CSU im Wahlkampf:Bayern - und sonst nichts

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Innenminister Seehofer hat den Asylstreit mit der CDU angefacht, Landesgruppenchef Dobrindt und Bayerns Ministerpräsident Söder treiben ihn, auch wegen der Landtagswahl, immer weiter. Ist dem CSU-Chef die Situation entglitten?

Von Roman Deininger und Wolfgang Wittl

Vor dem Plenarsaal des Bayerischen Landtags steht am Donnerstag eine an sich bedächtige Frau, sie sagt: "Ich könnte so kotzen, das kann ich gar nicht sagen." Die Frau ist Abgeordnete der Grünen, doch in diesem Moment steht sie Angela Merkel näher als jeder Christsoziale. Alles, was die CSU da in Berlin veranstalte, mache sie doch "nur wegen dieser blöden Landtagswahl" am 14. Oktober. Die milliardenschweren neuen Projekte des Ministerpräsidenten Markus Söder, das harte Polizeigesetz, der Kreuzerlass - und dennoch verharrt die CSU in Umfragen bei gut 40 Prozent. "Denen fällt nichts mehr ein", vermutet die Grünen-Frau. Deshalb jetzt diese unglaubliche Eskalation in Berlin.

Die Unionsschwestern CDU und CSU haben im Streit um die Zurückweisung von Flüchtlingen das Stadium maximaler Zerrüttung erreicht. Seit Donnerstag steht der Bruch der Fraktionsgemeinschaft im Bundestag im Raum. Und das Ende von Merkels Kanzlerschaft.

Lässt sich der große Knall noch verhindern? Oder anders: Macht die CSU wirklich Ernst? Es klingt danach. "Mit dieser Frage steht und fällt die gesamte Glaubwürdigkeit. Die CSU bleibt stehen", sagt Söder am Freitag der SZ. Die Deutschen wollten eine Wende in der Asylpolitik, und nun müsse man ihnen zeigen, dass man ihre Sorgen ernst nehme. "Dafür braucht es endlich Entscheidungen. Wenn andere Länder an der Grenze zurückweisen können und Deutschland nicht - dann hat der Bürger dafür kein Verständnis."

"Jeder spielt auf eigene Rechnung", sagt ein CSU-Mann

Die Position der CSU ist klar: Schon im Bundestagswahlkampf sei man abgestraft worden, weil Wähler bezweifelten, die CSU würde sich in der Flüchtlingspolitik gegen Merkel durchsetzen. Wie muss dann erst der Zorn bei der Landtagswahl ausfallen, wenn die CSU sogar den verantwortlichen Innenminister stellt? "Dann können wir in Bayern das Licht ausmachen", sagt ein Christsozialer.

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Zwei Stimmen gibt es in der CSU, die lauter sind und schärfer als alle anderen: die von Söder und von Alexander Dobrindt. Für Söder zählt nur die Bayern-Wahl und sonst nichts. Bei Dobrindt ist die Motivlage vielschichtiger: Der Berliner Landesgruppenchef ist inhaltlich der größte Hardliner, und er hat die geringsten persönlichen Sympathien für Merkel. Dobrindt gilt als Stratege, seine mittelfristigen Ambitionen auf den Parteivorsitz sind also sicher Teil seines Kalküls.

Als Seehofer am Donnerstag durchblicken ließ, er würde Merkel zumindest indirekt noch zwei Wochen Zeit für Verhandlungen mit den EU-Partnern geben, warfen Söder und Dobrindt diese Hintertür sofort wieder zu. "Ich glaube nicht, dass etwas, was in drei Jahren nicht funktioniert hat, auf einmal in zwei Wochen klappen soll", sagt Söder am Freitag.

Seehofer, Söder, Dobrindt: "Jeder spielt auf eigene Rechnung", sagt ein CSU-Mann. In den Grundlinien sind sich die drei gewiss einig, doch von allzu enger Abstimmung braucht man gerade zwischen Söder und Seehofer nicht auszugehen. Die beiden alten Rivalen beschränken ihre Kommunikation auf ein Minimum. Wahrscheinlich ist es einfach so, dass sich beim Spitzenpersonal der CSU in den drei Jahren des Flüchtlingsstreits viel Wut und Frustration über Merkel aufgestaut hat. Jetzt, wo die Wahlkampf-Verzweiflung dazukommt, bricht sich alles Bahn.

In der Landtagsfraktion der CSU gibt es eine Whatsapp-Gruppe, für den schnellen Austausch zwischendurch. Auf keinen Fall nachgeben, volle Rückendeckung für Seehofer, durchhalten um jeden Preis - das ist der eindeutige Tenor der Beiträge. Nur mit einer harten Linie sei die Landtagswahl noch zu retten, am besten ohne Merkel. Was das genau bedeutet, wurde allerdings noch nicht durchgespielt. "Wir haben uns in eine ausweglose Situation manövriert", klagt ein CSU-Mann, der sich diese Gedanken bereits gemacht hat.

Was, wenn die CDU zu Merkel steht und bei der Landtagswahl in Bayern antritt? Auf sieben, acht Prozent schätzen CSU-Leute deren Potenzial. Dann müsste die CSU in München vielleicht mit einer CDU regieren, der man in Berlin gerade den Rücken gekehrt hat. "Aberwitzig", sagt ein CSU-Mann im Vertrauen. Öffentlich ist der liberale Parteiflügel gerade auffällig still. Nur der Ehrenvorsitzende Theo Waigel hat eine vorsichtige Empfehlung für seine Erben: "Bedenke das Ende." Waigel erinnert an 1976, an Strauß' legendären, bald wieder einkassierten Kreuther Trennungsbeschluss: "Der Bruch der Fraktionsgemeinschaft hätte damals nicht funktioniert, und auch heute würde niemand davon profitieren." Aus Söders Umfeld heißt es trotzdem: Es gebe nichts, wovor man Angst haben müsse.

Horst Seehofer hat den politischen Flächenbrand, der gerade die ganze Republik erfasst, mit seiner Zündelei angesteckt. Aber er ist jetzt auch derjenige in der CSU-Führung, der am ehesten ein Bewusstsein dafür hat, dass Löschen eine gute Idee sein könnte. Was würde ein Kanzlerin-Sturz bedeuten? Für die politische Kultur in Deutschland, aber auch für die Wahlaussichten der CSU in Bayern? Seehofer-Vertraute hören sich da nicht ganz so überbordend optimistisch an wie die Mitglieder der Landtags-Whatsapp-Gruppe.

Merkel habe unbedingt gewollt, dass ihr ewiger Widersacher Seehofer in die Regierung einrückt, so erzählt man das in der CSU. Vielleicht habe sie ihn so kontrollieren wollen. Tatsächlich hat sie mit seiner Berufung zum Innenminister wohl die Sollbruchstelle ihrer Koalition markiert. Einer von Seehofers Lieblingssätzen lautet: Man glaubt gar nicht, wie sehr manche Leute an ihren Ämtern festhalten. Hat Merkel nicht in der letzten Verhandlungsnacht zur großen Koalition das Innenministerium preisgegeben?

In der CSU sah man die Sache bis Donnerstag so: Merkel gibt im Zweifel nach, wenn es um die Regierung oder ihre Kanzlerschaft geht. Nun wundert man sich, dass die Kanzlerin so stur bleibt. Und weist ihr vollumfänglich die Verantwortung für die Zuspitzung der Lage zu.

Zwei Kompromisse hatte Seehofer Merkel angeboten: Er ordne Zurückweisungen an der Grenze an und nehme sie wieder zurück, sobald Merkel eine europäische Lösung herbeigeführt habe. Oder: Er beschließe die Zurückweisungen jetzt, vollziehe sie aber erst, wenn Merkel vom nächsten EU-Gipfel Ende Juni ohne Ergebnis zurückkehren sollte. Beides lehnte die Kanzlerin ab. Die CSU-Führung, hört man, habe das "total ratlos" hinterlassen. Jetzt laufe eben das "Endspiel" zwischen Seehofer und Merkel, heißt es in der CSU. Anders als bei normalen Spielen gibt es in Endspielen kein Unentschieden, keinen Kompromiss. Es gibt immer einen Sieger und einen Besiegten.

Kann Seehofer dem Druck aus der eigenen Partei standhalten?

Aber geht es nicht längst um mehr als Bayern und sogar als Deutschland? Geht es nicht um Europa? Donnerstag, früher Abend. Im Bayerischen Landtag erklimmt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Bühne. Wird Juncker in seiner Rede auf den Unionsstreit eingehen? Man habe ihm ja geraten, an diesem Thema elegant vorbeizusegeln, flötet er. Sonderlich beeindruckt hat ihn dieser Rat aber nicht. "Ich bin für europäische Lösungen", ruft Juncker. Lautes Klatschen bei der Opposition, verschränkte Arme bei der CSU. "Aber: Ich bin für schnelle europäische Lösungen." Nun applaudieren die CSU-Leute heftig.

Alleine wird sich die CSU gegen Merkel nicht durchsetzen, dazu braucht sie Unterstützung aus der CDU. Viele CDU-Abgeordnete haben deutlich gemacht, dass sie Seehofer inhaltlich folgen. Die Kanzlerin erpressen wollen sie aber nicht. Will Seehofer seine Partner in der CDU nicht verprellen, wird er ihre Forderung - Merkel müsse bis zum EU-Gipfel Zeit bekommen - berücksichtigen müssen. Käme die Kanzlerin Ende Juni ohne Ergebnis zurück, hätte er gewonnen.

Der CSU-Vorstand wird Seehofer am Montag mit jeder Vollmacht für Zurückweisungen ausstatten. Für Seehofer geht es danach nur um eine einzige Frage: Kann er dem Druck aus seiner eigenen Partei standhalten, bis Merkel fertig verhandelt hat?

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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