Süddeutsche Zeitung

Cyberkriminalität:Auf Verbrecherjagd im Darknet

Anonym, schnell, weltweit vernetzt - jahrelang haben sich Verbrecher im Internet sicher gefühlt. Doch die Ermittler stoßen mittlerweile auch in die dunkelsten Ecke des Netzes vor.

Von Klaus Ott

Der Name liest sich etwas sperrig, aber die Erfolgsquote kann sich sehen lassen. "Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität" (ZIT) lautet der Titel jener Spezialeinheit, die dem mutmaßlichen Waffenlieferanten des Münchner Amokläufers David S. auf die Spur gekommen ist.

Vier Staatsanwälte gehen vom hessischen Gießen aus im weltweiten Datennetz auf Verbrecherjagd. Sie gehen gemeinsam mit Bundeskriminalamt, Landeskriminalämtern und Zollfahndung gegen Kinderpornographie vor; versuchen Drogen- und Waffenhändlern das Handwerk zu legen, Falschgeld sicherzustellen und andere Delikte aufzuklären.

"Das Internet ist die perfekte Plattform zur Begehung von Straftaten: anonym, schnell, weltweit vernetzt", lautet die Analyse der vierköpfigen ZIT, die der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt zugeordnet ist. Das ist ebenfalls eine Spezialtruppe, die sich um organisierte Verbrechen aller Art kümmert. Bis hin zum Betrug am Staat per Steuer-Diebstahl, begangen von Bankern und anderen Weiße-Kragen-Tätern.

Die Verbrecher hatten sich sicher geglaubt im Internet

Die Anfang des Jahrzehnts geschaffene ZIT hat bereits kurz nach ihrer Gründung einen Kinderporno-Ring aufgedeckt und in Darmstadt vor Gericht gebracht. "Härtestes und widerlichstes Material" sei via Internet verbreitet worden, wie das Landgericht Darmstadt in einem Mammutprozess befand. Neun Angeklagte wurden die Gefängnis zwischen zwei und achteinhalb Jahren verurteilt. Geisterwald und Sonneninsel, so heißen die Seiten im Netz, auf denen die Täter einschlägige Bilder ausgetauscht und miteinander gechattet hatten.

Die Verbrecher hatten sich sicher geglaubt im Internet. Genauso wie jene mutmaßlichen Waffendealer, hinter denen die ZIT bereits seit rund zwei Jahren her ist. Und über die jetzt der offenkundige Lieferant des Münchner Amokläufers aufflog. Solche Ermittlungserfolge seien kein Zufall, sagt Oberstaatsanwalt Alexander Badle von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt. Sondern das Ergebnis systematischer, langwieriger und komplizierter Untersuchungen.

Beim Handel mit Pistolen, Patronen und Schwarzpulver war der ZIT nach Angaben von Badle ein inzwischen verurteilter Waffenhändler ins Netz gegangen. Über diesen Täter stießen die Fahnder auf einen 62-jährigen Buchhalter aus Nordrhein-Westfalen und einen 17-jährigen Schüler aus Hessen, die sich über das sogenannte Darknet, den dunklen Teil des Internets, Waffen besorgten.

Bei einer Durchsuchung am 27. Juli, also nach dem Münchner Amoklauf, wurden bei dem Buchhalter eine Pistole und 100 Schuss Munition gefunden. Eine Woche später, am 3. August, war der Schüler dran. Bei ihm stellten die Ermittler ein ganzes Waffenarsenal sicher: vier Gewehre, eine Pistole, vier Revolver, 332 Patronen und fünf Kilo Schwarzpulver.

Die Kriminaler fanden schnell heraus, woher offenbar ein Teil des Arsenals stammte. Von einem 31-Jährigen aus dem hessischen Marburg. Zu ihm nahm ein Beamter via Darknet unter Nutzung einer Verschlüsselungstechnik anonym Kontakt auf, gab sich als Waffenkäufer aus und bestellte laut Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt: eine Maschinenpistole nebst vier Magazinen mit insgesamt 700 Patronen sowie eine Pistole Glock 17 nebst zwei Magazinen mit 100 Schuss Munition. Gesamtpreis: 8000 Euro.

Das Ende der "lückenlosen Anonymität" im Netz

Dieser Deal war für den Mann aus Marburg offenbar so verführerisch, dass er nach Angaben der Ermittler anfing, über sonstige Kunden zu plaudern und damit geprahlt habe, dem Münchner Amokläufer die bei dessen Tat verwendete Glock 17 geliefert zu haben, inklusive Munition.

Bei einem zum Schein vereinbarten Kauftermin am diesem Dienstag nahm eine Spezialeinheit des Zolls den 31-Jährigen fest. Er hatte die angebotene Ware bei sich. In einem Schulterholster steckte zudem eine durchgeladene Pistole. Diese sei "zur Eigensicherung" gedacht gewesen, so die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt.

Es gebe keine "lückenlose Anonymität" im Internet, sagt Oberstaatsanwalt Badle. Und somit auch keinen "vollständigen Schutz vor Strafverfolgung". Mutmaßliche Täter zu stellen, kostet allerdings viel Personal, viel Zeit und einiges an Geld. Um Cybersicherheit zu schaffen, brauche man "hochspezialisierte Teams", so die ZIT. Der virtuelle Streifengang geht weiter.

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