Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Die Kurve geht weiterhin steil nach oben

Die Zahl der Coronavirus-Infektionen steigt weiterhin viel zu schnell. Ohne Gegenmaßnahmen wäre bei diesem Tempo in weniger als drei Wochen die Marke von einer Million überschritten.

Von Christian Endt

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder begründet die Ausgangsbeschränkungen mit den weiter dramatisch ansteigenden Kennzahlen der Corona-Pandemie. Und tatsächlich ist in Deutschland bislang kein nennenswertes Abflachen der Kurve zu erkennen. Sowohl die Zahl der Infizierten als auch der an Covid-19 verstorbenen Patienten steigt weiterhin exponentiell. In Deutschland gibt nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts vom Samstag fast 16 700 bekannte Fälle. Die Johns Hopkins Universität zählte - Stand Samstagabend - sogar mehr als 21 700 Fälle. Da die Testkapazitäten weiterhin nicht ausreichen, muss dazu eine hohe Dunkelziffer addiert werden. Die tatsächliche Fallzahl dürfte mindestens doppelt so hoch sein. 47 Menschen sind in Deutschland laut Angaben des RKI inzwischen an den Folgen einer Ansteckung mit dem Coronavirus gestorben, die Johns Hopkins Universität zählt 76 Tote. Die weltweite Zahl der Todesopfer überstieg am Samstag die Marke von 11 000 Menschen.

Um die enorme Geschwindigkeit zu begreifen, mit der sich das Virus ausbreitet, hilft ein Blick auf die Verdopplungszeit. Dieser Wert gibt an, in welchem Zeitraum sich die Zahl der Fälle jeweils verdoppelt. Zuletzt lag dieser Wert für Deutschland stets zwischen zwei und drei Tagen. Wenn sich die Ausbreitung in diesem Tempo fortsetzt, stiege die Zahl der bestätigten Fälle in weniger als drei Wochen bundesweit auf mehr als eine Million. Ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems wäre in diesem Szenario eine Frage von wenigen Tagen. Die Sterblichkeit unter den Infizierten dürfte erheblich ansteigen.

Nicht überall in Deutschland wütet die Pandemie gleichermaßen. Mit 3107 bestätigten Fällen hatte Bayern bis Samstag den drittgrößten Ausbruch, nach Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. 20 Menschen sind in Bayern bislang an Covid-19 gestorben. Mit einer Verdopplungszeit von knapp vier Tagen verläuft die Ausbreitung in Bayern zwar derzeit etwas langsamer als im Bundesdurchschnitt, was aber auch an der Erfassung der Fälle liegen kann. Mit Ausnahme Berlins ist der Osten der Republik bislang weniger stark vom Coronavirus betroffen, als es die westdeutschen Bundesländer sind.

Die mittlere Inkubationszeit beträgt fünf bis sechs Tage

Die politische Entscheidungsfindung wird dadurch erschwert, dass sich getroffene Maßnahmen erst mit größerer Verzögerung auf die Daten durchschlagen. Das Robert-Koch-Insitut gibt für das Coronavirus eine mittlere Inkubationszeit von fünf bis sechs Tagen an. So viel Zeit vergeht also von der Ansteckung eines Patienten, bis dieser erste Krankheitssymptome zeigt. Da ohne Symptome in der Regel auch nicht getestet wird, fließen neue Infektionen frühestens nach dieser Zeit in die Statistik ein. Dazu kommt die Dauer von Test und Datenübermittlung. Bis zur Diagnose wird der Patient womöglich weitere Menschen anstecken. Erst gegen Ende jener zwei Wochen, für die das bayerische Kabinett nun vorerst Ausgangsbeschränkungen beschlossen hat, wird man daher erkennen können, ob die Maßnahmen Erfolg zeigen.

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Doch wie müssten die Zahlen aussehen, um ein Lockern der Maßnahmen zu rechtfertigen? Aktuelle Einschätzungen aus der Wissenschaft gehen davon aus, dass ein bloßes Verlangsamen der Pandemie nicht ausreicht. Demnach würde auch ein langsamerer Anstieg der Fallzahlen zu einer vielfachen Überlastung der Intensivstationen führen. Das geht etwa aus einer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie hervor. Nötig sei eine so starke Einschränkung der zwischenmenschlichen Kontakte, dass die Ausbreitung des Virus nicht nur verlangsamt, sondern gestoppt werde. Jeder Infizierte dürfte dazu im Durchschnitt höchstens einen weiteren Menschen anstecken. Derzeit liegt dieser Wert bei zwei bis drei Neuansteckungen je Infiziertem. Man müsse die Einschnitte deshalb "über die nächsten Monate aufrechterhalten".

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SZ vom 21.03.2020/cku
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