Coronavirus und Wirtschaft:Spaniens steiniger Weg in die "neue Normalität"

Coronavirus disease (COVID-19) outbreak in Barcelona

Viele Spanier kommen ohne Hilfen kaum über die Runden. Vor Suppenküchen und Essensausgaben bilden sich kilometerlangen Schlangen.

(Foto: Nacho Doce/Reuters)

Spaniens Wirtschaft ist am Boden. Das Land hofft nun auf eine Rückkehr der Touristen - und ist trotz der großen Solidarität während der Coronakrise politisch weiter tief gespalten.

Von Sebastian Schoepp

Er hat es noch mal geschafft, und es soll das letzte Mal gewesen sein: Am Mittwochabend hat Spaniens Parlament auf Antrag von Ministerpräsident Pedro Sánchez mit knapper Mehrheit die sechste Verlängerung des "Alarmzustandes" passieren lassen, der seit 14. März die Grundlage für einen der strengsten Corona-Lockdowns Europas bildet.

Nun, so sagte Sanchez bei seiner Rede, "verlassen wir den Tunnel". Am 21. Juni soll der Alarm enden, dann soll es auch wieder möglich sein, zwischen den spanischen Regionen hin und her zu reisen. Die strengsten Quarantäne-Regeln sollen fallen, alles weitere sollen wieder Gesetze regeln, wie im normalen demokratischen Alltag üblich, und nicht ein Notregime der Regierung.

Spanien habe die "schlimmsten Monate der Geschichte seiner Demokratie" hinter sich, sagte Sánchez bei seiner Rede im Parlament, um danach wieder in seine oft kritisierte Kriegsrhetorik zu verfallen: "Das Virus ist der Feind, und die Politik muss dazu dienen, dass wir es vereint bekämpfen." Sollte heißen: Die Krise ist noch lange nicht vorbei, die Virusbekämpfung bestimmt alles andere.

Deshalb blieben die Restriktionen in einigen Regionen des Landes, etwa der Hauptstadt Madrid, auch nach mehreren Lockerungen immer noch strenger, als sie es etwa in Deutschland je waren. Doch nachdem das Land mehrere Tage sinkende Zahlen von Todesfällen und Neuinfektionen verzeichnet hat, will die links-linke Koalitionsregierung aus Sozialisten und Linksalternativen (Podemos) den Weg in die "neue Normalität" wagen. Wie diese genau aussehen wird, will die Regierung in den nächsten Tagen präsentieren, fest steht, dass weiter ein strenges Gesundheitsregiment gelten wird.

Sánchez fordert einen europäischen Marshallplan

Das trifft nicht nur das spanische Lebensgefühl im Kern, sondern auch eine der wichtigsten Einnahmequellen, den Tourismus. Von 1. Juli an sollen wieder Ausländer für Ferienfahrten ins Land dürfen, die Zwangsquarantäne für Einreisende wird aufgehoben. Bis dahin will auch das Auswärtige Amt in Berlin die noch geltende Reisewarnung für Spanien kippen, wie Außenminister Heiko Maas am Mittwoch mitteilte.

Aber Ballermann und Strandparty wie früher, das wird angesichts von Abstandsregeln kaum gehen. Wie viele Touristen Lust darauf haben, Spaniens "neue Normalität" kennenzulernen, bleibt daher abzuwarten. Vor diesem Hintergrund wartet das Land sehnsüchtig auf die von Sánchez versprochenen Vorschläge für einen nachhaltigen Umbau der Wirtschaft.

Ohne einen europäischen "Marshallplan" gehe gar nichts, soviel hat der Regierungschef immer wieder klargestellt. Doch in Brüssel wird darüber seit Wochen heftig gestritten, nicht zuletzt beäugen manche im Norden kritisch das Gebaren von Sánchez' Koalitionspartner Podemos. Ihr Chef Pablo Iglesias hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich ein Europa vorstellt, dass nach anderen wirtschaftlichen Kriterien funktioniert als bisher. Gerne benutzt er den Begriff der Solidarität. Die konservative Opposition wirft dem gelernten Politologen vor, er wolle eine Art Planwirtschaft, immer wieder fällt der Kampfbegriff "wie in Venezuela".

Podemos hat bereits ein Grundeinkommen auf den Weg gebracht, der Gesetzentwurf hat die ersten Hürden passiert. Die Bilder kilometerlanger Menschenschlangen vor Tafeln, Suppenküchen und Essensausgaben der Kirchen und Sozialvereine sind das eigentliche Bild der Krise. Laut Schätzungen werden Hunderttausende Spanier ohne eine wie auch immer geartete Form der Grundsicherung kaum über die Runden kommen. Die Wirtschaft ist praktisch zusammengebrochen: Ihr wird ein Einbruch von rund zehn Prozent prognostiziert. Drei Millionen Arbeitslose gab es zu Jahresanfang, durch Corona haben zusätzlich Hunderttausende ihre Beschäftigung verloren, mehr als drei Millionen wurden vorübergehend freigestellt. Die Staatsschulden könnten auf 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Es fehlen Milliarden im Haushalt, die für Corona-Gegenwehr ausgegeben wurden.

Doch eine konstruktive Debatte über die Zukunft des Landes scheint unmöglich zu sein. "Es gibt keine Argumente mehr, nur noch Zugehörigkeiten", schreibt der Philosoph Manuel Arias Maldonado in El Mundo. Regierung und Opposition streiten unerbittlich, so auch am Mittwoch im Parlament.

Die Opposition warf Pedro Sánchez erneut vor, er agiere wie ein Diktator. Die Volkspartei (PP) und die rechtsextreme Vox haben sich an die Spitze derer gestellt, die gegen Restriktionen protestieren. Ein typischer Ausdruck dieser Debatte ist der anhaltende Streit über die Großveranstaltung zum internationalen Frauentag am 8. März in Madrid, der Rechten als Virenschleuder gilt. Die Linke kontert, Konservative und Vox wollten den Feminismus diskreditieren. Inzwischen befassen sich Ermittler der Guardia Civil mit der Frage, wie die Veranstaltung zustandekommen konnte.

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