Bundesregierung:Notpaket soll Folgen des Coronavirus in Grenzen halten

Bundesregierung: Er ermuntere die Verantwortlichen "ausdrücklich", Veranstaltungen mit mehr als 1000 Menschen abzusagen, bekräftigte Gesundheitsminister Jens Spahn am Montag in Berlin.

Er ermuntere die Verantwortlichen "ausdrücklich", Veranstaltungen mit mehr als 1000 Menschen abzusagen, bekräftigte Gesundheitsminister Jens Spahn am Montag in Berlin.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
  • Der Koalitionsausschuss von Union und SPD einigt sich angesichts der Coronavirus-Krise auf ein Maßnahmenpaket, um Betroffene zu unterstützen.
  • Ein neues Kurzarbeitergeld geht über jenes der Finanzkrise hinaus. Auch Sozialbeiträge sollen erstattet werden.
  • Unabhängig vom Coronavirus wollen die Koalitionspartner bis 2024 zusätzlich 12,4 Milliarden Euro investieren, beispielsweise in Schulen, Brücken und Sozialwohnungen.

Von Michael Bauchmüller, Cerstin Gammelin und Henrike Roßbach, Berlin

Im Normalbetrieb ist Politik ein zähes Geschäft, die Berliner Mühlen mahlen eher langsam. Derzeit allerdings ist die Normalität ja eher auf dem Rückzug; das Coronavirus bewirkt, dass der Krisenmodus der neue Normalbetrieb ist. Oder wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag sagte: "Wir sind in einer dynamischen Lage."Da ist es nur konsequent, dass es nun mit manch einer politischen Entscheidung sehr viel schneller gehen soll als sonst. So will es der Koalitionsausschuss von Union und SPD, der bis zum Montagmorgen tagte. Und so will es auch die Regierung, die dessen Beschlüsse umsetzen soll. Oder wie Seibert es formulierte: "Wir können schnell und passgenau reagieren."

Deutlich wird der neue Krisenturbo beim Kurzarbeitergeld. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte ohnehin vorgehabt, eine sogenannte Verordnungsermächtigung in sein geplantes Gesetz zur Förderung der Weiterbildung hineinzuschreiben, um so schneller die gelockerten Regelungen aus der Finanzkrise wieder scharf stellen zu können. Gedacht war das ursprünglich für eine Konjunkturdelle. Jetzt, in der Corona-Krise, bekommt sein Vorhaben eine ungeahnte Dringlichkeit. Die Folge: Heils gesamter Entwurf, der eigentlich ein großes Weiterbildungspaket mit teilweise strittigen Inhalten ist, soll schon diesen Mittwoch vom Kabinett beschlossen werden und "in einem verkürzten Verfahren in der ersten Aprilhälfte in Kraft treten". So schnell hätte er sein Paket sonst nie durchgebracht.

Obendrein geht das neue Kurzarbeitergeld über jenes der Finanzkrise hinaus. Demnach können Betriebe Kurzarbeit schon beantragen, wenn nur zehn Prozent der Mitarbeiter von Arbeitszeitausfall betroffen sind, nicht 30. Auch Leiharbeiter erhalten Kurzarbeitergeld, und, der wichtigste Schritt aus Unternehmenssicht: Sie bekommen vom ersten Tag an die Sozialbeiträge erstattet, die sie eigentlich auch für entfallene Arbeitszeiten zahlen müssten.

Vor lauter Freude über seinen unverhofften Durchmarsch machte Heil den vorgezogenen Kabinettstermin schon um kurz nach elf am Sonntagabend über Twitter publik, als das Treffen des Koalitionsausschusses noch lange nicht zu Ende war. Das wiederum hatte nach übereinstimmenden Berichten aus Union und SPD Wutanfälle aufseiten der CDU zur Folge. Besänftigend dagegen wirkte Heils Coup auf das angespannte Wirtschaftslager. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sprach von einem geeigneten Mittel, das "im Moment auch das wirksamste Liquiditätspaket für die betroffenen Unternehmen" sei.

Überhaupt war die Wirtschaft, die zuvor manches auszusetzen hatte an Heils Paket, voll des Lobes. "Wir sind sehr zufrieden", sagte Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. Erst vergangene Woche hatte sein Verband in Sachen Kurzarbeit exakt das gefordert, was nun kommt. "Es geht um das Verhindern von Insolvenzen und Entlassungen", sagte Zander - weil zunehmend Lieferketten abbrechen. Einer Umfrage des DIHK zufolge rechnen 47 Prozent der Unternehmen mit Umsatzeinbrüchen. DIHK-Präsident Eric Schweitzer sieht eine "extreme Herausforderung für unsere Gesamtwirtschaft". Zander von Gesamtmetall sagte: "Es wäre ein Wunder, wenn wir eine Rezession verhindern können."

Die Kosten der geplanten Kurzarbeitsregelung kann die Bundesagentur für Arbeit noch nicht beziffern, zu unklar ist, wie viele Firmen Kurzarbeit für wie viele Mitarbeiter melden. Ein Sprecher verwies aber auf die Reserven der Arbeitslosenversicherung von knapp 26 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen in der Finanzkrise von 2008 an kosteten die BA damals 24 Milliarden.

Doch schon jetzt ist die Corona-Krise schneller als die Politik. Hotels registrieren reihenweise stornierte Übernachtungen, Restaurants bleiben leer. Anderen Betrieben drohen Verluste, sobald viele Mitarbeiter krank werden - während Kosten wie etwa Mieten oder Tilgungen weiterlaufen. Für solche Unternehmen wird das Coronavirus zur Bedrohung, weil sie dringend Zwischenfinanzierungen oder verlängerte Bankkredite brauchen. Sie werde "Vorschläge für Liquiditätshilfen für Unternehmen unterbreiten, die besonders von den Auswirkungen des Coronavirus betroffen sind", heißt es nun in den Beschlüssen der Koalition. Dazu wolle sie "in Kürze" mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft reden: ein Prüfauftrag also, mehr nicht.

DIHK-Chef Schweitzer schlägt deshalb am Montag Alarm: "Ganz dringend brauchen die Unternehmen jetzt schnell wirkende Liquiditätshilfen" - gemeint ist "in den nächsten Tagen und nicht erst in Wochen". Auch die EU-Kommission muss mitspielen. Wenn die staatseigene Kreditbank KfW Programme zur Zwischenfinanzierung für heimische Firmen auflegt, ist es nicht weit bis zur unzulässigen Beihilfe.

Nicht alles im Paket der Koalition hat mit dem Virus zu tun, aber alles wirkt nun wie eine eilige Antwort darauf. So wollen Union und SPD bis 2024 insgesamt 12,4 Milliarden Euro in Investitionen stecken - zusätzlich zu den schon beschlossenen Investitionsmilliarden. Vor allem die beiden SPD-Vorsitzenden kämpfen dafür. Das hat damit zu tun, dass noch viele Schulen, Brücken und Sozialwohnungen gebaut werden müssen. Aber auch damit, dass die beiden Parteivorsitzenden zeigen wollen, dass sie das Amt ausfüllen.

Zum Koalitionspaket gehören auch diverse steuerpolitische Maßnahmen, deren wachstumsbeschleunigende Wirkung allerdings eher im homöopathischen Bereich liegen dürften. So sollen sich etwa Mobiltelefone besser abschreiben lassen. Personengesellschaften können wählen, wie sie sich besteuern lassen. Wer sich dafür entscheidet, lieber Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer zu zahlen, weil der gesamte Steuersatz dann niedriger liegen könnte als der persönliche Einkommensteuersatz, kann das beantragen - doch das ist ein bürokratischer Kraftakt.

Beides darf als kleines Zugeständnis der SPD an die Union gewertet werden, die schon lange darauf drängt, Unternehmen zu entlasten. Eine richtig große Steuerreform für Unternehmen aber enthält das Koalitionspapier nicht; hier bremst die SPD und versteckt den Dissens mit der Union hinter der Formulierung, "gemeinsam mit unseren Partnern bei den G 20 und in der OECD" arbeite die Bundesregierung an globalen Steuerregeln, die die deutsche Wirtschaft entlasten sollten. Auch auf die vorgezogene Abschaffung des Solidaritätszuschlags können sich Union und SPD nicht einigen, darauf hatte die SPD gedrängt. Einen weiteren Streitpunkt haben die Partner ebenfalls nicht angerührt: die Abstandsregeln für Windräder. Die Misstöne sind alle gut versteckt in dem Papier mit 14 Seiten voller Pläne und Ankündigungen.

Dazu passt, dass sich die Hälfte dieses Papiers nur einem Thema widmet: der Beschleunigung von Planungen. Schließlich müssten "die für Investitionen zur Verfügung stehenden Mittel in Rekordhöhe schneller realisiert werden können". Denn wie Virus und Konjunkturflaute nun manche Gesetzgebung anschieben, sollen auch Behörden demnächst rascher große Vorhaben durchwinken. Gerichtsverfahren sollen schneller gehen, Planungs- und Genehmigungsverfahren zunehmend digital ablaufen. Wo möglicher Baulärm, nur zum Beispiel, früher eigene Verfahrensschritte erforderte, soll das künftig wegfallen.

Soll bloß keiner sagen, die Dinge könnten nicht schnell gehen in Deutschland. Wenn sie es ausnahmsweise mal müssen.

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