Süddeutsche Zeitung

Covid-19:Russland lässt Impfstoff zu

Eine Wirksamkeitsstudie an vielen Tausend Menschen fehlt aber bisher. Präsident Wladimir Putin sagt, eine seiner Töchter habe sich impfen lassen. Ausländische Experten äußern sich zurückhaltend.

Von Kathrin Zinkant

Im Rennen um einen Impfstoff gegen das neue Coronavirus hat sich Russland mit einem ungewöhnlichen Akt scheinbar als Sieger über die Ziellinie katapultiert. Wie Wladimir Putin am Dienstag mitteilte, hat das Land den weltweit ersten Impfstoff gegen den Covid-19-Erreger zugelassen. Der Präsident der russischen Föderation teilte mit, sogar eine seiner Töchter habe sich mit dem neuen Vakzin immunisieren lassen, und sie fühle sich gut. Aus russischen Regierungskreisen hatte es vergangene Woche noch geheißen, der Impfstoff werde am 12. August, also diesem Mittwoch, die Zulassung erhalten. Mehr als 20 Länder haben angeblich schon Interesse an dem Präparat angemeldet.

Ob Moskau den Wettlauf tatsächlich gewonnen hat, bleibt allerdings unklar. Über "Gam-COVID-Vac Lyo", wie das russische Vakzin heißt, ist bislang wenig bekannt. Forscher des Moskauer Gamaleya-Instituts haben ihren Kandidaten nach bisherigen Informationen auf Basis eines modernen, aber auch nicht völlig neuen Konzepts entwickelt, das auch andere Teams weltweit nutzen. So zum Beispiel Immunologen der University of Oxford, deren Kandidat sich seit Ende Juli in der letzten, besonders wichtigen Prüfung auf Wirksamkeit befindet.

Der russische Impfstoff wird derzeit nicht in der EU zugelassen

Eine zentrale Wirksamkeitsstudie an vielen Tausend Menschen fehlt beim russischen Impfstoff dagegen. Russland will diese Daten erst später erheben, nachdem in der Bevölkerung bereits geimpft wurde. Eine ähnliche Entscheidung hatte es im Juni bereits in China gegeben, als ein Impfstoff des Biotechunternehmens CanSino Biologics eine begrenzte Zulassung für das chinesische Militär erhalten hatte, ebenfalls ohne einen Beleg zur Wirksamkeit. Soldaten der Volksbefreiungsarmee wurden Medienberichten zufolge bereits geimpft. Über die Folgen ist nichts bekannt. Eine Wirkung wird jedoch schwierig nachzuweisen sein, da es kaum noch Infizierte und deshalb ein geringes Ansteckungsrisiko in China gibt. Dieses Problem hat Russland nicht. Derzeit meldet das Land um die 5000 neue Infektionen pro Tag und steht in der Liste der am stärksten von Corona betroffenen Länder auf Platz vier.

Doch selbst die Daten aus den ersten klinischen Tests zur Sicherheit sind bislang nicht veröffentlicht worden. Aus der Studienregistrierung ist lediglich bekannt, dass der Impfstoff an 38 vollständig gesunden Personen auf Verträglichkeit und eine messbare körperliche Reaktion getestet wurde - Agenturberichten zufolge erfolgreich und ohne die geringsten Nebenwirkungen. Vergleichbare Erfolge haben allerdings inzwischen schon zahlreiche andere Kandidaten vorzuweisen, mit dem Unterschied, dass für diese Impfstoffe überprüfbare Daten publiziert wurden.

Aus der Perspektive der Sicherheit betrachtet ist die Vorgehensweise der Russen, aber auch der Chinesen, ungut. Nicht umsonst gibt es üblicherweise, etwa in der Europäischen Union, strenge Auflagen für eine Zulassung von Impfstoffen. Dass der russische Impfstoff in der EU zugelassen wird, ist unter den gegenwärtigen Voraussetzungen deshalb ausgeschlossen. Das Bundesgesundheitsministerium teilte auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung mit, es gebe keine Verhandlungen Deutschlands mit Moskau über eine mögliche Bereitstellung des neuen Vakzins.

Experten haben sich ihrerseits zurückhaltend über den russischen Impfstoff geäußert. Zwar sagte Stephan Becker von der Universität Marburg der SZ, dass das Vakzin vom Konzept her nicht besser oder schlechter sei als andere Kandidaten. Der Virologe hält es jedoch für unglaubwürdig, dass der Impfstoff, wie behauptet, keinerlei Nebenwirkungen haben soll.

Der Wettlauf um einen Impfstoff ist längst auch ein politischer Prestigekampf. So wie US-Präsident Donald Trump hofft, er könnte mit einem ersten Platz im Wahljahr Popularität aufholen, hofft wohl auch Wladimir Putin, nun sinkende Umfragewerte umzudrehen, er selbst verkündete im Staatsfernsehen die Zulassung des Vakzins. Es geht um sein Ansehen und um die Rivalität der beiden Großmächte. Der Chef des russischen Investmentfonds, der die Impfstoff-Entwicklung finanziert, zog einen Vergleich aus dem Kalten Krieg herbei und sprach kürzlich von einem "Sputnik-Moment": So wie Russland 1957 die Amerikaner mit dem ersten Weltraum-Satelliten überraschte, werde es beim ersten Impfstoff vorneliegen.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2020
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