Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in den USA:Wie Trump Amerika wieder öffnen will

  • Die US-Regierung will durch einen dreistufigen Plan die Gesellschaft wieder in die Normalität zurück führen.
  • Dabei zeigt sich eine gewisse Flexibilität und nur minimale zeitliche Vorgaben.
  • Präsident Trump versucht wenig überraschend, aus den Lockerungen der Einschränkungen politisches Kapital zu schlagen. Darin liegt auch eines der Probleme des Planes.
  • Mehr zu den internationalen Entwicklungen rund um das Coronavirus finden Sie hier.

Von Hubert Wetzel, Washington

Donald Trump hat in der Corona-Krise sehr viel falsch gemacht. Am Donnerstag bewies der US-Präsident, dass es auch anders geht. Der Fahrplan zur "Wiedereröffnung" der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens in den USA, den Trump zuerst den Gouverneuren der Bundestaaten in einem Telefongespräch und dann bei einer Pressekonferenz der Bevölkerung vorstellte, ist vernünftig, abgewogen und flexibel. Zumindest in diesem Fall hat Trump offenbar erkannt, dass es besser ist, auf seine medizinischen und ökonomischen Berater zu hören als nur auf sein eigenes Bauchgefühl, das leider meistens in die Irre führt.

Der Plan erkennt einige wichtige Realitäten an. Die erste: Der Präsident muss sich zurückhalten. Nicht er, sondern die Gouverneure entscheiden, wann und wie sie ihre Bundesstaaten wieder öffnen. Für Trump ist das eine bemerkenswerte Wende. Noch vor ein paar Tagen hatte er getönt, dass die Entscheidungsgewalt - die "totale Autorität" - alleine bei ihm läge. Das ist in rechtlicher wie politischer Hinsicht Humbug, und Trump hat das nun eingestanden. Er gibt lediglich ein grobes Zieldatum vor, den 1. Mai, von dem an die Gouverneure mit der Rückkehr zu einem Zustand beginnen können, den man als Normalität bezeichnen könnte.

Das ist sinnvoll, denn die Lage ist an verschiedenen Orten in den USA durchaus unterschiedlich. Der Bundesstaat und die Stadt New York kämpfen eine dramatische Schlacht gegen das Virus. Allein dort sind bislang mindestens 15 000 Menschen gestorben. Es ist möglich, dass dieser Schrecken anderen Staaten erst noch bevorsteht. In anderen Teilen des Landes ist die Situation dagegen längst nicht so verzweifelt. In Bundesstaaten an der Westküste wie Kalifornien und Washington oder auch im Süden, etwa in Texas und Florida, liegt die Zahl der Todesfälle weit unter denen von New York.

Das bedeutet nicht, dass das Virus sich dort nicht noch verbreiten und sehr viele Menschen töten könnte. Aber es zeigt, dass es wenig Sinn macht, das ganze Land entweder komplett dicht zu machen oder überall zu öffnen. Diese Entscheidung den einzelnen Staaten oder, sofern sie sich absprechen wollen, Gruppen von benachbarten Bundesstaaten zu überlassen, ist der bessere Weg. Zumal, vorsichtig ausgedrückt, Trumps bisheriges Verhalten nicht dafür spricht, dass er dem Ausmaß der Krise charakterlich und intellektuell gewachsen ist. Da haben die meisten Gouverneure doch deutlich beeindruckender gehandelt. Je weniger der Präsident entscheidet, desto besser.

Den Menschen Hoffnung zu machen ist legitim, solange es keine falsche Hoffnung ist

Die zweite Realität, die sich in dem Fahrplan spiegelt, ist die Einsicht, dass die Rückkehr zur Normalität langsam vonstattengehen und jeder Schritt daran gekoppelt sein muss, dass bestimmte messbare, medizinisch relevante Kriterien erfüllt sind. Das Weiße Haus hat die Wiedereröffnung des Landes dafür in drei Phasen aufgeteilt. Ob ein Staat von der einen in die nächste Phase wechselt, soll unter anderem von den Infektions- und Todeszahlen und den Krankenhauskapazitäten abhängen, aber auch davon, ob es die Möglichkeit gibt, möglichst alle Infektionen durch Tests zu entdecken und die Kontaktpersonen von Infizierten zu ermitteln. Und selbst in der letzten Phase empfiehlt das Weiße Haus noch, dass zum Beispiel in Kinos oder Restaurants der Abstand zwischen den Gästen vergrößert werden sollte. Auch das sind Zeichen der Einsicht: So, wie die Welt vor Corona war, wird sie vielleicht für sehr lange Zeit nicht wieder werden. Und: Nur wenn die Menschen sich sicher wähnen, werden sie auch wieder aus der Quarantäne kommen und Geld ausgeben. Ohne dieses Gefühl der Sicherheit gibt es kein wirtschaftliches Leben.

Natürlich verfolgt Trump mit seinem Fahrplan auch politische Ziele. Er will im November wiedergewählt werden, und das ist leichter, wenn er derjenige ist, der den Bürgern nicht immer nur erzählt, welche Opfer sie bringen müssen, sondern der auch ein bisschen Licht am Ende des Tunnels zeigt. Aber den Menschen Hoffnung zu machen, ist ja legitim, so lange es keine falsche Hoffnung ist. Das Virus hat in den USA bisher mehr als 30 000 Menschenleben gefordert und das Sterben wird noch eine Weile weitergehen. Zudem hat die Corona-Krise das Land in eine Wirtschaftsdepression gestürzt, die in nur vier Wochen 22 Millionen Amerikaner arbeitslos gemacht hat. Eine Gesellschaft kann unter einem solchen Trauma zerbrechen, wenn sie keine Aussicht auf Besserung hat.

Es gibt keine Garantie, dass Trumps Fahrplan funktioniert. An einige Zutaten, die für einen Erfolg zwingend notwendig sind, herrscht immer noch Mangel, etwa an einer ausreichenden Zahl von Corona-Tests. Es ist auch durchaus denkbar, dass einige Gouverneure die Bedrohung durch das Virus immer noch unterschätzen und Ausgangssperren zu früh lockern. Vor allem in republikanisch regierten Bundesstaaten könnte das passieren. Und es besteht die Gefahr, dass der erratische, nie sehr konzentrierte Präsident jetzt, da er die Verantwortung de facto den Gouverneuren übertragen hat, die Sache als erledigt ansieht und sich darauf beschränkt, den weiteren Verlauf der Pandemie aus dem Weißen Haus zu kommentieren. Das wäre fatal, denn ohne massive Hilfe der Bundesregierung in Washington können die Bundesstaaten das Virus nicht besiegen. Aber immerhin gibt es jetzt einen Plan, der die Chance bietet, dass die USA in den kommenden Monaten zurück zu so etwas wie Normalität finden.

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