Süddeutsche Zeitung

Dänemark:Gesetz des "Ghettos"

Die Regierung will die Integration von Migranten vorantreiben, indem sie ihnen Pflichten auferlegt - die allerdings umstritten sind.

Von Anna Reuß

Die dänische Regierung will vom kommenden Jahr an die Integration von Migranten vorantreiben, indem sie ihnen Pflichten auferlegt - die allerdings umstritten sind. Wer sich nicht anpassen will, soll dazu gezwungen werden, so lautet die Auffassung der Regierung. Wer sich weigert, dem drohen Sanktionen. Es dürfe keine Parallelgesellschaften mehr geben, hatte Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen in seiner Neujahrsansprache gesagt. Um das zu erreichen, müsse man dort etwas unternehmen, wo die Probleme am größten seien. Das sind aus seiner Sicht sogenannte Ghettos - meist muslimisch geprägte Migrantenviertel. Sie sollen bis 2030 aus den Städten verschwinden, sagte er.

Ob ein Stadtteil in Dänemark als "Ghetto" bewertet wird, hängt von fünf Kriterien ab, von denen drei zutreffen müssen. Zum Beispiel wird überprüft, ob mindestens die Hälfte der Einwohner Migranten aus nicht-westlichen Staaten sind oder ob die Arbeitslosenquote 40 Prozent oder mehr beträgt. Auf der offiziellen "Ghettoliste" stehen aktuell 22 Stadtteile, zum Beispiel Mjølnerparken in Kopenhagen. Dänemark ist das einzige Land in Europa, das solche Listen führt. Die neuen Regeln werden von 2019 an für etwa 60 000 Menschen gelten, die in den besagten Stadtvierteln leben.

Die Bewohner der Stadtteile fühlen sich zu Unrecht verdächtigt

Vor allem bei Minderjährigen will der Staat die Integration fördern. Eine der umstrittensten neuen Regeln ist die Kita-Pflicht in den "Ghettos": Kinder, die älter als ein Jahr sind, sollen für 25 Stunden in der Woche in Tagesstätten betreut werden, wo ihnen dänische Werte und Sprachkenntnisse vermittelt werden. Kommen die Familien dieser Pflicht nicht nach, kann ihnen die staatliche Zuwendung gekürzt werden. Für den Rest der Dänen gilt diese Pflicht nicht; sie dürfen sich aussuchen, ob ihre Kinder unter sechs Jahren die Vorschule besuchen.

Zudem sollen 24 Schulen, die von mindestens 30 Prozent Kindern aus "Ghettos" besucht werden, vom kommenden Jahr an verpflichtende Sprachtests einführen. Bildungsministerin Merete Riisager sagte der Zeitung Copenhagen Post: "Es gibt Eltern, die aus dem Nahen Osten stammen, und die ein vollkommen anderes Verständnis von Pädagogik, Kindheit und Schule haben als ihre skandinavischen Pendants." Außerdem sollen Eltern mit bis zu vier Jahren Gefängnis bestraft werden können, wenn sie ihre Kinder dazu zwingen, in ihre Herkunftsländer zu reisen.

Die neuen Regelungen sehen außerdem vor, dass Delikte wie Diebstahl und Vandalismus doppelt so hart bestraft werden können, wenn sie innerhalb der Ghettogrenzen begangen werden. Die Polizei soll ebenfalls mehr Präsenz in den Stadtteilen zeigen. Um das Leben in den "Ghettos" unattraktiver für Migranten zu machen, will die Regierung denjenigen weniger staatliche Zuwendung zahlen, die bereits dort leben. Ministerpräsident Løkke Rasmussen warnte davor, dass die "Ghettos" sich ausweiten könnten und mit ihnen Gewalt und Kriminalität.

Die Bewohner der Stadtteile fühlen sich zu Unrecht verdächtigt. Eine Frau aus dem Stadtteil Tingbjerg, das auf der Ghettoliste steht, sagte der New York Times: "Es tut weh, dass sie uns nicht als gleichwertige Menschen ansehen. Wir sind Teil der dänischen Gesellschaft. Das einzige, was wir nicht tun, ist Schweinefleisch essen." Eine andere Frau sagte, ihre Tochter lerne ohnehin schon so viel über Weihnachten im Kindergarten, dass sie zu Hause nach Geschenken vom Weihnachtsmann gebettelt habe. Lieber verliere sie die staatliche Unterstützung, als sich dazu zwingen zu lassen, ihre Tochter in Betreuung zu geben.

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SZ vom 04.07.2018
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