Süddeutsche Zeitung

CSU:Gnadenfrist für Seehofer

  • Erst nach der Regierungsbildung in Bayern will die CSU über personelle Konsequenzen diskutieren.
  • Nach dieser Rechnung hat Horst Seehofer eine Gnadenfrist bis zum 12. November.
  • Man hoffe nur, dass er die Zeichen der Zeit "selbst erkennt", sagt ein Funktionär.

Von Roman Deininger und Wolfgang Wittl

Weihrauch wabert am Montagvormittag durch die Münchner Ludwigskirche. Fast alles, was in der CSU Rang und Namen hat, ist zum Gedenkgottesdienst für Wilfried Scharnagl gekommen, den langjährigen Vertrauten von Franz Josef Strauß. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ist da, die Ehrenvorsitzenden Theo Waigel und Edmund Stoiber, die alten Recken Peter Gauweiler, Gerold Tandler und Alois Glück. Die CSU-Gemeinde singt und betet inbrünstig. Und manches Gebet wird offenbar schnell erhört.

Um 10.36 Uhr sickert die Nachricht durch, dass Angela Merkel als CDU-Vorsitzende abtreten will. Man kann den Zeitpunkt an Söders Reaktion festmachen. Bis dahin hat er darauf verzichtet, aufs Handy zu schauen. Nun hat er das Display fest im Blick und steckt mit seinem Sitznachbarn, CSU-Generalsekretär Markus Blume, die Köpfe zusammen. Immer wieder tuscheln sie - bis zum Ende des Gottesdienstes. Auch Seehofers Sprecher erfährt die Neuigkeit, er hastet aus der Kirche, um mit dem Chef zu telefonieren. Seehofer ist als Bundesinnenminister im Saarland bei der Eröffnung eines "Ankerzentrums".

Seehofer ist noch da, und in den Gedanken der meisten doch schon weg. Im Grunde hat die Hessen-Wahl genau die Wirkung erzielt, die sich viele in der CSU erhofft hatten: Merkel wird weggespült und Seehofer mit ihr - ohne dass sich irgendwer die Finger schmutzig machen muss.

In der CSU gärt es, am Sonntag hat ein Funktionär die Stimmung so zusammengefasst: "Seehofer ist nicht zu halten. Wir haben nur Ruhe bis jetzt, weil wir alles dafür getan haben. Wir hoffen, dass er das selbst erkennt und einen Weg findet." Jetzt, nach Merkels Entschluss, gilt das umso mehr.

Seehofer selbst sagt am Montag, es gelte der bekannte Fahrplan der CSU: Erst nach der Regierungsbildung in Bayern werde über Konsequenzen diskutiert. Nach dieser Rechnung hat er eine Gnadenfrist bis zum 12. November, dem Tag, auf den wahrscheinlich die Wiederwahl Söders als Ministerpräsident im Landtag fallen wird. Bis dahin kann er einen Abschied in Würde einleiten. Dass er geht, das ist nun die klare Erwartung in der Partei.

Nach dem Requiem für Scharnagl stehen die CSU-Größen im Pfarrsaal von St. Ludwig beieinander. Alle tragen Schwarz, wie es sich für eine Trauergemeinde gebührt. Aber viele tragen auch ein Lächeln im Gesicht. Kein Mensch spricht über Scharnagl, alle sprechen nur über Merkel - und damit indirekt über Seehofer. Der frühere CSU-Chef Erwin Huber sagt: "Sie leistet für die Union einen wichtigen Dienst, sich personell zu erneuern." Waigel sagt: "Sie hat selbstbestimmt und souverän entschieden, das haben nur ganz wenige geschafft." Seehofer ist hier bereits Geschichte, nur über das Wie, Wann und Wo seines Abgangs wird noch spekuliert. Jetzt geht es schon darum: Wer folgt ihm nach?

Das in der CSU fast erleichtert zur Kenntnis genommene Ergebnis von 37, 2 Prozent bei der Landtagswahl und nun Merkels Verzicht auf den CDU-Vorsitz haben die Dynamik geändert. Schien bis dahin vieles auf den Europapolitiker Manfred Weber zuzulaufen, spricht nun immer mehr für Söder. Die Verantwortung für das Wahlergebnis hat die Partei vollständig bei Seehofer abgeladen; Söder wird sein Fleiß angerechnet und ein gewisses Maß an Einsicht, die zu Kurskorrekturen im Wahlkampf führte. Söder hat stets recht glaubhaft versichert, dass er nicht heiß darauf sei, als Parteichef mit Merkel an einem Tisch zu sitzen. Aber das müsste er ja jetzt nicht mehr. Söders Mentor Stoiber ist ohnehin der Meinung, dass beide Ämter in eine Hand gehören.

Der liberale CSU-Flügel favorisiert Weber, seine größten Fürsprecher sind Waigel, Glück und Huber. Eine Doppelspitze mit Söder, sagen sie, würde wieder die ganze Breite der CSU abbilden. Aber kann sich Weber einen Kampf um den CSU-Vorsitz gegen den wundersam erstarkten Söder leisten? Für ihn hat ein anderer Chefsessel Priorität - in der EU-Kommission. Nichts darf ihn beschädigen auf diesem Weg.

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SZ vom 30.10.2018/lalse
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