Süddeutsche Zeitung

Daniel Günther im Gespräch:"Wir reden über ein 63-Punkte-Papier, das keiner kennt"

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident verteidigt Parteichefin Merkel. Der CDU-Politiker ist über das Vorgehen der CSU empört: "Es gibt überhaupt keine Notwendigkeit, das jetzt übers Knie zu brechen."

Interview von Peter Burghardt

Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel Günther, 44, meldet sich gerade eifrig zu Wort. Er gehört im Flüchtlingsstreit zu den auffälligsten Verteidigern von Bundeskanzlerin Angela Merkel und zu den schärfsten Kritikern der Pläne von CSU-Innenminister Horst Seehofer. Die SZ sprach zwischen Berliner CDU-Präsidiumssitzung und Ministerpräsidentenkonferenz mit Günther über die doch recht dramatische Krise der Union.

SZ: Wie konnte dieser Streit in der Union dermaßen eskalieren?

Daniel Günther: Ich kann das auch nicht nachvollziehen. Weil es aus meiner Sicht keinen Anlass gab, diese Frage jetzt plötzlich so heiß zu diskutieren. Dass es uns nicht gelingt, Flüchtlinge, die schon einen Status auch in anderen Ländern Europas haben, auch in diese Länder zurückzuführen, das ist ein objektives Problem. Die Frage ist, wie man das Problem in den Griff bekommt, und da gibt es eine klare Vereinbarung: Wir wollen auf europäischer Ebene eine Lösung suchen. Dass die CSU jetzt plötzlich so einseitig mit so einem nationalen Vorschlag aus dem Busch kommt, ist wirklich vollkommen überraschend. Es gibt überhaupt keine Notwendigkeit, das jetzt übers Knie zu brechen.

Es gibt aber nicht nur Streit zwischen CDU und CSU, sondern auch Zoff in der CDU, Ihrer Partei. Wo, außer Ihnen, sind denn dort die Unterstützer der Kanzlerin?

Das Präsidium hat ja gerade einstimmig den Kurs von Angela Merkel unterstützt. Wir haben heute Morgen miteinander gesprochen und klar gesagt, wir stehen zu einer europäischen Lösung. Wir haben sie dabei auch ermutigt, Verträge mit den Hauptländern abzuschließen.

Bei der Fraktionssitzung hatte man eher den Eindruck, als seien die Stimmen gegen die Kanzlerin gerichtet.

Den Eindruck konnte man auch ohne Weiteres gewinnen. Bloß war die Lage bis dahin nicht so genau geklärt. Bis heute liegen vielen die Vorschläge der CSU ja gar nicht vor. Wir reden über ein 63-Punkte-Papier, das keiner kennt. Ich kenn' das ehrlich gesagt auch nicht. Ich weiß nur, dass Angela Merkel 62 Punkte unterstützt und es in einem Punkt Dissens gibt, aber über diesen Punkt hatten wir noch nie geredet. Der lag dann plötzlich in der Fraktionssitzung auf dem Tisch.

Nicht nur in der Bundestagsfraktion, sondern auch in der CDU insgesamt wird es natürlich als Problem empfunden, dass wir beim Thema Rückführung in die Erstländer innerhalb der EU noch keine gute Lösung gefunden haben. Aber ich glaube eben, dass der Vorschlag der CSU nicht zielführend ist, sondern uns wieder in die Zeit von 2015 zurückbringen wird, weil wir dann Flüchtlinge an den Grenzen antreffen, die vorher in keinem anderen Land registriert worden sind.

Was sagen Sie Leuten in der Partei, die in der CDU-Fraktion gegen die Kanzlerin aufgestanden sind?

Ich sage denen das Gleiche wie Ihnen. Ich finde es auch in meinem Bun-desland problematisch, dass wir es größtenteils nicht schaffen, die 2600 Flüchtlinge, die in Dänemark registriert sind, die in sechs Monaten wieder nach Dänemark zurück zu führen. Aber wenn wir das gemeinsame Ziel haben, dann dürfen wir uns nicht über die Art, wie wir da hinkommen, zerstreiten. Deswegen meine herzliche Bitte, dass das jetzt auch von der Bundestagsfraktion mitgetragen wird, was das CDU-Präsidium beschlossen hat.

Kann an diesem Streit die Koalition und sogar die Union zerbrechen?

Wir haben eine schwierige Situation, das kann man auch nach der Fraktionssitzung nicht schönreden. Aber wir haben eine klare Vereinbarung zwischen CDU und CSU. Die CSU will jetzt abweichen und eine nationale Lösung finden - wir sind für eine europäische Lösung. Mein Wunsch ist eine gemeinsame Lösung mit der CSU, aber dafür muss sich die CSU bewegen. Sie ist von den Vereinbarungen abgewichen und nicht die CDU. Wir glauben, dass eine europäische Lösung weitaus erfolgreicher ist, als mit nationalen Maßnahmen Europa kaputtzumachen.

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