Süddeutsche Zeitung

Wahl in Dänemark:Der ganz große sozialdemokratische Spagat

  • Die Sozialdemokratin Frederiksen könnte dänische Regierungschefin werden.
  • Ihre Partei mischt einen Linksruck in der Sozialpolitik mit einem Rechtsschwenk in der Asylpolitik.
  • Bei anderen linken Parteien stößt sie damit auf Kritik.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

"An einem warmen Junitag wurde Dänemark rot angestrichen", schrieb die bürgerliche Zeitung Berlingske am Donnerstag. Das Land bekommt eine neue Regierung, so viel ist klar: Der rote Block, das heißt, die traditionell linken Parteien in Dänemark, kommt nach den Wahlen vom Mittwoch auf 91 der 179 Sitze im Parlament. Und die besten Chancen, neue Regierungschefin zu werden, hat die 41-jährige Mette Frederiksen, die Chefin der Sozialdemokraten. Sie wäre die jüngste Ministerpräsidentin, die Dänemark jemals hatte. Die zweite Frau erst auf dem Posten. Und doch war die Stimmung bei den Sozialdemokraten am Wahlabend nicht überschäumend: Sie wurden zwar mit 25,9 Prozent stärkste Partei, verloren aber gegenüber den letzten Wahlen leicht - und es stehen nun harte Regierungsverhandlungen bevor. Jetzt beginne ein "eiskalter Nervenkrieg zwischen den roten Siegern", schrieb die Zeitung Politiken.

Die möglichen Bündnispartner wollen die Ausländerpolitik der Wahlsiegerin nicht mittragen

Der scheidende Ministerpräsident, Lars Løkke Rasmussen, dessen rechtsbürgerliche Koalition aus dem Amt gewählt wurde, kündigte noch am Wahlabend an, er werde Königin Margrethe vom Rücktritt seiner Regierung informieren. Er sagte in Richtung der siegreichen Rivalin Frederiksen, er werde "bereitstehen", falls die Sozialdemokratin doch an einer großen Koalition interessiert sei - eine Option, die Frederiksen bisher kategorisch ausschließt. Die Wähler hätten schließlich "eine neue Mehrheit und eine neue Richtung" gewählt, sagte sie vor Anhängern. "Von heute an werden wir den Sozialstaat wieder an erste Stelle in Dänemark setzen." Sie versprach eine Politik, die sich um Wohlfahrt, Klima, Bildung und die Kinder kümmern wolle.

Der Wettstreit um die Deutung des Wahlergebnisses hatte da schon begonnen. Frederiksen stellte wie im Wahlkampf das Soziale in den Mittelpunkt - ihre Partei verspricht, Schluss zu machen mit dem Abbau von Sozialleistungen und dem Sparkurs in Schul- und Gesundheitswesen, der viele Dänen zunehmend frustriert. Sie will zudem Rentenreformen der alten Regierung rückgängig machen und für all diese Projekte viel Geld ausgeben, Geld, das sie unter anderem mit der Besteuerung von Konzernen und Wohlhabenden wieder hereinholen möchte.

Andere nannten die Wahl eine "Klimaabstimmung". "Das rote Dänemark hat die grünen Wahlen gewonnen" titelte etwa das linke Blatt Information: Hauptthema sei die Klimakrise gewesen - und das Wahlergebnis mache diese Wahlen "zu einem wundervollen Ereignis". Tatsächlich sind die Parteien des roten Blocks, die die Klimadebatte in den Mittelpunkt gestellt hatten, große Gewinner. Und die beiden Parteien, die laut gegen die "Klimahysterie" stritten, die Liberale Allianz und die Dänische Volkspartei, wurden abgestraft. Die rechtspopulistische Dänische Volkspartei DF erlebte ein regelrechtes Debakel, sie erreichte mit 8,7 Prozent nicht einmal mehr die Hälfte ihres Stimmenanteils bei der letzten Wahl.

Zum Absturz der DF trug allerdings ein anderer Faktor wohl wesentlich mehr bei: Die anderen großen Parteien in Dänemark, quer durch die politischen Lager, haben in den letzten Jahren die Immigrations- und Ausländerpolitik der DF in großen Teilen einfach abgekupfert. "Die anderen haben uns unsere Themen gestohlen", klagte vor der Wahl einer der DF-Sprecher. Er meinte damit ausdrücklich auch die Sozialdemokraten, die unter Parteichefin Frederiksen den großen Spagat ausprobieren: Sie kombinieren einen Linksruck in der Sozialpolitik mit einem historischen Rechtsschwenk in der Asyl- und Ausländerpolitik. Zusammen mit den gesunkenen Zahlen ankommender Asylbewerber hat das dazu geführt, dass den Rechtspopulisten die Immigration als alles beherrschendes mobilisierendes Konfliktthema wegbrach.

Ironischerweise wird die Immigration erst jetzt zu einem entscheidenden Thema werden, nach dem Wahlabend, dann wenn Mette Frederiksen sich mit den anderen Parteien des roten Blocks zusammensetzt, um über eine Unterstützung ihrer Regierung zu verhandeln. Frederiksen besteht bisher darauf, keine Koalitionsregierung aufstellen zu wollen: Ihre Sozialdemokraten sollen allein an die Macht und sich dann als Minderheitenregierung von Fall zu Fall wechselnde Mehrheiten sichern. Das ist in Dänemark nicht unüblich. Ausdrücklich will Frederiksen jedoch dabei auch in Zukunft ihre Ausländerpolitik weiter mit den Rechtspopulisten von der DF und den konservativen Parteien abstimmen. "Die Mehrheit in der Ausländerpolitik muss natürlich respektiert werden", sagte sie am Wahlabend.

Popcorn für das Verhandlungsdrama

Eine solche Politik aber wollen die anderen möglichen Bündnispartner im roten Lager bislang auf keinen Fall mittragen. Parteien wie den Sozialliberalen und der Sozialistischen Volkspartei spielt dabei in die Hände, dass sie zwar die kleineren Akteure sind - anders als die Sozialdemokraten aber teils massiv dazugewannen: Sie fühlen sich gerade als die eigentlichen Garanten des Wahlerfolgs des roten Blocks. Härtester Sparringspartner Frederiksens wird dabei wohl Morten Østergaard sein, Parteichef der Sozialliberalen, die ihren Stimmenanteil fast verdoppeln konnten auf fast neun Prozent. Er hat einen Großteil seines Wahlkampfs bestritten mit Attacken auf den "eisernen Griff" der rechtspopulistischen DF hinsichtlich der Ausländerpolitik in allen Lagern.

Jedes Mal, wenn die Sozialdemokraten Initiativen der Regierung und der DF wie etwa das Burkaverbot unterstützten, traten Morten Østergaard und seine Sozialliberalen als die schärfsten Kritiker der Sozialdemokratie auf. Nun verlangen sie von Frederiksen eine Lockerung der Ausländergesetze, welche die scheidende Regierung mehr als 100 Mal verschärft hatte. "Mette Frederiksen bekommt ihre Chance", sagte Østergaard nach der Wahl. "Und wenn sie sich meiner Richtung anschließt, dann darf sie Ministerpräsidentin werden." Der Chef der soeben aus der Regierung geflogenen Konservativen Volkspartei, Søren Pape Poulsen, erklärte, er hole sich für das zu erwartende "Drama" der Verhandlungen schon mal Popcorn.

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Quelle:
SZ vom 07.06.2019
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