrechtsausschusses, Herta Däubler-Gmelin (SPD), hat nach Abschluss der Olympischen Spiele in Peking dazu aufgerufen, das Thema Menschenrechte in China weiter auf der Agenda der Weltöffentlichkeit zu halten. "Wir sollten die Menschenrechte deutlich und unnachgiebig anmahnen, und wir müssen da dran bleiben, auch als Menschenrechtsaktivisten und Politiker", sagte die frühere Bundesjustizministerin der Deutschen Welle am Montag. Die Forderung nach einem freien Tibet...

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David Demes; AP

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...bestimmte die Proteste während der Spiele: Nachdem chinesische Soldaten im vergangenen Frühjahr Unruhen in Tibet blutig niedergeschlagen hatten, versuchten Aktivisten nun vor allem auf die Menschenrechtslage in der Heimat des Dalai Lama aufmerksam zu machen. Auch aus dem Ausland waren viele von ihnen angereist - so wie David Demes. Der 21-jährige Student war von den chinesischen Behörden ausgewiesen worden, nachdem....

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Peking; AFP

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.... er sich am zweiten Tag der Olympischen Spiele mit vier Mitstreitern der Organisation "Free Tibet Campaign" in tibetische Fahnen gehüllt und auf den Platz des Himmlischen Friedens gelegt hatte. Nach einem sechsstündigen Verhör wurde er ausgewiesen.

Kurz vorm Ende der Spiele wurde erneut ein Deutscher wegen Protesten gegen die chinesische Herrschaft in Tibet festgenommen: Der 30-jährige Deutsch-Tibeter Florian Norbu Gyanatshang aus Stuttgart hatte in der Nacht zum Donnerstag zusammen mit zwei weiteren Aktivisten in der Nähe des Nationalstadions eine tibetische Flagge entrollt und mit erhobenen Fäusten ein freies Tibet gefordert.

Ihm war zunächst eine längere Haft angedroht worden, letztlich wurde er jedoch unmittelbar nach dem Ende der Spiele entlassen und nach Deutschland abgeschoben. Der 30-jährige Stuttgarter landete am Montagmorgen auf dem Flughafen Frankfurt. Bei seiner Verhaftung in der Nacht zum Donnerstag sei er fast bis zur Bewusstlosigkeit misshandelt worden, sagte Gyanatshang. In den folgenden Nächten sei er vom Abend bis in den Morgen des folgenden Tages ununterbrochen verhört worden.

Gyanatshang gehört zu einer Gruppe von zehn ausländischen Tibet-Aktivisten, die vorzeitig aus der Haft entlassen und abgeschoben wurden, nachdem die USA die chinesische Regierung scharf kritisiert und die sofortige Freilassung verlangt hatten. Von der Bundesregierung war kein Wort der Kritik an China gekommen.

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Uiguren; Reuters

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Auch die Uiguren, wie hier bei einer Demonstration in Berlin, machten zum Auftakt von Olympia auf ihre Nöte aufmerksam: Die muslimischen Uiguren, die vor allem in der Provinz Xinjiang im Nordwesten der Volksrepublik leben, sind eine von 55 offiziell anerkannten ethnischen Minderheiten.

Nicht nur kulturell, auch materiell sind sie im Vergleich zur Mehrheit der Han-Chinesen deutlich benachteiligt: Der Wirtschaftsaufschwung in der Provinz Xinjiang geht an vielen Uiguren vorbei. Das hat viel Missmut geschürt, den Peking wiederum unterdrückt. Neben den Tibetern gelten die Uiguren als politisch brisanteste Minderheit, weshalb beide Volksgruppen Olympia als Bühne für ihren Protest nutzten.

Nach Angaben von Regimegegnern haben chinesische Sicherheitskräfte in den vergangenen zwei Wochen 500 Uiguren in der Wüstenregion Xinjiang verhaftet. Allein in der Oasenstadt Kashgar an der früheren Seidenstraße hat es laut dem Uigurische Weltkongress 100 Verhaftungen gegeben. Die Organisation appellierte an die internationale Staatengemeinschaft, Einspruch in Peking zu erheben.

Während die Tibeter offen für eine Autonomie einstehen, kam es in der Heimat der Uiguren...

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Kuqa; AP

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...verstärkt zu Angriffen aus dem Hinterhalt. In den vergangenen Wochen sind in der Provinz Xinjiang mehrere Anschläge auf chinesische Polizisten und Soldaten verübt worden, bei denen mehr als 30 Menschen ums Leben kamen. In dem Dorf Kuqa wurden wenige Tage nach der Eröffnung der Spiele die ersten Anschläge verübt - und die Sicherheitsmaßnahmen deutlich verschärft. Das Bild zeigt einen Han-Chinesen, der einen der provisorisch eingerichteten Kontrollpunkte passieren möchte.

Peking macht uigurische Extremisten für die Anschläge verantwortlich. Die Behörden sprechen von Verbindungen der Uiguren zur Terrororganisation al-Qaida im angrenzenden Pakistan und vermuten auch hinter den jüngsten Anschlägen ausländische Helfer. Ob die aktuelle internationale Aufmerksamkeit den aufständischen Uiguren nützt, ist unsicher. Medienberichten zufolge sind die staatlichen Kontrollen in der Provinz Xinjiang zuletzt verstärkt worden.

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Wu, Wang; AP

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Der Grünen-Politiker Volker Beck verwies am Montag auch darauf, dass China vor Olympia 1,5 Millionen Menschen enteignet habe und Menschen, die sich dagegen wehrten, in Umerziehungslager geschickt habe.

Zwei der 1,5 Millionen Menschen, von denen Beck sprach, sind die 79 Jahre alte Wu Dianyuan (in der Bildmitte) und ihre Nachbarin Wang Xiuying, 77 Jahre, hatten ihren Ärger über eine Zwangsräumung zeigen wollen. Sie müssen nun nach einer Entscheidung der chinesischen Behörden ein Jahr in einem Arbeitslager verbringen.

Die Frauen seien vorerst zwar noch nicht in ein Arbeitslager geschickt worden, sie stünden aber unter Beobachtung, sagten Familienangehörige. Die beiden Frauen, die 2001 ohne Entschädigung ihre Häuser in Peking verlassen mussten, hätten fünf Mal eine Demonstrationserlaubnis beantragt, sagte Wus Sohn Li Xuehui am vergangenen Mittwoch. Die Behörden hätten beide daraufhin zehn Stunden lang verhört und zu einem Jahr Umerziehung durch Arbeit verurteilt. Li kündigte an, gerichtlich gegen das Urteil vorzugehen.

Die Menschenrechts-Organisation "Human Rights Watch" bezeichnete die Anordnung zum Arbeitslager als Versuch der Einschüchterung. Das Pekinger Büro für öffentliche Sicherheit erklärte, es habe von den Fällen keine Kenntnis.

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Proteste; AFP

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In einem der für Proteste freigegebenen Parks lieferte sich dieser Junge aus der Shandong Provinz im Norden Chinas ein Katz-und-Maus-Spiel mit Zivilfahndern. Er hattte ein Schild in die Höhe gereckt - und damit, wie er sagte, Parkwächter aufgeschreckt. Die untersagten ihm die Proteste.

"Die Shandong-Regierung hat das Haus meiner Oma illegal verkauft und ihr das Geld weggenommen", stand auf dem Plakat des Jungen.

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Ritan Park; dpa

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Offiziell mussten Proteste bei den chinesischen Behörden beantragt werden: Mehr als 70 solcher Anträge - von etwa 150 Menschen, davon drei aus dem Ausland - sind während der Olympischen Spiele nach offiziellen Angaben bei den staatlichen Stellen eingegangen. Diese sind jedoch alle zurückgezogen, ausgesetzt oder nicht genehmigt worden.

Die chinesischen Behörden hatten drei Gebiete rund um die Wettkampfstätten für Proteste freigegeben. Der Ritan Park (im Bild) war eine dieser Sonderzonen. Die Stille trügt.

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Leung; AFP

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Während der in Hongkong ausgetragenen Reitwettkämpfe skandierte der Oppositionspolitiker Leung Kwok-hung seine Forderungen vor großem Publikum - und wurde binnen weniger Minuten abgeführt.

Leung, genannt "Long Hair", ist ein stadtbekannter Querulant: Nach dem Blutbad auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Juni 1989 schwor er, seine Haare nicht eher abzuschneiden, als die Kommunisten sich für den Militäreinsatz gegen die friedlich demonstrierenden Studenten entschuldigen. Seine Karriere als Dauerdemonstrant ist ebenso lang wie mittlerweile sein Haar: Er verbrannte mehrmals öffentlich chinesische Flaggen und versuchte aus Protest gegen Kürzungen beim sozialen Wohnungsbau in das Haus des zuständigen Ministers einzusteigen.

Leung proftiert davon, dass die Meinungsfreiheit in Hongkong auch weitgehend gewahrt blieb, nachdem die Stadt nach 156 Jahren britischer Kolonialherrschaft 1997 Teil der Volksrepublik wurde. Vor vier Jahren zog Leung als Direktkandidat ins Hongkonger Parlament; seither bringt er regelmäßig Entwürfe für eine Resolution ein, die Chinas Einpartei-Diktatur verurteilt und die Befreiung aller politischen Häftlinge fordert. Doch nicht nur in China,...

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Kathmandu; AP

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...auch im Ausland kam es zu zahlreichen Protesten: Am Tag vor der Eröffnung der Spiele demonstrierten etwa 2000 Exil-Tibeter in Kathmandu, der Hauptstadt Nepals. Ihre Forderung: Religionsfreiheit und eine unabhängige Unterschung des Militäraufmarsches in ihrer Heimat im vergangenen Frühjahr.

Die nepalesische Polizei versuchte, die Demonstranten auseinander zu treiben. Die Tibet-Unruhen einige Monate vor den Olympischen Spielen...

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Neu Delhi; AFP

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...waren auch Gegenstand einer Inszenierung, die Aktivisten im indischen Neu Delhi aufführten - während in Peking mit einer riesigen Licht- und Musikshow die Spiele eröffnet wurden. In Indien leben mehr als 100.000 tibetische Flüchtlinge, darunter auch ihr religiöses Oberhaupt, der Dalai Lama. Über den ganzen Globus...

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Brüssel; AP

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...zogen sich zum Auftakt der 29. Olympischen Sommerspiele, die bereits im Vorfeld für eine der größten Kontroversen in der olympischen Geschichte gesorgt hatten, Protestmärsche: Wie hier in Brüssel zogen auch in Rom, Sofia, Washington, Paris, Stockholm und Ottawa Demonstranten durch die Straßen, um den Respekt der Menschrechte in China einzufordern.

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London; dpa

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In London protestierte dieser Burmese vor der chinesischen Botschaft: Seine Unterhose ziert ein Porträt des Diktators Than Shwe. Als im Mai ein Wirbelsturm über das südostasiatische Land fegte und mehr als 78.000 Todesopfer forderte, Infektionskrankheiten und Hunger grassierten, verweigerte sich Burmas Staatschef Than Shwe einer international organisierten umfassenden Hilfsoperation.

Einzig Katastrophenhelfer aus den befreundeten Nachbarländern, darunter China, wurden ins Land gelassen. Auch deutsche Politiker hegten damals die Hoffnung, die Chinesen könnten das Regime zu einer Öffnung der Grenzen bewegen.

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Peking; AFP

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Beobachter bezweifeln, dass sich mit den Olympischen Spielen in Peking die Menschenrechtslage in China verbessert hat: Vor den Spielen festgenommene Regierungskritiker bleiben verschwunden, Dissidenten verließen aus Angst vor Schikane die Stadt, und wer protestieren wollte, fand sich mitunter stundenlangen Verhören ausgesetzt.

Menschenrechtsexperten sind sich einig: Von einem positiven "olympischen Effekt" für die Behandlung von Andersdenkenden oder Minderheiten in China kann keine Rede sein. Die Menschenrechte als Verlierer der Olympischen Spiele?

Die Bemühungen um eine Verbesserung der Lage in China wurden durch Olympia zurückgeworfen, glaubt Nicholas Bequelin, China-Beauftragter von "Human Rights Watch". Schon in der Phase vor den Spielen habe Peking alles daran gesetzt, Kritiker mundtot zu machen. "Man wollte verhindern, dass diese Stimmen ein Echo in internationalen Medien finden", sagt Bequelin. Auch die ausländischen Journalisten konnten noch längst nicht machen...

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Journalisten in Peking, dpa

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...was sie wollten. Der Club der Auslandskorrespondenten in China (FCCC) berichtet von 30 Fällen, in denen seit Ende Juli Reporter bei ihrer Berichterstattung behindert wurden, 20 weitere Fälle würden noch geprüft.

Zu den Spielen waren rund 25.000 Journalisten nach Peking gereist. Innerhalb eines Monats habe es allein zehn Zwischenfälle gegeben, in denen Journalisten von der Polizei körperlich bedrängt und geschlagen wurden oder Kameras zerstört wurden - mehr als im Gesamtjahr 2007. Zudem konnten Journalisten entgegen der chinesischen Ankündigung vor den Spielen das Internet nicht unzensiert nutzen. Selbst Sportler...

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Spitz; AP

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...haben zum Abschluss der Spiele die Menschenrechtslage in China äußerst kritisch beurteilt - so etwa Sabine Spitz, die auf dem Mountainbike eine goldmedaille für Deutschland holte. "Die Spiele hätten nie an China vergeben werden dürfen. Das Land hat für mich zwei Gesichter. Viele Menschen mussten unter diesen Spielen leiden", sagte sie. Im Vorfeld der Spiele hatte sie sich an einer Kampagne beteiligt, bei der sie sich mit dem Porträt eines chinesischen Dissidenten vor dem Gesicht ablichten ließ. Ein Verzicht auf Olympia kam aber nicht in Frage, wie Spitz betont: "Ich bin hergekommen, weil ich das Rennen gewinnen wollte." Ab heute bereitet sie sich auf Olympia 1012 vor - und auch der Grünen-Politiker Volker Beck schaut in die Zukunft. "Es darf sich nicht wiederholen, dass man in Ländern, die die Menschenrechte systematisch verletzen, ohne verbindliche Vereinbarungen über die menschenrechtlichen Rahmenbedingungen die olympischen Spiele austrägt", sagte Beck mit Blick auf die Winterspiele 2014 in Sotschi in Russland.

Foto: AP Text: sueddeutsche.de/vbe/sma

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