Spionageskandal:"Mehr als peinlich"

Bundeskanzlerin Angela Merkel im Deutschen Bundestag

Selbst sie geriet ins Visier der amerikanischen Ausspäher, die sich von Dänemarks Geheimdienst helfen ließen: Bundeskanzlerin Angela Merkel.

(Foto: ODD ANDERSEN/AFP)

Der dänische Geheimdienst half den USA, Nachbarn und europäische Verbündete auszuspionieren, auch die Bundeskanzlerin geriet ins Visier. Politiker in Kopenhagen fordern nun eine "Riesenentschuldigung" und Konsequenzen.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Deutschland und Frankreich haben die Beteiligung Dänemarks am Abhören europäischer Spitzenpolitiker durch den US-Geheimdienst NSA kritisiert. "Ich möchte sagen, dass das zwischen Bündnispartnern inakzeptabel ist. Das ist ganz klar", sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Montag nach Beratungen des deutsch-französischen Ministerrats. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, sie könne sich dem "nur anschließen". Merkel sieht jedoch keinen nachhaltigen Schaden in den Beziehungen zu Dänemark und den USA. Sie sei beruhigt über die Reaktion der dänischen Regierung. Insofern sehe sie "eine gute Grundlage" für vertrauensvolle Beziehungen. Zuvor hatte sich die dänische Regierung bereits von dieser Abhörpraxis distanziert.

"Können wir dem dänischen Staat überhaupt vertrauen?" Mit dieser Frage machte die große dänische Zeitung Politiken am Montagmittag ihre Webseite auf. Die Erschütterung war spürbar in Dänemark. Mit Wucht ist am Montag eine seit Sommer 2020 schwelende Debatte über zweifelhafte und möglicherweise rechtswidrige Operationen des dänischen Auslandsgeheimdienstes Forsvarets Efterretningstjeneste (FE) auf die Tagesordnung zurückgekehrt. Und die neuen Enthüllungen jetzt haben ihr eine internationale Komponente gegeben, die laut Politiken "mehr als nur peinlich" ist für den dänischen Staat. Norwegische Parlamentarier sprachen von einem "tiefen Vertrauensbruch" durch den dänischen Nachbarn.

Dänemarks öffentlich-rechtlicher Rundfunk DR hatte zuvor im Verein mit anderen europäischen Medien, darunter SZ, NDR und WDR enthüllt, wie der FE zumindest bis zum Jahr 2014 der amerikanischen NSA offenbar beim Ausspionieren hochrangiger europäischer Politiker half. Zielobjekte waren demnach unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel, der ehemalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der frühere Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Der FE hatte der NSA Zugang verschafft zu Daten aus Unterseekabeln, die vor der dänischen Küste verlaufen. Außerdem sollen auch ranghohe Politiker in Schweden, Norwegen und Frankreich ausspioniert worden sein.

Sowohl Schweden als auch Norwegen forderten nun von Dänemark Aufklärung und mehr Informationen. Die dänische Verteidigungsministerin Trine Bramsen erklärte in einer schriftlichen Stellungnahme an dänische Medien, dass sie Informationen anonymer Quellen nicht diskutieren werde, dass sie aber das systematische Abhören enger Verbündeter für "inakzeptabel" halte.

Ansonsten war von der dänischen Regierung am Montag nicht viel zu hören. Umso kritischer meldeten sich die Unterstützerparteien der sozialdemokratischen Minderheitsregierung zu Wort. Ob die dänischen Geheimdienste "nur mehr der verlängerte Arm der USA" seien, fragte auf Twitter verärgert ein Sprecher der Sozialistischen Volkspartei. Und die Politikerin Eva Flyvholm, Verteidigungs- und Geheimdienstexpertin der rot-grünen Einheitsliste, sprach von "grottenschlechter Nachbarschaft" den Staaten Deutschland, Schweden und Norwegen gegenüber.

Ist der Dienst womöglich längst ein Staat im Staate?

Es sei "ein großes Problem", wenn die "Politiker unserer engsten Nachbarn Dänemark nicht mehr vertrauen können". Die Einheitsliste fordert nun "eine Riesenentschuldigung an die Politiker unserer Nachbarländer." Auch die bürgerliche Opposition befürchtet Auswirkungen: "Natürlich muss man seine Feinde ausspionieren können", sagte Michael Aastrup Jensen von den Liberalen: "Aber das sind unsere Freunde."

Der Geheimdienstexperte Thomas Wegener Friis von der Universität von Süddänemark erklärte der Nachrichtenagentur Ritzau gegenüber die Kooperation von FE mit der NSA als einen Tauschhandel des kleinen Dänemark mit der Geheimdienstsupermacht USA: Die Dänen seien schon immer gut darin gewesen, ihre Weltgegend zu belauschen. Früher habe der FE seine Kapazitäten eben gegen die Sowjetunion oder den Warschauer Pakt eingesetzt, sagte Friis, später dann gegen "Dänemarks engste politische Partner in der EU". Im Gegenzug habe man sich Informationen und technologisches Know-how von den amerikanischen Partnern erhofft.

Einige dänische Kommentatoren stellten die Frage, ob der FE nicht längst zu einem "Staat im Staate" geworden sei - eine Frage, die zuletzt im vergangenen August aufkam: Damals hatten erste Enthüllungen eines Whistleblowers den FE aus seinem Schattendasein gezerrt, es kam heraus, dass der Dienst beim Datensammeln rechtswidrig auch Daten dänischer Bürger gespeichert hatte. Das Tun des FE, sagte nun Pernille Boye Koch vom dänischen Institut für Menschenrechte, sei "erschütternd" und dazu geeignet, die Demokratie "zu untergraben". Erneut wurden Rufe laut, die Geheimdienstaufsicht in Dänemark zu stärken.

Ende letzten Jahres erst hatte die Regierung eine Kommission von drei Richtern eingesetzt, deren Aufgabe es ist, den Skandal von 2020 zu untersuchen. Eva Flyvholm von der Einheitsliste will nun mehrere Fragen beantwortet wissen: Geht die nun öffentlich gewordene Überwachung noch immer weiter? Und werden die neuen Enthüllungen nun Teil der laufenden Untersuchungen? "Was da vor sich geht", sagte die Politikerin der Zeitung Politiken, "ist so bodenlos, dass ich im Moment nicht überzeugt bin, dass es untersucht und gestoppt wird."

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