Cum-Ex-Skandal:Union zweifelt an den Erinnerungslücken des Kanzlers

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Im August befragte bereits der Parlamentarische Untersuchungsausschuss in Hamburg Bundeskanzler Olaf Scholz zur Cum-Ex-Affäre. (Foto: Markus Scholz/dpa)

Welche Rolle spielte Scholz im Cum-Ex-Skandal um die Hamburger Warburg-Bank? Die CDU/CSU-Fraktion will ihn erneut vor den Finanzausschuss zitieren.

Von Nicolas Richter und Henrike Roßbach, Berlin

Es ist ein Schreiben, das im Kanzleramt auf wenig Begeisterung stoßen dürfte: Die Unionsfraktion im Bundestag hat den Finanzausschuss gebeten, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein weiteres Mal zu seiner Rolle im Cum-Ex-Skandal um die Hamburger Warburg-Bank zu befragen. Scholz war zu jener Zeit Erster Bürgermeister in Hamburg; es geht unter anderem um die Frage, warum die Finanzverwaltung der Hansestadt damals zunächst auf eine Steuerrückforderung für zwielichtige Aktiengeschäfte der Warburg-Bank verzichten wollte.

In einer sogenannten Aufsetzungsbitte hat Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) den Ausschussvorsitzenden Alois Rainer (CSU) nun aufgefordert, die abermalige Befragung von Scholz auf die Tagesordnung der nächsten Ausschusssitzung zu setzen. Konkret verlangt Middelberg eine Befragung zu den "Widersprüchen, die sich aus seinen Aussagen im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages am 1. Juli 2020" und späteren Aussagen im Finanzausschuss sowie im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft ergeben hätten. "Um Anwesenheit des Bundeskanzlers wird gebeten", heißt es in dem Schreiben.

Für ein Protokoll aus dem Jahr 2020 gilt keine Geheimhaltung mehr

Hintergrund ist, dass der Finanzausschuss des Bundestags kurz vor Weihnachten beschloss, das Protokoll jener Juli-Sitzung des Jahres 2020 nicht länger mit der Geheimhaltungsstufe "VS-Vertraulich" einzustufen. VS bedeutet "Verschlusssache"; eine Akte mit der Einstufung "VS-Vertraulich" berührt laut der Geheimschutzordnung des Bundestags alle Angelegenheiten, deren "Kenntnis durch Unbefugte den Interessen oder dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder abträglich oder für einen fremden Staat von Vorteil sein könnte".

Durch die Aufhebung dieses Geheimhaltungsgrades ist es jetzt möglich, Scholz' Aussagen in der damaligen Sitzung mit späteren Aussagen von ihm zu vergleichen. Für die Unionsfraktion ergibt sich daraus eine "sehr konkrete Veranlassung" für eine weitere Befragung. Bislang seien im relevanten Zeitraum "drei Treffen und ein Telefonat" zwischen Scholz und Warburg-Mitinhaber Christian Olearius bekannt geworden. Zur Sitzung des Finanzausschusses am 1. Juli 2020 dagegen habe die Öffentlichkeit nur von einem Treffen am 10. November 2017 gewusst.

"Hierzu konnte sich der damalige Bürgermeister durchaus an Gesprächsinhalte erinnern", heißt es in der Aufsetzungsbitte Middelbergs an den Ausschussvorsitzenden Rainer. Nachdem die weiteren Treffen und das Telefonat bekannt geworden seien, habe Scholz sich dagegen an nichts mehr erinnern wollen. Wörtlich heißt es in dem Brief: "Der rasante Gedächtnisverlust des heutigen Bundeskanzlers zwischen Juli 2020 und September 2020 bzw. April 2021 wirft erhebliche Fragen auf." Zitiert wird zudem die heutige Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), die im September 2020 - damals noch als Finanzpolitikerin der Opposition - twitterte: "Scholz hat den Bundestag belogen - über seine Treffen mit der #Warburg-Bank im #CumEx-Betrug."

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Der Vergleich von Scholz' Aussagen dokumentiere einen "nicht mehr glaubhaften Erinnerungsverfall", sagte Middelberg der SZ. Im Sommer 2020 habe Scholz sich an einen Gesprächstermin mit Olearius durchaus erinnern können. "Er bestätigte auch ausdrücklich, dass die Tagebuchaufzeichnungen von Herrn Olearius die angesprochenen Inhalte wiedergäben." Später dagegen, "als ihm dann schon drei Treffen und ein sogar von ihm initiiertes Telefonat mit Herrn Olearius nachgewiesen waren", habe Scholz sich plötzlich an gar nichts mehr erinnern wollen. "Nicht an die konkreten Gespräche und an keinerlei Inhalt dieser vier zum Teil stundenlangen und für beide Seiten sehr bedeutsamen Unterredungen." Dazu erwarteten sie Aufklärung.

Für die SPD baut die Union "weiter einen Popanz auf"

Ob das Ansinnen der Unionsfraktion Erfolg haben wird, ist allerdings offen. Die Ampelfraktionen haben die Mehrheit im Finanzausschuss und können die Befragung des Kanzlers somit von der Tagesordnung nehmen. Aus der SPD kommt bereits Widerspruch. "Während der Bundeskanzler und die Ampelregierung erfolgreich Krisenbekämpfung betreiben, baut die Union weiter einen Popanz auf", sagte der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Schrodi, der SZ.

Das fragliche Protokoll sei auf Druck der Ampelkoalition freigegeben worden. Letzten "Mythen über vermeintliche Absprachen und Widersprüche" seien nun alle Grundlagen entzogen. "Denn mit dem Protokoll wird klar: Olaf Scholz gibt wieder, was er in der Presse über die Treffen gelesen hat, und erklärt, dass die Treffen genauso beschrieben werden, wie er bei Treffen immer agiert: zuhören, nachfragen, ohne große Gestik und Mimik. Aber nicht, dass er Treffen oder Inhalt erinnert." Der Widerspruch sei keiner. Laut Schrodi gibt es deshalb "keinen Anlass, den Bundeskanzler in den Finanzausschuss einzuladen".

Die Bundesregierung wollte zu dem Vorgang nicht Stellung nehmen, da der Kanzler vom Finanzausschuss noch gar nicht vorgeladen worden ist.

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