CSU:Die Verwandlung

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Horst Seehofer propagiert mehr Kontrolle an den deutschen Grenzen. Aber die Kontrolle über sich selbst - die hat er mittlerweile verloren. Die CSU agiert wie im Wahn.

Von Heribert Prantl

Bei der Landtagswahl von 2008 verlor die CSU 17,3 Prozentpunkte. Nun, zehn Jahre später, verliert sie noch viel mehr: Sie verliert den Respekt, den die Öffentlichkeit vor dieser Partei hatte. Ihr Vorsitzender macht sich mit halbgaren Rücktrittsdrohungen und frevelhafter Selbstüberhebung zum Gespött. Und Söder, Dobrindt und Co. machen sich mit substanzarmem Furor lächerlich. Das Land erlebt den Niedergang einer Partei, die über Jahrzehnte hinweg ein wirkmächtiges Bewegungszentrum nicht nur für Bayern war.

Deutschland lebt in wirtschaftlicher Prosperität. Es geht dem Land eigentlich gut - wäre da nicht die merkwürdige und gefährliche Mutation der CSU; sie hat einen Landesgruppenchef im Bundestag, der von einer konservativen Revolution schwärmt; sie hat eine Führungscrew, die den Anschluss der Partei an die rechtspopulistischen Bewegungen in Europa betreibt und den Sturz der Kanzlerin für einen großen Erfolg hält.

Noch nie in ihrer Geschichte war die CSU so kleinmütig und so großkotzig zugleich

In einer Zeit, in der Europa ein starkes, gut regiertes Deutschland bräuchte, in einer Zeit außenpolitischer Großturbulenzen, in einer Zeit, in der sich die Welt neu ordnet, flieht die CSU ins ganz kleine Karo des Landtagswahlkampfes; sie macht die ganze Republik, ja ganz Europa zur Geisel ihrer weiß-blauen Ängste. Die CSU lässt sich von der AfD zu Exaltationen treiben, in die sich eine seriöse Partei nicht treiben lassen darf. Zuletzt war das vor sechzig Jahren so, als die CSU sich der Bayernpartei erwehren wollte, die damals etwa so stark war wie die AfD heute in Bayern.

Die Mittel, die die CSU damals gegen die Bayernpartei anwendete, waren kriminell; die Mittel, die sie heute anwendet, sind verantwortungslos. Ein halbes Jahr hat die Politik gebraucht, um eine ordentliche deutsche Regierung auf die Beine zu stellen. Nun scheint die CSU alles daran zu setzen, diese in einem halben Jahr wieder zu zerlegen. Man darf den Bundesinnenminister an den Amtseid erinnern; er ist nicht auf die CSU vereidigt.

Noch nie in ihrer Geschichte war die CSU so kleinmütig und so großkotzig zugleich. Die CSU spielte immer gerne die Opposition innerhalb der Bundesregierung. Aber diesmal ist es kein Spiel mehr; es ist blutiger Ernst. Die CSU-Führung betreibt auf großer Bühne den politischen Mord an Angela Merkel. Und die Öffentlichkeit blickt mit Fassungslosigkeit auf eine Partei, die sich mit Stolz Staatspartei nannte und sich nun an Staat und Gesellschaft versündigt. Selbst diejenigen, die eine Seehofer-Politik an den Grenzen für gut halten, schauen mit Entsetzen auf einen Parteichef, der zwar mehr Kontrolle an den Grenzen propagiert, aber die Kontrolle über sich verloren hat. Seehofer leitet die Verbitterung über seine Vertreibung aus der Münchner Staatskanzlei, seinen Hass auf Söder, auf Merkel um. Er schadet mit seiner Raserei seiner Lebensleistung. Man wird den rabiaten Anti-Merkel-Seehofer in Erinnerung behalten, nicht den raffinierten Sozialpolitiker. Vor zehn Jahren hat Seehofer der CSU nach der großen Niederlage den Stolz zurückgegeben; jetzt hat er ihn der Partei wieder genommen. Man kann rätseln, ob Seehofer sich vor den Karren einer Strategie hat spannen lassen, die die CSU in eine andere Partei verwandeln will: in eine, die nicht bayerisch-europäisch, sondern nationalistisch ist. Diese Verwandlung ist aber keine Entscheidung, die eine machtkämpfende Führungsgruppe treffen kann.

Es geht für die CSU um wahrhaft elementare Fragen: Soll sie die Koalition in Berlin fortführen? Soll sie die Fraktionsgemeinschaft aufkündigen? Soll sie, völlig losgelöst von der CDU, ihren eigenen Weg gehen? Das sollten nicht Seehofer, Söder, Dobrindt und Co. bestimmen. Entscheiden darüber muss die große Kraft, die die CSU noch immer hat: Sie besteht aus den Bürgermeistern und Landräten, den Stadt- und Gemeinderäten; sie besteht aus den vielen Kümmerern, aus den Leuten, die diese CSU in ihrer Vielfalt, nicht in ihrer Einfalt vertreten. Die Kraft der CSU ist ihre Basis. Das heißt: Entscheiden muss ein Sonderparteitag; und über den neuen Chef müssen alle Mitglieder abstimmen. Warum? Wenn es ums Ganze geht, muss auch das Ganze entscheiden. Für die CSU geht es ums Ganze.

Dazu gehört auch die Antwort auf die Frage, ob der CSU ein Autokrat wie Viktor Orbán wirklich nähersteht als eine Angela Merkel. Seehofer hat Ungarns Premier zuletzt öfter ins Allerheiligste der Partei eingeladen als die Chefin der Schwesterpartei. Der Kopf der Partei ist verwirrt. Der Kurs ist verirrt. Es ist, als sei die CSU-Führung von allen guten Geistern verlassen. Was soll eine Partei da tun? Soll sie dabei zuschauen, wie es in den Graben und die Union zu Bruch geht? Soll sie zuschauen, wie die Führung die Verhältnisse in Deutschland italienisiert? Die CSU steht auch deshalb so desolat da, weil sie die Mitgliederbefragung im Machtkampf zwischen Söder und Seehofer gescheut hat. Seitdem ist die Stimmung immer giftiger geworden. Was kann Entgiftung bringen? Die Basis, also die Mitgliederbefragung. Das bringt Klarheit.

© SZ vom 03.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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