Dänemark:Die Dänen wollen mehr EU

Dänemark: Fünf Parteiführer warben gemeinsam für das Ja: der Liberale Jakob Ellemann-Jensen, Sofie Carsten Nielsen von den Sozialliberalen, der Konservative Søren Pape, Pia Olsen Dyhr von der Sozialistischen Volkspartei und die sozialdemokratische Regierungschefin Mette Frederiksen (v. li.).

Fünf Parteiführer warben gemeinsam für das Ja: der Liberale Jakob Ellemann-Jensen, Sofie Carsten Nielsen von den Sozialliberalen, der Konservative Søren Pape, Pia Olsen Dyhr von der Sozialistischen Volkspartei und die sozialdemokratische Regierungschefin Mette Frederiksen (v. li.).

(Foto: Liselotte Sabroe/AP)

In einem historischen Referendum stimmen die Bürger für die Teilnahme an der EU-Verteidigungspolitik. Eine jahrzehntelange Sonderrolle Kopenhagens endet.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Die Dänen haben sich am Mittwoch in einer Volksabstimmung für eine größere Integration ihres Landes in die Europäische Union ausgesprochen. Ersten Prognosen zufolge stimmte eine überwältigende Mehrheit für die Abschaffung eines mehr als drei Jahrzehnte alten Vorbehaltes, der es Dänemark als einzigem EU-Land bislang nicht erlaubte, an der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU teilzunehmen.

Nach Auszählung fast aller bei einer Volksabstimmung abgegebenen Stimmen lag das Ja-Lager am späten Mittwochabend bei knapp 67 Prozent, die Gegenseite bei rund 33 Prozent. Das Votum der in der Vergangenheit EU-skeptischen Dänen ist die nächste politische Kehrtwende in Europas Norden, die auf Russlands Angriffskrieg in der Ukraine zurückzuführen ist: Im vergangenen Monat schon hatten die bislang bündnisfreien Staaten Schweden und Finnland ihre Mitgliedschaft in der Nato beantragt.

Das Votum erlaubt Dänemark, in Zukunft mit am Tisch zu sitzen, wenn in Brüssel entschieden wird über neue EU-Militärmissionen oder aber die Entwicklung gemeinsamer Waffensysteme und Rüstungsprojekte. Es hat aber auch symbolischen Wert. "Bei diesem Referendum ging es in erster Linie darum, ob Dänemark seine Bande zu Europa bekräftigen und stärken möchte", schrieb die liberale Kopenhagener Zeitung Politiken.

Die Nato genießt hohes Ansehen. Für die EU war die Begeisterung nie ungeteilt

Anders als Schweden oder Finnland war Dänemark nach dem Zweiten Weltkrieg nie neutral: Es ist Gründungsmitglied der Nato. Die Nato genießt traditionell hohes Ansehen im Land, gegenüber der EU hingegen war die Begeisterung nie ungeteilt: An der EU schätzte die Handelsnation Dänemark immer den gemeinsamen Markt, das Volk sperrte sich aber mehrmals gegen größere politische Integration. Die Maastrichter Verträge 1992 fielen in einer Volksabstimmung durch, als Resultat gab die EU Dänemark 1993 die Erlaubnis, sich in vier Vorbehalten aus zentralen EU-Projekten auszuklinken, so zum Beispiel auch aus dem Euro und aus der gemeinsamen Polizei- und Justizkooperation.

Das Abstimmungsergebnis wurde auch als "riesiger Sieg" (so die Zeitung Berlingske) für die sozialdemokratische Premierministerin Mette Frederiksen interpretiert. Frederiksen ist die erste Regierungschefin seit Jahrzehnten, die es geschafft hat, das dänische Volk wieder institutionell ein Stück näher an die EU zu führen. Zweimal schon hatten die Bürger Frederiksens Vorgängern einen Strich durch die Rechnung gemacht als diese ebenfalls versuchten, einen der Vorbehalte per Volksabstimmung abschaffen zu lassen: 2000 sagten die Dänen Nein zum Euro, 2015 zur Justiz- und Polizeizusammenarbeit.

Die Ministerpräsidentin wich gerne mal von der Linie der Union ab

Das ist nicht ohne Ironie. Sie stimme "wirklich mit dem Herzen" für das EU-Projekt der gemeinsamen Sicherheitspolitik, sagte Mette Frederiksen nach ihrer Stimmabgabe. Dabei war Europa bislang nicht als Herzensanliegen der Regierungschefin aufgefallen: Sie hatte im Gegenteil immer wieder mit Alleingängen Schlagzeilen gemacht, welche die EU-Politik konterkarierten. So zum Beispiel als sie während der Corona-Pandemie eine bizarre Impf-Allianz schmiedete ausgerechnet mit Sebastian Kurz und Benjamin Netanjahu, damals noch die Regierungschefs Österreichs und Israels. Staunen erregt in Brüssel auch ihr Plan, Flüchtlingslager für Asylsuchende nach Ruanda auszulagern.

Der linke Politiker und ehemalige Außenminister Holger K. Nielsen - einer der Architekten der Vorbehalte von 1993 - sagte Politiken, es gebe "keinen Zweifel, dass die Dänen in den letzten Jahren EU-freundlicher geworden sind". Die Vorbehalte hätten ihren Teil dazu beigetragen, meinte Nielsen: Sie hätten den Dänen das Gefühl gegeben, die Kontrolle nicht zu verlieren. Der Verteidigungsvorbehalt aber habe seine Dienste nun getan: Nielsen selbst stimmte am Mittwoch ebenfalls für die Abschaffung.

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