Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Hoffen auf geimpfte Gäste

Premier Kyriakos Mitsotakis will, dass Reisen innerhalb der EU mit einem Zertifikat erleichtert wird. Mit den Mitteln aus den Corona-Fonds soll die Wirtschaft des Landes grundlegend umstrukturiert werden. Athen setzt dabei auf Digitalisierung, Privatisierungen und Energie-Umbau.

Von Tobias Zick, München

Die griechische Regierung will beim Videogipfel der EU-Regierungschefs, der an diesem Donnerstag beginnt, auf die schnelle Einführung eines EU-weiten Covid-Impfzertifikats dringen. Wer so nachweisen kann, dass er gegen das Coronavirus immunisiert sei, müsse einfacher zwischen Mitgliedsstaaten reisen können, etwa ohne Quarantänepflicht. Dies bekräftigte Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis am Dienstag im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Sein Land sei in besonderem Maße vom Sommertourismus abhängig, sagte er; "wir hoffen, dass die Reisesaison wesentlich besser ausfällt als die vergangene."

Im Sommer 2020 waren in Griechenland, dessen Bruttoinlandsprodukt zu mehr als einem Fünftel vom Tourismus abhängt, die Buchungen massiv eingebrochen. "Unser Ziel ist es, dieses Jahr zumindest wieder 50 Prozent des Niveaus von 2019 zu erreichen", so der Premier.

Griechenland selbst war von der ersten Welle der Pandemie im Frühjahr 2020 vergleichsweise schwach betroffen; Athen hatte früher als andere Länder einen umfassenden Lockdown verhängt. Im Herbst stiegen die Infektionszahlen jedoch, derzeit kämpft besonders die Region Attika um die Hauptstadt Athen mit einer massiven Welle. Man spüre jetzt, dass "unser Gesundheitssystem die vergangenen zehn Jahre an Unterfinanzierung gelitten hat", sagte der Premier.

Umso entschlossener gab er sich, bei den Impfungen das Tempo voranzutreiben, bis Ende Mai wolle man alle Menschen über 60 sowie die mit Vorerkrankungen gegen das Coronavirus immunisiert haben. Dann werde man über so große Mengen Impfstoff verfügen, dass die Herausforderung sein werde, ihn systematisch zu verabreichen.

Um die zerrütteten Beziehungen zur Türkei zu bessern, müsse Erdoğan "rhetorisch abrüsten"

Zur Frage, wie seine Regierung die Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU einsetze, sagte Mitsotakis, man habe eine Chance, wie sie nur einmal in einer Generation vorkomme, die Struktur der Wirtschaft grundlegend umzustellen. Seine Regierung sei zudem mit dem Versprechen eines "radikalen Wandels" gewählt worden - man werde insbesondere die Digitalisierung des Landes vorantreiben, private Investitionen steigern und sich in der Energieversorgung bis 2028 von Braunkohle unabhängig machen.

Nachdem im Herbst die Gefahr eines militärischen Zusammenstoßes der Nato-Mitglieder Griechenland und Türkei im östlichen Mittelmeer bedrohlich konkret geworden war, haben sie ihre fünf Jahre lang auf Eis gelegten Sondierungsgespräche wieder aufgenommen. Darauf hatte die EU gedrungen; deren Staats- und Regierungschefs hatten im Dezember mit neuen Sanktionen gegen Ankara angedroht, diese aber aufgeschoben, als die Türkei Entspannungssignale gesandt und sich wieder dialogbereiter gezeigt hatte.

Die Gespräche sind jedoch mit dem Grundhindernis behaftet, dass beide Seiten sich nicht einmal einigen können, worüber zu verhandeln sei. So will die Türkei etwa über Neuregelungen des Luftraums reden und fordert den Abzug griechischer Truppen von bestimmten Inseln nahe des türkischen Festlands. Dabei stellt Ankara auch die Umsetzung des Vertrags von Lausanne infrage, der 1923 die Grenzen zwischen beiden Staaten festgelegt hatte. Athen dagegen will nur über den Verlauf der Seegrenzen und die daraus resultierenden Ansprüche auf die Rohstoffvorkommen unter dem Meeresboden reden. Es beruft sich auf das UN-Seerechtsabkommen Unclos, dem die Türkei nicht angehört.

Er habe Präsident Recep Tayyip Erdoğan die "Hand der Freundschaft" ausgestreckt, sagte Mitsotakis der SZ; für ein Gelingen der Gespräche müsse der aber "rhetorisch abrüsten". Im vergangenen Frühjahr hatte Erdoğan die Grenze zur EU für geöffnet erklärt und Tausende Migranten ermuntert, griechisches Territorium zu betreten. Griechenlands Sicherheitskräfte reagierten mit großer Härte; immer wieder wird Athen vorgeworfen, Flüchtlinge an der Land- und Seegrenze zur Türkei gewaltsam zurückzuschieben. Mitsotakis wies den Vorwurf von Rechtsbrüchen zurück, bekräftigte aber: "Wir schützen unsere Grenzen - und wir lassen es nicht zu, dass Flüchtlinge als politisches Druckmittel eingesetzt werden."

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