Crowdworker:Hoffnung für die digitalen Tagelöhner

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Texte abtippen, Essen liefern, Kontrollfahrten: Firmen bieten Crowdworkern vielfältige Einsatzmöglichkeiten - zu denkbar schlechten Bedingungen. (Foto: imago /Westend61)

Crowdworker verdienen ihr Geld mit kleinen Aufträgen, die sie im Internet finden - und von heute auf morgen wieder verlieren können. Ein 53-Jähriger hat nun vor dem Bundesarbeitsgericht immerhin eine Entschädigung erstritten. Und auch die Bundesregierung will Arbeit im Internet stärker regulieren.

Von Benedikt Peters, München

Sie tippen Kassenzettel ab, schreiben Werbetexte oder liefern Essen aus - und sie können von einem auf den anderen Tag auf die Straße gesetzt werden. Sogenannte "Crowd"- oder "Clickworker" registrieren sich auf Onlineplattformen und arbeiten dort Aufträge ab. Für jeden erledigten Auftrag gibt es ein paar Cent oder ein paar Euro, aber es gibt keinen Urlaubsanspruch, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keinen Kündigungsschutz. Um eine Altersvorsorge müssen sich die Crowdworker ebenfalls selbst kümmern, auch wenn viele von ihnen nur ein paar hundert Euro im Monat verdienen und oft mehrere Jobs haben. "Moderne Tagelöhnerei", nennen das Kritiker, manche sprechen gar von "digitalen Arbeitssklaven".

Um die Arbeitsbedingungen der Crowdworker ging es am Dienstag vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Geklagt hatte ein 53-Jähriger aus Wesel am Niederrhein, der zwei Jahre für die Plattform Roamler gearbeitet hatte. Die Aufträge bestanden darin, Geschäfte abzufahren und zu kontrollieren, ob Zigarettenpackungen und andere Waren dort so präsentiert wurden, wie mit den Herstellern vereinbart.

Etwa 1700 Euro verdiente der Mann monatlich; er habe davon gut die Miete bezahlen können, sagt er. Doch nach 17 Monaten beendete Roamler von einem auf den anderen Tag die Zusammenarbeit - willkürlich, sagt der Kläger, während die Plattform angibt, dies erst getan zu haben, nachdem der Mann bei seiner Arbeit einige Fehler gemacht hatte. Von einem auf den anderen Tag stand er auf der Straße.

Der Mann hatte argumentiert, er sei "weisungsgebunden und fremdbestimmt" tätig gewesen - das Gericht gab ihm recht

Vor dem Bundesarbeitsgericht klagte der Mann nun darauf, er sei als Arbeitnehmer anzusehen gewesen und nicht als Selbständiger. Daher habe für ihn auch ein Kündigungsschutz gegolten. Zwei Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen, das Bundesarbeitsgericht aber gab ihm Recht. Der Mann hatte im Kern argumentiert, er sei "weisungsgebunden und fremdbestimmt" für Roamler tätig gewesen. Die Online-Plattform wird ihn zwar nicht wieder beschäftigen, da sie später noch eine vorsorgliche Kündigung ausgesprochen hatte. Diese sei wirksam, entschieden die Erfurter Richter. Immerhin hat der Mann aber nun Anspruch auf eine Entschädigung .

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Das Urteil wirkt sich nicht unmittelbar auf die knapp drei Millionen Crowdworker in Deutschland aus, da derartige Entscheidungen im Einzelfall getroffen werden. Doch es ist ein klares Signal an die Betroffenen, dass sie nicht automatisch Selbständige sind. "Es könnte folgenschwer für Arbeitgeber sein", sagt Rechtsanwalt Thomas Drosdeck von der Kanzlei Beiten Burkhardt, der das Verfahren beobachtet hat. Diese müssten nun fürchten, bei jedem Auftrag einen Arbeitsvertrag abzuschließen.

Zudem befeuert das Urteil die Debatte darüber, ob die Arbeit im Internet stärker reguliert, ob Crowdworker allgemein besser geschützt werden müssen. Gewerkschaften und Linke fordern das seit Jahren. Am vergangenen Freitag hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dazu ein Eckpunktepapier vorgelegt.

Crowdworker sollen demnach künftig in die Rentenversicherung einbezogen und die Plattformen dazu verpflichtet werden, sich an der Altersvorsorge zu beteiligen. Mindestkündigungsfristen sollen eingeführt werden, ebenso wie eine "Beweislastumkehr". Dann müssten die Crowdworker nicht mehr nachweisen, dass sie keine Arbeitnehmer sind, sondern die Plattformen, dass die Crowdworker es nicht sind. Manche Passagen sind allerdings zurückhaltender: Regeln zum Mutterschutz, zum Urlaub und zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall einzuführen sei "naheliegend", heißt es in dem Papier, die Möglichkeit einer Unfallversicherung will Heil "prüfen".

Die Gewerkschaft IG Metall, die einige Crowdworker betreut und auch die Klage des 53-Jährigen vor dem Bundesarbeitsgericht unterstützt hat, sieht den Vorstoß des Arbeitsministers grundsätzlich positiv. "Es ist allerhöchste Zeit, Schutzrechte für Crowdworker zu schaffen", sagt die Vizechefin Christiane Benner. Zwei Punkte seien allerdings kritisch: Ein Zugangsrecht zu den digitalen Plattformen für Gewerkschaften sehe das Papier nicht vor. Außerdem kritisiert die IG Metall, dass die neuen Regeln nicht für alle Plattformen gelten sollen. Solche, die sich auf die reine Vermittlung von Arbeit beschränken, sind ausgeschlossen. "Das ist noch interpretationsbedürftig", sagte Benner der SZ. "Es muss sichergestellt werden, dass die Schutzrechte und Regeln dadurch nicht untergraben werden."

Wann aus dem Papier ein Gesetzesentwurf werden und ob dieser noch bis zur Bundestagswahl im Herbst 2021 verabschiedet werden könnte, ist ohnehin unklar. "Unsere Eckpunkte sind eine gute Grundlage für weitere Gespräche", sagte ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums. Bis die Gespräche Früchte tragen, müssen sich Crowdworker bessere Arbeitsbedingungen vor Gericht erstreiten.

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