Süddeutsche Zeitung

Krach in der Union:Seehofer macht Politik am Abgrund

  • Horst Seehofer macht im Unionsstreit um die Flüchtlingspolitik widersprüchliche Aussagen. Dahinter dürfte ein Kalkül stecken.
  • Der CSU-Chef, der sich am Montag Rückendeckung seiner Partei holen will, möchte Härte zeigen und dennoch Kompromissbereitschaft signalisieren.
  • Ein Sturz Merkels wäre für die CSU vor der Landtagswahl in Bayern ein unkalkulierbares Risiko.

Von Wolfgang Wittl

Nichts geschieht zufällig in diesen Tagen, in denen so viel auf dem Spiel steht wie jetzt. In denen es um nicht weniger geht als den Fortbestand der Bundesregierung, um die Kanzlerschaft Angela Merkels, um deutsche Verlässlichkeit in Europa und - für die CSU vermutlich am wichtigsten - ihre Erfolgsaussichten bei der Landtagswahl im Oktober. So darf man davon ausgehen, dass es auch kein Zufall war, dass CSU-Chef Horst Seehofer in zwei Sonntagszeitungen völlig widersprüchlich zitiert wurde: einmal freundlich beschwichtigend, einmal demonstrativ herausfordernd.

"Niemand in der CSU hat Interesse, die Kanzlerin zu stürzen, die CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft aufzulösen oder die Koalition zu sprengen", sagte Seehofer der Bild am Sonntag. In der Welt am Sonntag war zu lesen: "Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten" - gemeint war Angela Merkel. Seehofer soll den Satz gleich zweimal in interner Runde gesagt haben, dementiert wurde er nicht. Nun gehört das Instrument der Unberechenbarkeit seit jeher zum festen Repertoire des CSU-Chefs, hier aber dürfte ein weiteres Motiv für die beiden völlig unterschiedlichen Zitate hinzukommen. Seehofer hat zwei Zielgruppen, die er in dieser hochsensiblen Phase erreichen muss. Mit keiner darf er es sich verderben.

An diesem Montag will sich Seehofer im CSU-Vorstand Rückendeckung für sein weiteres Vorgehen im Streit mit Merkel holen. Der Bundesinnenminister will künftig Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen, die bereits in einem anderen EU-Staat registriert worden sind - am liebsten sofort. Merkel lehnt das ab, sie setzt auf eine europäische Lösung. Dafür hat sich die CDU-Chefin von ihrer Partei Zeit bis zum nächsten EU-Gipfel Ende Juni erbeten. Viele CDU-Abgeordnete stehen zwar inhaltlich auf Seehofers Seite, wollen Merkel diese Frist aber noch gewähren.

Das also ist Seehofers Denksportaufgabe: Wie kann er einerseits jene Härte zeigen, die man in seiner Partei von ihm erwartet? Bei der Bundestagswahl stürzte die CSU laut internen Analysen ja deshalb ab, weil sie sich aus Sicht enttäuschter Wähler nicht gegen Merkels Flüchtlingspolitik durchgesetzt habe. Das dürfe sich bei der Landtagswahl keinesfalls wiederholen. Aber wie gelingt es andererseits, die CSU-Sympathisanten in der CDU nicht zu vergraulen, nur weil man Merkel nicht ein paar Tage Zeit zum Verhandeln gewähren will? Diesen schmalen Grat muss Seehofer in den kommenden Tagen beschreiten, ohne dabei abzustürzen.

Die mächtigen CSU-Bezirke haben sich am Wochenende hinter ihrem Chef versammelt. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer sagte im niederbayerischen Vorstand, man stehe zu hundert Prozent hinter Seehofer, sei aber auch für das Fortbestehen der Fraktionsgemeinschaft und der großen Koalition. Auch wenn es zuletzt anders aussah: Merkels Sturz will kaum einer in der CSU-Führungsetage, nicht einmal ihre größten Widersacher. Allerdings nicht aus politischer Überzeugung, sondern aus kühler Berechnung. Eine von der CSU vertriebene Kanzlerin wird als unkalkulierbares Risiko für die Landtagswahl betrachtet. Lassen sich damit rechts mehr Stimmen holen, als in der Mitte verloren gehen? Die CSU will nicht Merkel persönlich loswerden, sondern den Ballast ihrer Flüchtlingspolitik. Aber lässt sich das eine vom anderen trennen? "Es ist ein Ritt auf der Rasierklinge", sagt ein Christsozialer.

Er ordnet die Zurückweisungen schnell an, doch die Umsetzung beginnt erst nach dem EU-Gipfel

Es wurde viel telefoniert am Sonntag, auch Seehofer und Merkel wollten miteinander sprechen. "Wir wollen eine gemeinsame Lösung mit der CDU", sagte der bayerische Finanz- und Heimatminister Albert Füracker der SZ. "Allerdings muss die CDU-Spitze endlich wahrnehmen, dass es in ihrer Partei viele Unterstützer für den Masterplan von Horst Seehofer gibt und eine Mehrheit der Bevölkerung den CSU-Kurs in der Asylpolitik befürwortet." Am Mittwoch tagen das bayerische und österreichische Kabinett gemeinsam in Linz, Ministerpräsident Markus Söder und Kanzler Sebastian Kurz sind zwei Gleichgesinnte in der Zuwanderungspolitik. Dank Österreichs EU-Präsidentschaft werde das Thema "weiter Schwung kriegen", sagte Söder. An diesem Montagnachmittag wird in München die CSU-Landesgruppe zusammenkommen - auch das ein symbolischer Akt in diesen aufgeladenen Zeiten.

Zuvor wird der CSU-Vorstand Seehofer mit allen Freiheiten im Asylstreit ausstatten. Und dann? Wird Seehofer sofort Zurückweisungen an der Grenze anordnen? Es gebe für ihn in dieser Frage zwei Seiten, sagte Seehofer der Süddeutschen Zeitung. Zum einen die politische Rückendeckung seiner Partei, zum anderen die organisatorische und juristische Umsetzung seines Hauses. Vom Zeitpunkt von Seehofers Anweisung an die Bundespolizei bis zum tatsächlichen Vollzug an der Grenze sind etwa zehn Tage Vorbereitung nötig.

So könnte die Marschroute also aussehen: Seehofer ordnet die Zurückweisungen in ein paar Tagen an, die Umsetzung an der Grenze begänne dann aber erst nach dem EU-Gipfel. Merkels Verhandlungsposition würde durch diesen Druck doch sogar gestärkt, behaupten CSU-Leute. Man darf gespannt sein, ob die Kanzlerin das auch so sieht.

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SZ vom 18.06.2018/jps
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