Daniel Cohn-Bendit:"Eine klassisch linke Partei sind die Grünen nicht mehr"

Daniel Cohn-Bendit

"Die Grünen gehen nicht mehr absolut ideologisch an die politische Auseinandersetzung heran", sagt Daniel Cohn-Bendit.

(Foto: Vianney Le Caer/Invision/AP)

Der Alt-Achtundsechziger Daniel Cohn-Bendit meint, dass der jetzige Kurs die Grünen-Politiker Annalena Baerbock oder Robert Habeck sogar ins Kanzleramt führen könnte.

Von Philipp Saul und Oliver Das Gupta

Daniel Cohn-Bendit, 73, ist Grünen-Politiker und war in den 1960er Jahren Mitglied der außerparlamentarischen Opposition. Von 1994 bis 2014 saß er abwechselnd für die deutschen und die französischen Grünen im Europäischen Parlament.

SZ: Herr Cohn-Bendit, die Grünen sind zweitstärkste Kraft in Bayern, in Hessen ist ein ähnliches Ergebnis möglich. Sind sie dafür von links in die Mitte gerückt?

Daniel Cohn-Bendit: Die deutschen Grünen haben zwar Momente von '68 integriert, aber sie stehen nicht in einer geradlinigen Nachfolge. Eine klassisch linke Partei sind die Grünen nicht mehr, wie man sie früher definiert hat. Ich würde nicht sagen, dass sie in der Mitte stehen. Es ist richtig, wie sie sich positionieren: Sie sind linksliberal, ökologisch und europäisch. Auf der linken Flanke wollen manche Wähler eine radikalere Opposition. Das sind die Grünen erst mal nicht mehr.

Woran machen Sie das fest?

Ein Beispiel: Die Grünen haben grundsätzlich humanistische Positionen in der Frage der Einwanderung. Sie sagen nicht: Offene Grenzen für alle. Sie sagen aber, das Ganze kann man mehr oder weniger humanitär gestalten, und wir müssen die Kriterien für Asylsuchende modern definieren.

Warum sind die Grünen derzeit in Deutschland so populär?

Diese Entwicklung begann mit dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen. Dort haben sich die Grünen als die Kraft erwiesen, die bereit ist, alle Anstrengungen zu unternehmen, um zu einer neuartigen Regierungsmehrheit zu kommen. Teile der CDU/CSU und die FDP haben das verhindert. Christian Lindner hat sich als völlig politikunfähig erwiesen.

Die Grünen waren froh, nicht als die Schuldigen für das Jamaika-Aus zu gelten.

Vor allem aber wurde vielen klar: Die Grünen sind nicht nur bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie gehen nicht mehr absolut ideologisch an die politische Auseinandersetzung heran. Ein Teil der CDU wäre froh, eine schwarz-grüne Regierung im Bund zu haben. Auch bei der Bayern-Wahl haben die beiden Spitzenkandidaten gezeigt, dass sie bereit sind, konstruktiv Hürden zu überwinden. Das setzte den Positivtrend in Gang. In Hessen kommt dazu, dass die Grünen schon an einer handlungsfähigen Landesregierung beteiligt sind. Mit Schwarz-Grün ist nicht alles perfekt gewesen, und es gibt große Schwierigkeiten, aber die Grünen sind fähig, eine tragfähige Regierung mitzugestalten, auch wenn der Partner erst mal schwierig ist.

Für ein Bündnis aus CDU und Grünen reicht es in Hessen wohl nicht mehr, aber möglicherweise könnte der Grüne Tarek Al-Wazir Ministerpräsident mit einem Dreier-Bündnis werden. Wer ist den Grünen kompatibler: die Linke oder die FDP?

Das müssten die hessischen Grünen entscheiden. Wenn sie vor der SPD liegen sollten, sollte man es auf jeden Fall versuchen. Wissend, dass die FDP einen grünen Ministerpräsidenten für untragbar hält. Die zentrale Auseinandersetzung mit der FDP ist der Klimaschutz. Sie sagt immer, der Klimaschutz dürfe die wirtschaftliche Entwicklung nicht verhindern. Das ist falsch. Der Klimaschutz muss die wirtschaftliche Entwicklung neu strukturieren. Das ist mit der FDP traditionell sehr schwierig.

Wer liegt denn den Grünen bei den landespolitischen Themen näher?

Die Integration von Flüchtlingen und Migranten hat mit der CDU sehr gut geklappt. Ansonsten geht es um die Flughafen-Regulierung, die Schulpolitik und die Inklusionsfrage. Das sind Dinge, die man problemorientiert natürlich auch mit einer grün-rot-roten Regierung schultern kann. Es ist unsere historische Chance, für Deutschland eine Alternative aufzuzeigen.

Die Wahl entscheidet ja womöglich auch darüber, wie es mit der Bundesregierung weitergeht. Haben Angela Merkel und die große Koalition noch eine Zukunft?

Ich bin skeptisch. Bei ihrem Aufstieg war Merkel machtbewusst und bereit, andere beiseitezuschieben. Aber der Fall Maaßen hat gezeigt: Sie hat es nicht mehr im Griff. Und in der großen Koalition werden sich beide Parteien bei schlechten Wahlergebnissen jeweils die Frage stellen: Wie weit wollen wir noch sinken?

Was passiert bei einem Bruch der Koalition? Würden die Grünen doch noch in ein Jamaika-Bündnis gehen?

Eine Jamaika-Koalition aufgrund der Ergebnisse der letzten Bundestagswahl entspricht nicht mehr dem aktuellen Kräfteverhältnis. Deshalb sollte es eine Minderheitsregierung der Union geben und im Sommer Neuwahlen zeitgleich mit der Europawahl. Bis dahin haben alle Parteien Zeit, sich zu überlegen, wie sie sich aufstellen. Danach kann man sehen, was in den Verhandlungen rauskommt.

Ob es dazu kommt, hängt auch davon ab, wie stark die Grünen in Hessen abschneiden. Gefällt Ihnen diese grüne Wirkmächtigkeit?

Mir gefällt der Gedanke, dass die Grünen einen zweiten Ministerpräsidenten stellen könnten. Denn daraus würde ja noch eine Ansage auf Bundesebene resultieren.

Was für eine Ansage?

Robert Habeck könnte eines Tages auch Bundeskanzler werden. Oder Annalena Baerbock Bundeskanzlerin. Wenn die Grünen den Weg der vergangenen Jahre weitergehen, ist die Perspektive auf das Kanzleramt gar nicht mehr absurd.

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