Dalai Lama im Interview:"China mischt sich auch in Deutschlands Angelegenheiten ein"

Seit Jahrzehnten lebt der Dalai Lama im Exil und kämpft für ein autonomes Tibet. Im SZ-Interview spricht er über den schleppenden Fortschritt und den Protest aus Peking an seinem Treffen mit Angela Merkel.

Edeltraud Rattenhuber

Tenzin Gyatso, 72, ist derzeit viel unterwegs. Der Mann, den die Welt als den Dalai Lama kennt, war erst in Spanien und Portugal, dann reiste er nach Österreich und schließlich nach Münster, wo er am Donnerstag an der Westfälischen Wilhelms-Universität die Ehrendoktorwürde verliehen bekam. Zuvor traf er sich mit Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, der den tibetischen Führer und Friedensnobelpreisträger als herausragende Persönlichkeit würdigte. Am Sonntag wird Kanzlerin Angela Merkel als erste deutsche Regierungschefin den Dalai Lama empfangen.

Dalai Lama im Interview: "Es ist die Arroganz der Macht": Der Dalai Lama, geistliches Oberhaupt der Tibeter, im SZ-Interview.

"Es ist die Arroganz der Macht": Der Dalai Lama, geistliches Oberhaupt der Tibeter, im SZ-Interview.

(Foto: Foto: AP)

SZ: China hat bei der Bundesregierung schärfsten Protest dagegen eingelegt, dass Sie bei Kanzlerin Merkel eingeladen sind. Wie fühlen Sie sich dabei?

Dalai Lama: Ich bin glücklich über die Einladung. Wie immer, wenn Politiker mir gegenüber aufrichtige Sympathie und aufrichtige Besorgnis über Tibet zeigen, fühle ich mich sehr ermutigt. Grundsätzlich sind meine Besuche - bis auf jene in Washington - ja unpolitisch. Mein Hauptziel ist die Förderung von menschlichen Werten und religiöser Harmonie. Aber: Dass mich am Donnerstag der österreichische Bundeskanzler empfangen hat und nun auch Frau Merkel mich zu sich einlädt, freut mich doch sehr.

SZ: Sie haben Frau Merkel schon einmal getroffen, als sie noch Oppositionspolitikerin war. Die Bundeskanzlerin gilt als sehr kritisch, was die Menschenrechtslage in China betrifft.

Dalai Lama: Das ist richtig. Als ich sie traf, war ich sehr beeindruckt von ihr. Ihre Vergangenheit als ehemalige Bürgerin eines kommunistischen Staates hat mich ihr gleich viel näher gebracht. Dasselbe Gefühl hatte ich übrigens bei Papst Johannes Paul II. Von unserem ersten Treffen an fühlten wir uns sehr verbunden. Was ich an Frau Merkel schätze, ist ihr standhaftes Eintreten für Menschenrechtsfragen und Religionsfreiheit und ihr Engagement für die Umwelt. Vielleicht will sie mich deshalb sehen - trotz allen Drucks, den Peking macht.

SZ: Sind Sie nicht wütend darüber, dass China sich immer in Ihre Angelegenheiten mischt?

Dalai Lama: Nein. Das hätte auch keinen Sinn. Es ist einfach die chinesische Haltung. Die Arroganz der Macht. Peking mischt sich ja auch in die inneren Angelegenheiten Deutschlands ein und verlangt, dass die deutsche Kanzlerin mich nicht treffen soll. Überall, wo ich auftrete, wird von chinesischer Seite erst einmal protestiert. Die Chinesen testen nur ihre Grenzen aus. Deshalb glaube ich auch nicht, dass mein Besuch bei Frau Merkel die chinesisch-deutschen Beziehungen nachhaltig schädigen wird.

SZ: China befürchtet, dass mit diesem Treffen das Thema Tibet auf die internationale Agenda gesetzt wird. Sehen Sie die Einladung auch als Signal an die EU?

Dalai Lama: Deutschland ist sicherlich ein wichtiges Mitglied der EU. Da kann ich diese Einladung durchaus als Ausdruck der Besorgnis von Seiten der EU sehen, als Zeichen auch ans übrige Ausland. Zwar haben es die früheren Bundeskanzler vermieden, mich zu treffen, nur Bundespräsident Richard von Weizsäcker wollte mich sehen. Aber diese lange Periode ohne direkten Kontakt zur politischen Führung in Deutschland bedeutet ja nicht, dass mich auch die deutsche Öffentlichkeit vergessen hat. Schon seit Jahrzehnten interessieren sich Deutsche für unser Land. Und ich glaube, viele freuen sich darüber, dass mich Frau Merkel treffen will.

SZ: Was aber nützen Termine wie dieser der tibetischen Sache? Ist da nicht auch viel Show dabei?

Dalai Lama: Die tibetische Sache ist eine gerechte Sache, sie wird auf der ganzen Welt unterstützt, und China wird auf der ganzen Welt wegen seiner Unterdrückung Tibets kritisiert. Aber was folgt? Die Chinesen bleiben trotzdem bei ihrer Politik. (lacht) Aber ich bin überzeugt, dass die Meinung der internationalen Öffentlichkeit langfristig einen positiven Einfluss auf Chinas Regierung hat.

SZ: Sind Sie besorgt über Chinas zunehmendes politisches Gewicht oder haben Sie das Gefühl, dass man umso mehr mit Peking reden kann, je ernster die Regierung als internationaler Mitgestalter genommen werden will?

Dalai Lama: Die einzige Chance für uns ist, dass sich in China selbst etwas ändert. Und da hat sich ja bereits viel getan, im Vergleich zu vor 30 Jahren etwa. Und China wird sich weiter verändern. Die chinesische Regierung scheint derzeit, was Tibet betrifft, im Dilemma zu stecken. Einerseits ist den sensibleren unter den politischen Führern klar, dass ihr Bild, das sie nach außen abgeben, sehr stark von ihrer Haltung zu Tibet bestimmt wird.

Auch wissen sie sehr wohl, dass die von ihnen angestrebte Einheit und Stabilität des Landes vom Frieden in Tibet abhängt. Denn wenn es dort nicht gut läuft, kann das Auswirkungen auf Xinjiang und die Innere Mongolei haben. Diese drei autonomen Regionen erstrecken sich immerhin über die Hälfte des chinesischen Territoriums. Bislang geht Peking dennoch den einfachsten Weg, und der bedeutet Unterdrückung.

Seit fast 50 Jahren gibt es die sogenannte Tibet-Frage. Und warum? Militärische Unterdrückung ist eben keine Lösung. Die Hardliner, die immer nur mit der Waffe wedeln, sind kurzsichtig.

"China mischt sich auch in Deutschlands Angelegenheiten ein"

SZ: Jüngst gab es tibetische Proteste in Lithang, in der Provinz Kham, die zwar unblutig endeten, aber zur Folge hatten, dass die komplette tibetische Beamtenschaft durch Chinesen ersetzt wurde. Welche Möglichkeiten des Protests haben Tibeter, die zunehmend frustriert sind - zumal Sie ja in jeder Hinsicht für Gewaltfreiheit eintreten?

Dalai Lama: Wir halten uns strikt an dieses Prinzip. Und dafür sind wir in gewisser Weise bereits zum Modell für die ganze Welt geworden. Wut sollte sich niemals in Gewalt äußern, denn das führt zu immensem Leid. Vielmehr sollte unsere Wut uns noch entschlossener machen, unseren Kampf genau so weiterzuführen wie bisher.

Natürlich gibt es unter den Tibetern und unseren Unterstützern zunehmend Kritik an dieser Gewaltlosigkeit. Weil sie keine konkreten Fortschritte sehen. Glücklicherweise haben die Tibeter in Lithang sich von der chinesischen Armee nicht provozieren lassen.

Das war eine spontane Protestaktion. Ein Tibeter hatte religiöse und politische Freiheiten gefordert, und etwa 5000 Tibeter, darunter viele Nomaden, solidarisierten sich friedlich mit ihm. Doch die Chinesen hörten sich die Beschwerden nicht einmal an. Stattdessen schickten sie 10000 Soldaten.

SZ: Seit 2002 stehen Ihre Gesandten und Vertreter der chinesischen Regierung in Kontakt. Zunächst waren diese Gespräche als Erfolg gefeiert worden, aber langsam macht sich Enttäuschung breit, weil sie nichts gebracht hätten. Sie werden weiter als Spalter der Nation beschimpft. Läge es da nicht nahe, die Gespräche zu beenden?

Dalai Lama: Das wäre die europäische Art, nicht die asiatische. Was verlieren wir, wenn die Gespräche weitergehen? Nichts. Hauptziel der Gespräche ist es, Vertrauen aufzubauen. Und wenigstens sind sich die beiden Seiten nun über ihre Positionen klargeworden, so ist die Gefahr von Missverständnissen ausgeschlossen.

Allerdings besteht in der chinesischen Haltung ein Widerspruch: So erkannten die chinesischen Repräsentanten beim fünften Treffen an, dass ich nicht nach Unabhängigkeit Tibets strebe. Und dennoch gehen die Anschuldigungen, ich sei ein Spalter, von offizieller Seite weiter.

SZ: Gibt es aus Ihrer Sicht irgendeine Chance auf einen Kompromiss?

Dalai Lama: Das wäre mein sogenannter mittlerer Weg. Tibet ist in materieller Hinsicht ein rückständiges Land. Jeder Tibeter wünscht sich Modernisierung. Daher wollen wir keine Unabhängigkeit. Wenn wir in der Volksrepublik bleiben, können wir viel profitieren. Aber wir sollten echte Autonomie bekommen. Statt Chinesen sollten Tibeter bei uns das Sagen haben.

SZ: Aber schon jetzt leben doch in Tibets Städten mehr Chinesen als Tibeter. Was würde eine wirklich autonome tibetische Regierung denn mit diesen Chinesen machen?

Dalai Lama: Autonomie heißt für mich auch, dass die Tibeter in der Mehrheit sein müssen. Das Gegenteil könnten wir nicht akzeptieren. Vor vielen Jahren, bei meinem ersten Besuch in Lettland, sagte mir ein Abgeordneter: Alle Russen, die Lettisch sprechen und die lettische Kultur respektieren, können bleiben - sofern es nicht zu viele sind. Alle anderen sollten Lettland lieber verlassen.

So wäre es auch in Tibet. Alle Chinesen, die Tibetisch sprechen und die tibetische Kultur respektieren, können bleiben, sofern es nicht zu viele sind. All jene Chinesen, die der Meinung sind, dass Tibeter stinken, sollten unser Land lieber verlassen.

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