Cybermobbing:Wenn das Internet zur Qual wird

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Justizminister Marco Buschmann will stärker gegen digitale Gewalt vorgehen. (Foto: Alessandra Schellnegger; Illustration: SZ/Alessandra Schellnegger)

Eltern, Schulen und die Gesellschaft wissen oft nicht, wie sie auf Cybermobbing reagieren sollen. Doch es gibt Hilfsangebote, die präventiv wirken und Langzeitfolgen verhindern.

Von Matthias Kreienbrink

Es kann auf dem Weg von der Schule nach Hause sein. Ein heimliches Foto, schnell gemacht beim Vorbeigehen. Danach landet es in den sozialen Medien, wird in Whatsapp-Gruppen verteilt. "Schaut mal, wie hässlich." Und weiter geht die Angst eines jungen Menschen, lebt das Mobbing, das er schon in der Schule erfährt, im Internet fort.

Cybermobbing bestimmt das Leben vieler Kinder und Jugendlicher. Missbräuchliche Verbreitung von Bildern, Hassnachrichten, Stalking - das sind keine Lappalien, sondern massive Einschränkungen und Verletzungen, die lange prägen können. An Schulen findet dieses Thema noch selten statt - nur wenige Lehrkräfte wissen, wie sie damit umgehen können. Doch es gibt Menschen, die das ändern wollen.

Oft handeln Schulen erst, wenn schon etwas vorgefallen ist. Dann ist es oft zu spät

Levi Hackbarth ist 20 Jahre alt, Ergotherapeut und hat Cybermobbing selbst kaum erlebt. Ein Freund von ihm aber war Opfer. Mit ihm hatte er 2015 über das Thema gesprochen und entschieden, dass man etwas tun müsse. "Es fing an mit einer Website, auf der wir informierten. Darauf gab es ein Beratungsforum, wo sich Betroffene austauschen konnten", sagt er. Be-Social heißt das Projekt heute, seit September 2019 ist es ein eingetragener Verein. 14 Menschen engagieren sich ehrenamtlich, bieten Unterstützung über Livechats an. Ebenso stehen sie Schulen zur Seite. "Es kommt öfter vor, dass sich Schulen an uns wenden. Oft aber erst, wenn schon etwas passiert ist", sagt Hackbarth. Denn in der Prävention sei Cybermobbing für viele ein fremdes, ein zu abstraktes Thema.

"Aktuell haben wir den Fall einer jungen Person, die auf Facebook gemobbt wird, indem Seiten in ihrem Namen erstellt werden, wo dann absoluter Blödsinn geschrieben wird." Das sei für die betroffene Person nicht nur eine psychische Belastung, sondern könne perspektivisch berufliche Konsequenzen haben: "Wenn ein Arbeitgeber solche Seiten sieht, kann das problematisch werden", erklärt Levi Hackbarth. Die meisten Ehrenamtlichen, die sich für Be-Social einsetzen, haben selbst Cybermobbing erlebt, machen aus dieser prägenden Erfahrung etwas Produktives, helfen anderen. Neben diffamierenden Profilen ist das Spektrum der Erfahrungen breit: Whatsapp-Gruppen, die gebildet werden, um eine Person darin fertigzumachen. Fotos, die heimlich gemacht und verbreitet werden. Beleidigende Kommentare unter Postings. "Gerade hören wir vermehrt, dass Menschen gezielt in Whatsapp-Lerngruppen ignoriert oder stummgestellt werden", sagt Hackbarth. Durch Corona seien diese Gruppen aber besonders wichtig. "Welche Hausaufgaben haben wir aufbekommen?" Als Antwort Stille - und die Gewissheit, dass das Mobbing in der Schule nun auch seinen Weg ins Internet gefunden hat.

Wer als junger Mensch im Netz gemobbt wird, leidet später öfter an Depressionen

Eine Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest aus dem Jahr 2019 zeigt, dass jeder fünfte Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 19 angibt, dass schon falsche oder beleidigende Inhalte über die eigene Person im Internet verbreitet wurden. Zwei Drittel gaben an, im Internet mit Hassnachrichten konfrontiert worden zu sein. Cybermobbing kann Langzeitfolgen haben. Verschiedene Studien aus den vergangenen Jahren zeigen, dass Menschen, die in Kindheit und Jugend diese Erfahrungen gemacht haben, stärker von Depressionen oder Angstzuständen betroffen sind. Ebenso können reduzierte Sozialkontakte oder ein unstetes Berufsleben mit den Mobbing-Erlebnissen in Verbindung stehen.

"Mir ist etwas in ,Fortnite' passiert, mich hat ein Mann angeschrieben, der sehr intim wurde." Dieses Problem einer jungen Schülerin hat Esther L. an ihrer Schule mitbekommen. Die 30 Jahre alte Lehrerin will anonym bleiben, da sie nicht möchte, dass die Schülerin erneut Nachrichten bekommt. Das Mädchen wurde von einem älteren Mann in dem Online-Game angeschrieben und recht schnell bedrängt. "Die Schülerin hat zuerst eine Kollegin von mir angesprochen, die dann mich eingeschaltet hat", sagt L. Die Lehrerinnen kontaktierten die Eltern, es kam zu einer Anzeige. "Dann wurde es sehr unangenehm für das Mädchen." Aus der vermeintlichen Zuneigung wurde Hass. "Er hat ihr weiterhin geschrieben, sie beleidigt, ihr gedroht, dass er ihrer Familie etwas antun werde", sagt die Lehrerin. Auch das ist eine häufige Art des Cybermobbings: Es fängt mit Avancen an, die nicht erwidert werden. Und das führt dann zu Anfeindungen. In dem Fall an einer Schule in Thüringen, an der L. arbeitet, kommt erschwerend hinzu, dass es sich um eine Minderjährige handelt. Cybergrooming nennt es sich, wenn ältere Täter versuchen, das Vertrauen von Minderjährigen zu gewinnen, um sie dazu zu bringen, Persönliches preiszugeben.

Wie können Lehrer und Lehrerinnen damit umgehen? "Das steht und fällt mit den persönlichen Beziehungen, die man zu den Schülern hat", sagt Esther L. Fühlen die sich gesehen und verstanden? Nicht noch zusätzlich unter Druck gesetzt? "Es ist wichtig, dass es Schulsozialarbeiter gibt, bei denen kein Abhängigkeitsverhältnis besteht, wie bei einer Klassenlehrerin." Esther L. sagt, sie habe oft erlebt, dass Cybermobbing höchstens punktuell an Schulen behandelt würde. Da gebe es zum Beispiel eine Themenwoche, und damit sei das Thema abgehakt. "Es wäre wichtig, das in unterschiedliche Fächer einzubeziehen. In der Medienkunde sowieso, aber zum Beispiel auch im Ethikunterricht: Was macht diese Demütigung mit Menschen?"

Sie habe zudem gute Erfahrungen an ihrer Schule damit gemacht, dass dort Smartphones nicht zugelassen sind, sagt Esther L. "Ich habe das zuerst kritisch gesehen, aber dann gemerkt, dass die Schule so zu einem sichereren Ort für Opfer von Cybermobbing werden kann." So könnten etwa keine Fotos auf dem Pausenhof oder in Toiletten gemacht werden.

Das Internet ist für viele junge Menschen ein Zufluchtsort. Für diejenigen, die in ihrer Umgebung keine Freunde haben, die in der Schule ausgegrenzt werden, kann das Netz eine Möglichkeit sein, Communitys zu finden. Räume, in denen sie akzeptiert werden. Hält aber der Hass dort Einzug, verlieren die Betroffenen ihre Rückzugsorte.

"Selbst in den Ferien konnte ich nur mit Magenschmerzen an die Schule denken", erzählt ein Opfer

Für Hannes Dezulian hat das Mobbing in der fünften Klasse der Realschule begonnen. "Damals gab es soziale Medien noch nicht so ausgeprägt", sagt der heute 25 Jahre alte Filmemacher. Über Jahre zogen sich die Demütigungen: Beleidigungen, Drohungen. "Selbst in den Ferien konnte ich nur mit Magenschmerzen an die Schule denken." Bald habe er bemerkt, dass auch im Internet Hass über ihn verbreitet wurde. Dann, bei einem Spaziergang am See, "hat mich eine fremde Gruppe Jugendlicher angepöbelt. Woher sollen die mich erkannt haben, wenn nicht über Bilder, die im Internet geteilt wurden?", fragt er sich heute. Vor gut fünf Jahren begann das Cybermobbing dann richtig. Über Snapchat und das anonyme Chatprogramm Tellonym wurden ihm immer wieder Hassnachrichten geschickt. Wieso da? "In den Programmen verschwinden Nachrichten nach einer gewissen Zeit. So kann man Beweise vernichten", sagt Dezulian.

Seit Jahren leidet er schon an Panikattacken, reagiert sehr empfindlich auf vermutete Aggressionen. Anfang 2019 lud er auf Youtube ein Video hoch. Darin sprechen mehrere Youtuber von ihren Mobbing-Erfahrungen - auch er selbst. "Mein Name ist Hannes, und ich war über sieben Jahre ein Mobbingopfer", steht unter dem Video. Die Resonanz sei groß gewesen. "Viele haben mir daraufhin geschrieben und mir gesagt, dass sie nicht wussten, wie sehr ich gelitten habe", sagt er. Denn er habe das alles für sich behalten, damals. Er ahnt, wer ihn damals im Internet beleidigt hat, aber es gibt niemanden, der es zugegeben oder der sich entschuldigt hat.

Für Hannes Dezulian ist das Internet heute ein Ort, an dem er sich zeigen kann, wie er ist. Die Demütigungen sitzen noch tief. Aber jetzt will er anderen helfen. Sichtbar sein und zeigen: Es gibt ein Danach.

© SZ vom 27.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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